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PREDIGT ZUM WEIHEFEST DER LATERANBASILIKA AM 9. NOVEMBER 2008, GEHALTEN
IN FREIBURG, ST. MARTIN
 

„ES IST EINE WUNDERBARE AUFGABE DES MENSCHEN, DASS ER
BETET UND LIEBT“ (JEAN MARIE VIANNEY) 

Das Weihefest der Lateranbasilika in Rom verdrängt heute die Liturgie des 32. Sonntags im Kirchenjahr. Die Lateranbasilika ist eine der ältesten, wenn nicht die älteste Kirche der Stadt Rom, zugleich ist sie eine der drei Hauptkirchen dieser Stadt. Kaiser Konstantin hat sie errichtet am Beginn des 4. Jahrhunderts. Papst Silvester weihte sie am 9. November des Jahres 324 feierlich ein.  Jahrhunderte hindurch war sie die Kathedrale des Papstes. Noch heute ist sie die Bischofskirche der Diözese Rom. Darum trägt sie den Namen Mutter und Haupt aller Kirchen der Stadt Rom und des Erdkreises. Der Name Lateranbasilika er- innert an den Besitzer des Areals, auf dem diese Kirche errichtet wurde. Ursprünglich dem Erlöser und dem Geheimnis der Erlösung geweiht, wurde sie später unter den Schutz des Apostels Johannes gestellt.

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Zu keiner Zeit wurden die Kirchen als reine Zweckbauten verstanden. Stets waren sie mehr als Versammlungsräume. Immer sah man in ihnen ein Abbild des Himmels, des himmli- schen Jerusalems. Deshalb gestaltete man sie künstlerisch, stattete sie reich aus, nannte sie Gottes- häuser und brachte ihnen große Ehrfurcht entgegen.

Darüber hinaus sah man in der steinernen Kirche seit eh und je ein Gleichnis für die Ge- meinschaft der Gläubigen, für die Kirche aus lebendigen Steinen. Schon immer verstand man das Gotteshaus als ein Abbild der von Christus gestifteten Kirche, in der Christus sel- ber fortleben wollte bis zu seiner Wiederkunft am Jüngsten Tag. Daher verwendete man das gleiche Wort für beide Gegebenheiten, man sagte: Ich gehe in die Kirche und: Ich bin ein Glied der Kirche. In der heiligen Taufe werden wir in die Kirche getragen und in sie aufgenommen.

Als Gemeinschaft der Christusgläubigen wird die Kirche durch Christus selber geleitet, der jedoch schon in seinen Erdentagen das apostolische Amt geschaffen und seine Vollmacht an bestimmte Menschen weitergegeben hat. Dadurch hat die Kirche eine Struktur erhalten, eine sichtbare Gestalt, die auf ihre unsichtbare Gestalt verweisen sollte. Wir sprechen von der Amtsstruktur der Kirche, die man auch als messianisches Vikariat bezeichnen kann. Vikariat bedeutet soviel wie Stellvertretung. Es geht hier um die Stellvertretung Christi, die auf dem Gesetz der Bevollmächtigung beruht. Sie ist in je verschiedener Weise im Priester- amt gegeben, im Bischofsamt und im Papsttum, welches das Petrusamt fortsetzt in der Ge- schichte.

Christus hat in seinem Erdenleben Jünger um sich gesammelt, aus ihnen zwölf ausgewählt und sie mit einer besonderen Sendung betraut, und aus diesen wiederum einen ausge- wählt, um ihn zum Felsenfundament seiner Kirche zu machen. Darin ist die Gestalt der Kir- che vorgebildet, die wir in ihrer entwickelten Form als eine hierarchische bezeichnen, als eine Ordnung, die Gott selber seiner Kirche gegeben hat.

Christus wollte nur eine Kirche. Die Kirche im Plural ist ein Konstrukt der Menschen. Sie, die eine Kirche Christi, errichtet auf dem Felsenfundament des Petrusamtes, sollte, wie es der  1. Timotheusbrief ausdrückt, die Säule und Grundfeste der Wahrheit sein (1 Tim 3, 15) und damit das große Zeichen Gottes unter den Völkern sein, wie es der Prophet Jesaja voraus- verkündet hat (Jes 11, 12).

Wir alle sind die Kirche Christi, die Gläubigen und die Hirten, die Gläubigen in der Gemeinschaft mit den Hirten. Damit ruht eine große Verantwortung auf uns, ob wir nun diese Verantwortung als Getaufte und Gefirmte tragen oder als solche, die Anteil haben am apostolischen Amt. Die Verantwortung ist gestuft, aber wir tragen sie alle. Jeder muss an seiner Stelle das Wort Gottes und die Gnade Gottes bezeugen und besorgt sein, dass das Antlitz Christi in der Kirche aufleuchtet und die Menschen Christus als den Weg, die Wahrheit und das Leben erkennen und dass sie ihm treu bleiben, ja, dass sie die Kirche lieben lernen, die unsere Mutter ist.

Die Kirche, die das Werk Christi weiterführt in der Welt, heute ist sie umstritten, mehr als je zuvor. Vielfach ist sie die Zielscheibe herber, ja oftmals gehässiger Kritik ist, und das nicht nur durch solche, die sie verlassen haben oder die seit eh und je außerhalb der Kirche stehen, sondern auch durch solche, die nominell noch innerhalb der Kirche ihren Ort haben, die zuweilen gar Anteil haben am apostolischen Amt.

Im Blick auf die Letzteren drängt sich die Frage auf, warum sie in der Kirche bleiben, die sie nicht schätzen und lieben. Da gibt es zwei Gründe: Zum einen ist es die Trägheit, die sie veranlasst zu bleiben, zum anderen bleiben sie, weil sie sich rückversichern wollen, weil sie sich ihrer Skepsis und ihres Unglaubens doch nicht so sicher sind. Schließlich sind da noch jene, die genau wissen, dass sie einen nobleren Arbeitgeber nicht finden in der Welt, sie bleiben um der materiellen Vorteile willen.

Es sind nicht nur die Menschlichkeiten in der Kirche, auf die man es abgesehen hat, auch die Herkunft der Kirche, ihr Selbstverständnis und ihre Zielsetzung unterzieht man heute vielfältiger Kritik. Besondere Kritik erfährt dabei das Petrusamt, wie es durch das Papsttum repräsentiert wird. Gerade dieses Amt ist heute mannigfachen Angriffen ausgesetzt.

Solche Kritik ist vielfach boshaft, das ist nicht zu bestreiten, oftmals geht sie aus einem schlechten Gewissen hervor, und schließlich ist es der Hochmut, der immer wieder die Be- sserwisser hervorbringt in dieser Welt.

Manches ist hier aber auch auf die allgemeine Verwirrung zurückzuführen, die sich in allen Bereichen unseres Lebens, im gesellschaftlichen, im kulturellen und im politischen Bereich und eben auch in der Kirche breit macht und das Chaos steigert.

Nicht unberechtigt ist die Kritik, wo sie bedingt ist durch die Unglaubwürdigkeit der Gläubi- gen und der Amtsträger, durch ihre Halbheit und ihre Inkonsequenz. Da müssen wir uns alle angesprochen fühlen, da gilt es, dass wir unserem Glauben tiefere Wurzeln geben, dass wir ihn ernster nehmen, dass wir Gott fürchten und lieben und wieder mehr aus dem Geist des Opfers leben.

Was uns vor allem fehlt, das ist die Hinwendung zum Gebet. Ihm räumen wir zu wenig Be- deutung ein. In erster Linie ist es das Gebet zum Heiligen Geist und das Gebet um den Hei- ligen Geist, dem wir uns zuwenden sollten, da man immer wieder den Eindruck gewinnt, dass es uns weithin an der normalen Erkenntnis fehlt, dass wir das normale Denken verlo- ren haben.

Das Gebet reinigt unseren Geist, es verbindet uns mit Gott, es stärkt unsere Verantwortlich- keit, es beflügelt unser Tun und Lassen und tröstet uns in den Leiden und in den Krisen, die über uns kommen.

Beim Gebet kommt es vor allem auf die Ordnung des Betens an. Prinzipiell ist die Qualität des Gebetes wichtiger als die Quantität, aber die Qualität ist nun einmal nicht messbar, so sehr unser Bemühen sich auch darauf richten muss, dass wir nicht zerstreut sind beim Gebet. Immer geht das rechte Gebet aus der Ehrfurcht hervor. Sie aber, die Ehrfurcht, ist eine Grundhaltung, die heute keinen besonderen Stellenwert hat.

Wenn wir uns bemühen, unser Unglaubwürdigkeit und unsere Halbheit und Inkonsequenz zu überwinden, machen wir die berechtigte Kritik an der Kirche gegenstandslos, wehren wir der allgemeinen Verwirrung und dürfen wir im Blick auf die nicht berechtigte Kritik hoffen, dass das Böse schließlich durch das Gute überwunden wird.

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Der Pfarrer von Ars, Jean Marie Vianney, erklärt: „Es ist eine wunderbare Aufgabe und Ver- pflichtung des Menschen, dass er betet und liebt“. Die Kirche wäre glaubwürdiger und wir wären konsequenter, wenn wir uns diese schlichte Weisheit mehr zu Eigen machen würden. Der Pfarrer von Ars fährt fort: „Wenn ihr betet und liebt, seht, so ist das die Seligkeit des Menschen auf Erden“. Diese Erkenntnis schenkt uns nur die Erfahrung. Diese aber können wir nur machen, wenn wir es versuchen, betend und liebend durchs Leben zu gehen. Amen.

 

PREDIGT ZUM ALLERSEELENTAG, GEHALTEN AM 2. NOVEMBER 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„SELIG SIND DIE TOTEN, DIE IM HERRN
STERBEN“

Gestern, am Allerheiligentag, wurden uns die Vollendeten des Himmels als Vorbilder und Fürsprecher vor Augen gestellt. Mit ihnen wurde unser Blick auf das Ziel unseres irdischen Lebens gerichtet und auf den Weg, der uns zu diesem Ziel hinführt. Am heutigen Allersee- lentag werden uns jene vorgestellt, die zwar im Frieden mit Gott entschlafen sind, die aber noch nicht zur Anschauung Gottes kommen konnten, die noch der Läuterung bedürfen. Sie sind in der Gnade gestorben, sind aber noch nicht frei von allen Sünden und Sündenstrafen.

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Wir nennen sie die Armen Seelen. Arm sind sie in der Tat, denn sie werden gepeinigt von ihrer bitteren Reue und ihrer brennenden Sehnsucht nach Gott. Sie leiden dadurch, wie wenn sie im Feuer brennen und doch nicht verbrennen würden. Sie bedürfen der Läuterung, denn eine glückliche Vereinigung mit Gott ist da nicht möglich, wo noch Schuld zu sühnen ist. Das ist einleuchtend, dafür brauchen wir eigentlich nicht einmal das Wort der Offen- barung. Die Armen Seelen leiden, wie wenn sie vom Feuer gequält würden, und sie können ihr Leiden selber nicht abkürzen. Darum sind sie arm. Zugleich aber sind sie reich, reicher als wir alle. Denn sie wissen, dass sie die Prüfung des Lebens bestanden haben, was für uns, die noch Lebenden, noch nicht feststeht. Sie haben die Sicherheit des Heiles, die wir noch erst finden müssen. Darum ist ihr Leiden von tiefer Freude geprägt und von großer Dank- barkeit.

Das darf uns aber nicht dazu verleiten, ihre Leiden zu unterschätzen. Wir können ihnen helfen durch unser Gebet. Dieses Helfenkönnen ist für uns zugleich eine Pflicht der Liebe und der Dankbarkeit. Das eine wie das andere hat heute jedoch Seltenheitswert, das müssen wir nüchtern feststellen, darum auch das Gebet für die Verstorbenen. Daran will uns der Allerseelentag, aber auch der Allerseelenmonat, der gestern begonnen hat, erinnern, auf dass wir wieder mit größerem Eifer die Gemeinschaft mit den Verstorbenen suchen. Zwi- schen den Leidenden im Fegfeuer und uns bestehen nämlich enge Bande, nur müssen wir sie pflegen. Wir sind mit ihnen verbunden in der Gemeinschaft der Heiligen, über die Schwelle des Todes hinweg. Zu dieser Gemeinschaft, zu der wir uns im Credo bekennen, gehören auch die Vollendeten im Himmel. In der Gemeinschaft der Heiligen unterscheiden wir nämlich die streitende Kirche, die leidende und die triumphie- rende. Am Ende der irdischen Geschichte wird es dann nur noch die triumphierende Kirche geben, dann werden die leidende und die streitende Kirche in die triumphierende aufgenommen.

Weil die Gemeinschaft der Heiligen über das Grab hinausgeht, deshalb können wir den im Fegfeuer weilenden Seelen, den Büßenden, den Leidenden, zu Hilfe kommen, und des- halb können auch sie uns zu Hilfe kommen. Ja, deshalb können die Vollendeten im Him- mel uns und den Armen Seelen zu Hilfe kommen, die Vollendeten, die selbst keiner Hilfe mehr be- dürftig sind.

Die Seligen des Himmels, die triumphierende Kirche, und wir, die streitende Kirche, wir können den Armen Seelen, der leidenden Kirche, ihr Schicksal erleichtern durch unser Gebet, wir, die wir noch auf Erden weilen, auch durch die Opfer, die wir bringen, denn durch sie werden unsere Gebete gleichsam intensiviert. Im Opfer erhält unser Gebet gewi- ssermaßen eine neue Qualität. Die Heilige Schrift spricht von Fasten und Beten.

Das Gebet für die Verstorbenen gerät heute mehr und mehr in Vergessenheit. Abgesehen von der Undankbarkeit, die ein Characteristicum der Menschen unserer Tage ist, begegnet uns darin letzten Endes die grundlegende In-Frage-Stellung der jenseitigen Welt, jener Welt, die im Grunde das Fundament aller Religionen ist. Viele denken heute: Es gibt kein Wei- terleben nach dem Tod, und der Mensch unterscheidet sich nicht wesentlich vom Tier. Es ist die radikale Säkularisierung, die sich darin einen Ausdruck verschafft.

Die Pflege der Gemeinschaft mit den Abgeschiedenen, sie sollen wir neu einüben, heute und in diesem Novembermonat. Das muss geschehen durch das Gebet und die Opfer, die wir bringen in der Nachfolge Christi.

Seit eh und je feierte die Kirche immer wieder das heilige Messopfer für die Lebenden und auch für die Verstorbenen. Das geschah in der Überzeugung, dass man etwas Größeres den Verstorbenen nicht zuwenden kann. Um die Größe dieses Geschenkes wissen viele von uns nicht mehr.

Eine ganz besondere Form der Hilfe für die Verstorbenen ist der Ablass. In der Oktav des Al- lerheiligenfestes können wir jeden Tag einmal einen vollkommenen Ablass für die Verstor- benen gewinnen.

Es darf kein Tag vergehen, an dem wir nicht der Verstorbenen im Gebet gedenken. Verbin- den wir uns mit ihnen, sind wir nicht mehr allein, ja, sie sprengen dann unsere Einsamkeit, unter der wir oft so sehr leiden. Zudem: Wenn wir für sie beten, fällt es uns leichter, die Zer- streuungen beim Gebet zu überwinden. Dabei sollten wir auch jener Toten gedenken, die unbeachtet die Welt verlassen haben und für die niemand betet, an die niemand denkt.

Vergessen wir die Toten nicht, dann werden sie auch uns nicht vergessen, denn dank der Gemeinschaft der Heiligen können sie Fürsprache für uns einlegen bei Gott, wie wir es für sie können. Nicht für sich können sie beten, aber für uns.

Wenn wir täglich für die Verstorbenen beten, werden wir immerfort daran erinnert, dass auch wir einmal sterben müssen, dass unser Leben kurz, dass die Ewigkeit aber lang ist. Das Gebet für die Verstorbenen wird uns dann immer neu ein Ansporn sein, dass wir uns gewi- ssenhaft vorbereiten auf unsere Begegnung mit Gott jenseits der Schwelle des Todes, dass wir für Gott und für die Ewigkeit leben und uns dafür immer wieder stärken durch den Empfang der Sakramente.

Erst der Tod gibt dem Leben die rechte Gestalt. Wie man lebt, so stirbt man, wie man stirbt, so bleibt man. „Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen“, heißt es im Alten Testament, im Buch des Predigers (Pred 11,3).

Auf einem alten Grabstein stand die Inschrift: „Ut moriens vixit, propterea vivit mortuus“ - „er lebte wie ein Sterbender, deshalb lebt er als Gestorbener“. Wir können es auch so ausdrük- ken: Wer zu sterben weiß, der weiß auch zu leben.

Im letzten Buch der Heiligen Schrift, in der Offenbarung des Johannes, lesen wir: „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben“ (Apk 14, 13). Darauf kommt es an, dass wir im Herrn sterben. Im Herrn sterben, das setzt voraus, dass wir im Herrn leben.

Der heilige Joseph, der Pflegevater Jesu, ist der Patron der Sterbenden. Zugleich ist er der Schutzherr der Kirche. An seinem Sterbelager standen Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, und die Gottesmutter Maria. Wenn wir ihn verehren, er lehrt uns dann, recht zu leben und recht zu sterben.

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Reich sind die Armen Seelen, weil sie die Gewissheit des Heiles haben. Reicher noch sind sie, wenn wir ihrer gedenken in unseren Gebeten. Sie können sich uns gegenüber dankbar erweisen, und sie tun es. Die liebende Verbundenheit mit den Verstorbenen aber erinnert uns daran, dass es darauf ankommt in unserem Leben, dass wir es in der Verbundenheit mit Christus leben und uns so ein Leben lang auf einen guten Tod vorbreiten. Wenn wir die Gemeinschaft pflegen mit unseren Verstorbenen, werden sie uns helfen, unser Leben recht zu leben und unseren Tod recht zu sterben. Amen.

 

PREDIGT ZUM ALLERHEILIGENFEST AM 1. NOVEMBER 2008 IN
FREIBURG, ST. MARTIN

„SIE SIND AUS DER GROSSEN TRÜBSAL GEKOMMEN
UND DEM LAMM GEFOLGT“

Das Fest Allerheiligen verkündet die Botschaft von unserer Unsterblichkeit und von dem un- vergänglichen Glück, zu dem wir berufen sind. Sie steht im Kontrast zu der Vergänglichkeit der uns umgebenden Natur, deren Sterben wir in diesen Wochen erfahren, eindrucksvoll oder auch nicht. Zwar werden auch wir einmal sterben, wir alle, und dieses Sterben ist für uns schmerzlich, aber es ist ein vorübergehendes Geschehen, notwendig für unseren Über- gang aus dem Diesseits in das Jenseits, aus der Zeit in die Ewigkeit, aus der Vorläufigkeit in die Endgültigkeit. In einem trefflichen Bild hat man den Tod mit einer Geburt verglichen und ihn als die Geburt für die Ewigkeit bezeichnet.

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Heute ist es, wenn wir vom Tod sprechen im Blick auf Gott und die Ewigkeit, notwendig, dar- an zu erinnern, dass nicht alle die Vollendung im Jenseits finden werden, dass nicht alle die große Prüfung des Lebens bestehen, so sehr wir das auch wünschen möchten. Das ist des- halb zu betonen, weil diese grundlegende Glaubenswirklichkeit heute in einer nicht gewi- ssenhaften Verkündigung nicht selten unter den Tisch fällt und zum Teil gar ausdrücklich negiert wird. Die Verkündigung der Kirche ist indessen der Wahrheit verpflichtet. Das über- sieht eine verbreitete Gefälligkeitsverkündigung, welche dem tiefer Schauenden die Brü- chigkeit der Fundamente unseres Christentums offenbart.

Der Gedanke, dass nicht alle zur Vollendung gelangen, ist ein Mysterium, schmerzlich für je- den, der tiefer darüber nachdenkt, aber tröstlich wiederum, sofern Gott, soweit es an ihm liegt, allen das Heil schenken will, sofern er jedem die Gnade gibt, zur Vollendung zu gelan- gen. Nicht alle werden die Vollendung finden im Jenseits - Gott möchte es schon, aber die Menschen müssen es auch wollen, sie müssen es wirksam wollen -, dennoch ist die Zahl de- rer, die gerettet werden, die Zahl der Vollendeten aus allen Jahrhunderten, unzählbar groß. Das bezeugt uns die (zweite) Lesung des heutigen Festtags.

Aber wie kamen sie an dieses Ziel, sie alle, die gerettet wurden? Wie bestanden sie die Prü- fung ihres Lebens? Darauf antwortet die Lesung: „Sie sind aus der großen Trübsal - man kann auch sagen: aus der großen Bedrängnis - gekommen und dem Lamm gefolgt”, das heißt: Christus, dem Gekreuzigten.

Sie sind aus der großen Trübsal gekommen: Das Leben der Heiligen, soweit wir ihre Namen kennen und wir sie verehren, war ein Leben des Kampfes. Ihr Leben war nicht auf Rosen ge- bettet. Tränen und Bitterkeit bestimmten viele Tage und Nächte ihres Lebens. Sie erlebten Enttäuschungen und Schmerzen, Vergeblichkeit und Misserfolg, Angst und Verfolgung, Ar- mut und Not, Einsamkeit und Undankbarkeit, sehr oft auch das Unverstandensein von den Menschen, nicht selten wurden sie gar von ihren eigenen Glaubensgenossen verfolgt. In vielfacher Gestalt erlitten sie die Not des Leibes und die schlimmere Not des Geistes. Sie lit- ten an der Kirche, und sie litten für die Kirche.

Unter ihnen sind solche, die von der ersten Stunde an im Weinberg Gottes sich abgemüht haben, und solche, die erst in der elften Stunde gekommen sind, solche, die eine dramati- sche Bekehrung erlebten, und solche, die von Anfang an den guten Kampf gekämpft haben, solche, die durch tiefe Irrtümer und Wirrnisse hindurch mussten und eine Zeitlang in schwe- re Sünden verstrickt waren, und solche, die sich stetig bemühten, ihrer hohen Berufung zu entsprechen.

Sie alle sind aus der großen Trübsal gekommen, und - sie sind dem Lamm gefolgt. Das war der eigentliche Inhalt ihres Bemühens und ihres Kampfes, die Nachfolge des gekreuzigten Christus. Die eindeutige Richtung ihres Lebens war Christus, der Gekreuzigte und der Aufer- standene. Darum gehörte das Leid zu ihrem irdischen Pilgerweg, darum war es ein wesent- licher Bestandteil ihres Lebens.

Nicht ihr Eigensinn, ihr eigener Stolz, nicht ihr Ansehen und ihre Erfolge, nicht die Parolen der Welt, nicht ihre eigenen Wünsche und Empfindlichkeiten, sondern Christus war der In- halt ihres Denkens und ihres Wollens. Sie folgten demütig dem demütigen Christus. Das aber hat sie groß gemacht. An den Heiligen erkennen wir, dass der Weg zur Vollendung über das Opfer führt, über die Hingabe, über den Dienst an der Welt, an den Menschen und vor Gott. Sie litten und kämpften in der Hoffnung auf jene bessere Welt, die ihnen am Ende ihres irdi- schen Pilgerweges zuteil wurde.

Die Zahl der Heiligen des Himmels übersteigt die Zahl der Heiligen, die wir verehren und deren Namen wir kennen, um ein Vielfaches. Unter ihnen sind viele, die wir zu ihren Leb- zeiten gekannt haben, aber auch viele, die wir verkannt haben und die uns gleichgültig wa- ren, viele aber auch, die wir bewundert und viele, die wir verachtet haben, weil unser Blick in diesem Leben so oft getrübt ist.

Die Heiligen des Himmels, deren Namen wir kennen, aber auch die namenlosen Heiligen, sie alle sind aus der großen Trübsal gekommen und sie sind dem Lamm gefolgt in ihrem Le- ben. Deshalb konnten sie ihm auch folgen in seine Osterherrlichkeit. In der Dunkelheit der Zeit war Christus ihr Licht, ihre Freude, ihr Trost, ihre Kraft, ihre Hoffnung. Daher dürfen sie nun, fern von aller Dunkelheit, für immer in seinem Licht sein. Ihre Freundschaft mit Christus und seiner Kirche ist nun für immer besiegelt. Ihre Vollendung bedeutet die unendliche Stei- gerung, Überhöhung und Erfüllung dessen, was für sie auf Erden begonnen hatte.

In der Vollendung wird uns das geschenkt, endgültig, was wir hier mit ganzer Seele gesucht haben.

Am Allerheiligenfest denken wir aber auch an jene, die uns vorausgegangen sind, die je- doch noch vor der Tür stehen, vor der Tür der ewigen Vollendung, die zwar nicht verloren sind, aber doch noch der Reinigung, der Läuterung, bedürfen. Wir können ihnen helfen, die Zeit ihrer Prüfung abzukürzen, durch unser Gebet, besonders wirksam durch den Allersee- lenablass, den wir ihnen von heute an eine Woche lang zuwenden können. Die Bedingun- gen unsererseits: Beichte und Kommunion, Besuch der Kirche oder des Friedhofs und das Gebet dort, nämlich die Grundgebete des Katholiken und das Gebet nach der Meinung des Heiligen Vaters oder das Gebet für den Heiligen Vater.

Die Gemeinschaft mit denen, die einst bei uns waren, wird fortgeführt über den irdischen Tod hinaus durch das Gebet und - in noch wirksamerer Weise - durch das Messopfer. Wir können mit ihnen verbunden sein durch das Gebet, und sie können mit uns verbunden sein, denn sie können auch beten für uns. In Christus gibt es ein seliges Wiedersehen für uns jenseits der Schwelle des Todes, wenn wir im Leben die Hand Christi ergreifen und uns durch sie führen lassen.

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Von den Heiligen des Himmels gilt: Sie alle sind aus der großen Trübsal gekommen und dem Lamm gefolgt. Weil sie in ihrem Erdenleben dem Lamm gefolgt sind, deshalb dürfen sie in der Ewigkeit für immer bei ihm sein. Ihre Vergangenheit sollte unsere Gegenwart und ihre Gegenwart sollte unsere Zukunft sein. Sie rufen uns zu, die Vollendeten, sie rufen uns zu: Wirket euer Heil, solange es noch Tag ist (vgl. Phil 2, 12 und Joh 9, 4). Wir aber müssen es uns immer wieder sagen: Wir leben nur einmal und: Es geht in diesem unserem irdi- schen Leben um das Ganze. In der Gemeinschaft des Gebetes und der Fürbitte sind sie uns nahe, wenn wir uns ihnen anvertrauen, die Vollendeten des Himmel, aber auch die ar- men Seelen, die gerettet sind, aber noch der Läuterung bedürfen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 30. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 26. OKTOBER 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„KAUFET DIE ZEIT AUS“

Nicht auf die Strukturen kommt es an, nicht in erster Linie, sondern auf die Menschen, denn nicht die Strukturen schaffen die Menschen - so wird es heute oft dargestellt -, nicht die Strukturen schaffen den Menschen, sondern die Menschen schaffen die Strukturen. Nicht die Verhältnisse sind in erster Linie schuld an dem Bösen, das in der Welt geschieht, wie wir so gern sagen, um uns zu entlasten, sondern der Mensch in seiner Gesinnung und in seinem Handeln. Daher gilt: Es sind nicht die Strukturen, die die Welt retten, sondern die Heiligen. Ihr Beispiel, ihre religiöse Kraft, ihre Verehrung und ihre Fürbitte haben wir heute nötiger denn je. Denn zahllos sind die Gefahren, die uns bedrohen, unser persönliches Leben und das Leben der Menschen überhaupt. Unser physisches und unser geistiges Überleben ist auf mannigfache Weise gefährdet. Das kann uns nicht entgehen, wenn wir aufmerksam das Ge- schehen in der Welt verfolgen. Helfen können uns da nur die Heiligen und wir können es zusammen mit ihnen, indem wir sie anrufen und ihr Leben nachahmen und uns konsequent auf die Ewigkeit hin orientieren.

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Am vergangenen Freitag begingen  wir den Gedenktag des heiligen Antonius Maria Claret. Geboren wurde der Heilige im Jahre 1807 als fünftes Kind rechtschaffener Eltern in einer un- bedeutenden Stadt in Spanien. Als Heranwachsender war er ein eifriger Ministrant und setz- te sich ganz ein für das Leben der Pfarrgemeinde, in der aufwuchs. Zunächst wurde er We- ber, dann Priester - als Spätberufener. Er war ein fleißiger Student und ein frommer Alum- nus. Als Priester wurde er ein bedeutender Prediger und Missionar. Allein in einem Zeitraum von 10 Jahren hat er 10 000 Predigten gehalten. Er erkannte die Bedeutung des Presseapo- stolates und schrieb eine Reihe von Büchern, gründete eine Missionsgesellschaft, die schon bald an die 2000 Priester und 500 Laienbrüder zählte, die nach kurzer Zeit nahezu in der ganzen Welt segensreich wirkten. Er wurde Erzbischof auf Kuba und Berater des spanischen Königshauses, spielte eine bedeutende Rolle auf dem I. Vatikanischen Konzil und wurde von vielen bewundert wegen seiner Frömmigkeit und seiner Charakterstärke, wegen seiner Lau- terkeit und seiner Menschenfreundlichkeit. Da blieb es nicht aus, dass er bald auch seine Feinde hatte, dass erbitterte Feinde sich gegen ihn erhoben, denn wo das Licht Gottes hell leuchtet, da verbreitet auch die Hölle ihre kalte Dunkelheit. Immer wieder erleben wir es, wie jene auf den Plan treten, die das Gute und das Heilige nicht ertragen. So wurde Anto- nius Maria bald gewissenlos verleumdet und verfolgt. Zahlreich und von abgründiger Bosheit waren seine Feinde, und der Verfolgte starb schließlich in der Verbannung. Das war im Jah- re 1870.

Antonius Maria Claret hat seine Erdenzeit genutzt, er hat sich ganz eingesetzt im Dienst vor Gott und im Dienst an den Menschen, kompromisslos.

Wie anders machen wir es oft! Wie großzügig verfahren wir oft mit unserer Zeit! Und wie wenig verwenden wir sie für die Ewigkeit! Im Epheserbrief lesen wir: „Kaufet die Zeit aus“ (Eph 5,16) und im Galaterbrief: „Lasst uns also Gutes tun, solange wir die Zeit dazu haben (solange uns die Zeit dazu geschenkt ist)“ (Gal 6,10). Wir müssen all unsere Kräfte einsetzen, weil unser Leben kurz ist - selbst wenn es 90 Jahre währt -, wir müssen all unsere Kräfte einsetzen und die Tage, die Gott uns schenkt, gut nutzen, nicht nur für die Zeit, sondern auch, ja, in erster Linie für die Ewigkeit.

In der (zweiten) Lesung des heutigen Sonntags werden die Thessalonicher von Paulus ge- lobt wegen der Revolution des Guten, die durch sie in Mazedonien und in Griechenland und noch weit darüber hinaus ausgelöst worden ist.

Wenn wir in unseren Familien beten, wenn wir die christliche Sitte und die christliche Zucht hochschätzen und leben, wenn wir Selbstbescheidung und Kreuztragen üben um Christi wil- len - im Gegensatz zum Sog des Neuheidentums unserer Zeit - das muss sich auswirken, das muss Kreise ziehen. Wenn die Ehen heute grundsätzlich stabil wären, dann wäre gar nicht die Rede von Wiederverheiratung und vom Sakramentenempfang der Geschiedenen, der in einer ungültigen Ehe Lebenden.

Sollte man eine saubere Öffentlichkeit im Benehmen der Geschlechter und in der Gesellig- keit, im Fernsehen, im Internet, im Kino und in der Werbung nicht durch konsequenten Boy- kott erzwingen können, durch gewaltlosen Widerstand? Indem man sich fest und beharrlich davon distanziert? Frohsinn ohne Unmäßigkeit, Arbeitsamkeit ohne Raffgier, ob das nicht an- stecken würde? Eines ist sicher: Keine Aktion, keine Predigt, keine Tagung oder neue Bewe- gung vermag eine solche Wirkung hervorzurufen wie das schlichte Tun des Guten, wie das Zeugnis des Lebens im Alltag, das Zeugnis für Gott und für die Ewigkeit, die unser Ziel ist. Beispiele reißen mit. Das gilt im Guten wie im Bösen.

Die Gemeinde von Thessalonich hatte eine Kettenreaktion im Guten ausgelöst. Die Strahl- kraft dieser Gemeinde wirkte sich aus in der ganzen Gegend, die staunenden Menschen sag- ten es weiter, und viele fühlten sich angesprochen durch sie. Gott hat uns die Zeit dazu ge- geben, dass wir sie nutzen, dass wir sie nutzen für den Aufbau seines Reiches in dieser Welt.

Antonius Maria Claret kritisierte einmal als Bischof die Predigten seiner Priester, indem er feststellte, es sei darin zu wenig die Rede vom Tod, vom Gericht und von der Hölle und es sei darin zu wenig die Rede von der Notwendigkeit der Buße und der Umkehr. Er erklärte damals, die ernsten Wahrheiten unseres Glaubens dürften nicht vernachlässigt werden, vor allem nicht die Abrechnung am Ende und die Vergeltung für alle in Zeit und Ewigkeit.

Diese Kritik des Bischofs Antonius Maria ist heute wieder sehr aktuell geworden, denn auch in der Gegenwart ist die Verkündigung in der Kirche oft peripher und unverbindlich, um nicht zu sagen anbiedernd.

Der Apostel Paulus erklärt auf dem Areopag, dem Marktplatz von Athen, die Apostelge- schichte spricht davon: „Gott hat einen Tag bestimmt, an welchem er den Erdkreis richten wird nach Gerechtigkeit (Apg 17,31). Das hat man schon damals nicht gern gehört.

Bei dem Gericht Gottes kommt niemand zu kurz. Keiner ist besser daran, als er es verdient. Die Erinnerung an das Gericht ist besonders angemessen vor den Festtagen Allerheiligen und Allerseelen und überhaupt im Novembermonat.

Im 1. Korintherbrief fordert der heilige Paulus uns dazu auf, dass wir uns selbst richten, „damit wir nicht gerichtet werden“ (1 Kor 11,31). Das Beichten ist ein solches Richten, auch die tägliche Gewissenserforschung ist es.

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Wir sollten uns oft die Frage stellen, ob wir unsere Zeit ausgenutzt haben und ob wir sie aus- nutzen, ob wir sie ausgekauft haben und ob wir sie auskaufen, ob wir uns ganz eingesetzt haben - nicht für uns selber, sondern für Gott und für die Menschen, für die Ewigkeit, sub specie aeternitatis, würden die Lehrer des geistlichen Lebens sagen. Diesen Einsatz lernen wir in der Schule der Heiligen. Das gute Beispiel kann unübersehbare Wirkungen haben. Niemals ist es jedenfalls gänzlich vergebens. Sollte nicht der Glaube an das Gericht auch für uns - wie das bei den ersten Christen der Fall war - ein starkes und wirksames Motiv zu die- sem Einsatz sein, zum Widerstand gegen die Versuchungen und Verlockungen der Welt und zum verantwortlichen Handeln im Dienste Gottes und der Menschen? Zu diesem Dienst ge- hört nicht zuletzt auch die Unterstützung der Weltmission, die Unterstützung der Evangeli- sierung der Völker. Daran erinnert uns der heutige Sonntag der Weltmission. Daran erinnert uns aber auch der heilige Antonius Maria Claret. Er möge heute unser Fürsprecher sein, Amen.

 

 

PREDIGT ZUM 29. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 19. OKTOBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN,

„GEBT GOTT, WAS GOTT GEHÖRT“

Durch Fragen lernt man. Die geistige Lebendigkeit eines Kindes erkennt man am Fragen. Wir fragen nicht nur andere, zuweilen richten wir auch Fragen an uns selbst. Oft sind es die Erlebnisse, vor allem die Schicksalsschläge unseres Lebens, aus denen sich Fragen ergeben für uns. Immer ist es so, dass die Fragen uns bedrängen, dass sie uns unruhig machen, bis wir eine Antwort auf sie gefunden haben, das gilt vor allen von jenen Fragen, die unsere Existenz betreffen. Fragen quälen uns, nicht alle, aber viele, mehr oder weniger. Sie quä- len uns, weil sie ein geistiges Vakuum in uns schaffen, das ausgefüllt sein will.

Das Fragen gehört zum Menschen, und gerade wenn es keine Antwort gibt auf die Fragen, verstummt es nicht und tritt es immer wieder an die Oberfläche, wie ein Gummiball, den wir im Wasser versenken möchten. Das Fragen gehört zu unserem Leben, sei es, dass wir Aus- kunft haben wollen über Sachzusammenhänge oder über die Dunkelheiten der Welt oder die Dunkelheiten unseres persönlichen Lebens.

Wir stellen uns selber Fragen, oder andere richten sie an uns. Dabei gibt es aber auch hin- terhältige, böse Fragen, die uns gestellt werden, die uns in Verlegenheit bringen, die uns in einen Hinterhalt locken, die uns hereinlegen wollen. 

Von einer hinterhältigen Frage ist im Evangelium des heutigen Sonntags die Rede. Jesus er- kennt die Verlogenheit dieser Frage, er lässt sich nicht in die Falle locken, er durchschaut die Bosheit, aus der sie hervorgegangen ist. Und er bringt seine Gegner zum Verstummen. Wir erkennen daran seine Souveränität, seine Überlegenheit, die alles menschliche Maß sprengt. - Aber nun zum Inhalt der Antwort Jesu: Gebt Gott, was Gott gehört.

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Wir beobachten heute, dass immer mehr Menschen Gott den Rücken zukehren. Sie tun das vor allem faktisch, indem sie nur für sich leben, für ihre Wünsche und für ihr Vergnügen, be- stenfalls noch für ihre Angehörigen und für ein paar Freunde, aber Gott nicht beachten. Fragt man sie, weshalb sie sich mit solcher Inbrunst auf die vergänglichen Güter stürzen und sich so dem flüchtigen Schein verschreiben, so antworten sie nicht selten: Gott und die Religion, das gibt mir nichts. So reden sie, weil Religion für sie nichts anderes ist als ein Gebrauchsgegenstand, dessen man sich bedient oder nicht, je nach Charakter oder Stim- mungslage. Alles messen sie an seinem Gebrauchswert, an seinem subjektiven Gebrauchs- wert. Der Maßstab ihres Lebens ist das eigene Ich. Sie verschließen davor die Augen, dass wir uns in eine objektive Ordnung einfügen müssen, dass der Mensch als vernunftbegabtes Geschöpf seinem Schöpfer verpflichtet ist, zu Dank, zu Lob und zu Gehorsam, dass er nur so seine Würde bewahren kann, weil sie erst von Gott her ihre tiefere Begründung erfährt. Das hat der Mensch immer gewusst. Wäre es nicht so, gäbe es nicht das Phänomen der Religion seit den Urtagen der Menschheit.

Die Religion gehört zum Wesen des Menschen. Wer das nicht beachtet oder leugnet, der zerstört die Natur des Menschen und damit sein eigenes Wesen. Ein Mensch, der Gott nicht beachtet oder leugnet, richtet sich selber zugrunde, er ist inhuman, unmenschlich, er hilft mit beim Aufbau einer unmenschlichen Gesellschaft, er zerstört so sein Leben und seine Welt. Das erscheint in einem ganz anderen Licht noch, wenn wir bedenken, dass Gott uns nicht nur den Verstand gegeben hat, dass er sich uns auch offenbart hat, dass er Gemein- schaft mit uns gesucht hat und dass er selber einmal in Menschengestalt durch diese Welt gegangen ist. Das alles lässt sich nicht daran messen lassen, ob es uns persönlich momentan etwas gibt. Dass die Sorge Gottes für uns, seine Güte und seine Liebe unsere Antwort ver- langen, das weiß jeder in seinem Gewissen.

Der Sohn, der im Gleichnis dem Vater den Rücken kehrte und das Vaterhaus verließ, wie es geschah im Gleichnis vom verlorenen Sohn, geriet in abgründige Not, in die absolute Un- geborgenheit. Hunger, Kälte und letzte Einsamkeit waren sein Schicksal, er landete bei den Schweinen, wie es vielsagend in der Schrift heißt (Lk 15, 15)

Gebt Gott, was ihm gehört, dieser Imperativ gilt aber nicht nur für den Einzelnen, er gilt auch für die Gemeinschaft, die Gesellschaft, die staatlichen Gebilde. Missachtung Gottes und sei- ner Rechte, das gibt es auch im staatlichen und im gesellschaftlichen Leben. Wer Macht im Namen des Volkes ausübt, ist nicht nur dem Volk gegenüber verantwortlich, sondern auch Gott und seinem Gewissen gegenüber. Sein Gewissen aber muss sich an objektiven Wirk- lichkeiten orientieren.

Gebt Gott, was ihm gehört, das wird etwa in der gesetzlichen Freigabe der Abtreibung nicht beachtet, in der Abschaffung der Bestrafung der Gotteslästerung oder in der Freigabe von obszönen Schriften und pornographischer Literatur. Dazu könnte man noch vieles sagen. Ohne Gott kann auch keine Demokratie mehr funktionieren. Ohne Gott wird sie, die Demo- kratie, über die Anarchie zur Tyrannei entarten.

Eine Verkürzung des Menschen führt stets in die Unmenschlichkeit. Zum Menschen aber ge- hört Gott.

Noch ein Weiteres ist zu bedenken angesichts dieses Evangeliums, angesichts der Antwort Jesu auf die heuchlerische Frage, die ihm gestellt wird. Heute möchte man Jesus vielmals gern in den Dienst politischer, innerweltlicher Anliegen stellen. Für Jesus sind das nicht un- berechtigte Anliegen, die politischen und die innerweltlichen, haben sie durchaus ihre Be- deutung, aber  sekundär, wichtiger ist für ihn die Ehre Gottes. Sie steht an erster Stelle für ihn.

„Gebt Gott, was Gott gehört“, erklärt er. Tun wir das? Geben wir Gott die Ehre? Wohl kaum  genügend. Wohl immer bleiben wir hinter dieser Forderung Jesu zurück. Zufrieden kann niemand von uns sein, wenn er sich fragt: Gebe ich wirklich Gott die Ehre? Darin sind die Fragen enthalten: Ist das Gebet der Mittelpunkt meines Lebens? Lebe ich in einem über- zeugten und überzeugenden Glauben? Setze ich in allem mein Vertrauen auf Gott in meinem Leben? Gebe ich ihm mein Leben mit seinen Beschwerden und Mühen als ein Opfer hin - und das mit einem frohen Herzen?

Wenn wir uns ehrlich bemühen, Gott zu geben, was ihm zukommt, dann werden wir uns auch bemühen, der Welt und den Menschen nichts schuldig zu bleiben. Der rechte Gottes- dienst führt zum rechten Weltdienst. Nicht aber ist es so, dass der Weltdienst zum Gottes- dienst führt oder gar dass der Weltdienst allein genügt, wie viele meinen, weil er etwa be- reits Gottesdienst sei.

Das Evangelium des heutigen Sonntags verurteilt im Übrigen auch die allzu enge Bindung der Kirche an den Staat, wie sie oftmals von einflussreichen Leuten propagiert und prakti- ziert wird, innerhalb wie auch außerhalb der Kirche. Da kann man nur sagen: Wenn das Christentum und die Kirche ihre Substanz verlieren, dann suchen sie das Heil in den Armen des Staates. Dann lassen sie sich auch nicht mehr davon beunruhigen, dass das auf Kosten ihrer ureigenen Mission geht. Aus der Geschichte zu lernen, das fällt uns allzu schwer. Eine starke Kirche, ideell gesehen, hat es nicht nötig, sich dem Staat anzudienen, sie wird re- spektvoll mit ihm zusammenarbeiten, wo es möglich ist, sie wird ihm aber ohne Furcht die Rechte Gottes vor Augen halten, wo er sie mit Füßen tritt.

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Die Religion gehört zum Wesen des Menschen. Wer das nicht beachtet oder leugnet, der zerstört die Natur des Menschen und damit sein eigenes Wesen. Ein Mensch, der Gott leug- net und die Verantwortung des Menschen vor ihm, richtet sich selber zugrunde, er ist damit inhuman und unmenschlich im wahrsten Sinne des Wortes, er hilft mit beim Aufbau einer unmenschlichen Gesellschaft und zerstört damit sein Leben und seine Welt. Das gilt nicht nur für den Einzelnen, das gilt auch für die Gemeinschaft, für die Gesellschaft und für die staatlichen Gebilde.

Das Erste ist die Ehre Gottes. So sagt es uns die ganze Offenbarung des Alten wie auch des Neuen Testamentes. Erst wenn wir Gott die Ehre geben, können wir unsere Aufgaben in der Welt in rechter Weise erfüllen. Wichtiger als der Dienst an der Welt, der Dienst an den Men- schen ist der Dienst vor Gott.

Erst wenn wir das Zueinander von Gottesdienst und Weltdienst recht sehen, werden wir auch erkennen, dass die allzu enge Bindung der Kirche an den Staat vom Übel ist, dass sie immer auf Kosten der ureigenen Mission der Kirche geht.

Wenn wir ehrlich sind und die Wahrheit lieben, werden wir selbstverständlich Gott den er- sten Platz in unserem Leben geben, nicht uns selbst oder irgendeinem geschaffenen Wesen, wir werden Gott den ersten Platz in unserem Leben einräumen und aus Liebe zu ihm den Menschen dienen. Dann werden wir aber auch Sorge tragen, dass die Kirche in einem gehörigen und angem ssenen Abstand zur weltlichen Macht steht, die Kirche überschreitet die nationalen Grenzen und ihr entscheidendes Anliegen ist die Ehre Gottes, die ihrerseits freilich das Heil des Menschen ist. Amen.

 

PREDIGT ZUM 28. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 12. OKTOBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„GEHT AN DIE STRASSENECKEN UND RUFT ALLE, DIE IHR FINDET,
ZUR HOCHZEIT“

Das Gleichnis vom königlichen Hochzeitsmahl beschreibt das Werben Gottes um den Men- schen und das Geheimnis der Abkehr des Menschen von Gott. Wir erfahren in ihm, wie Gott sich um die Menschen bemüht, wie sich die Menschen aber oftmals nicht darum kümmern, weil sie mit sich selbst und mit der Welt beschäftigt sind und weil Gott ihnen allzu oft gleich- gültig ist. Gott bemüht sich um die Menschen, sie aber kümmern sich nicht darum, ihr eige- nes Ich und die Welt absorbiert sie, sie haben keine Zeit für Gott. Das ist der entscheidende Gedanke des Gleichnisses, mit dem wir alle irgendwie angesprochen werden, wie es eigent- lich immer der Fall ist bei den Gleichnissen Jesu. 

Gott sucht die Menschen, sie aber lassen sich nicht finden. Gott lädt sie ein zum Gebet und zum Gottesdienst, sie aber haben wichtigere Dinge zu tun, vermeintlich wichtigere. Gott lädt sie ein, seine Gebote zu erfüllen - zu ihrem Heil, sie aber wissen es besser, was ihnen zum Heile dient. Das heißt: Sie missachten Gott, und sie verachten ihn. Nicht genug damit, oft- mals missachten und verachten sie auch noch seine Boten - ganz wie im Gleichnis -, sie ver- prügeln sie und töten sie, wenn auch nur im übertragenen Sinne, heute jedenfalls im Allge- meinen im übertragenen Sinn. Da war nicht immer so. Und die Boten, sie bekommen es im- mer mehr mit der Angst zu tun, sie verkriechen sich, oder: Sie passen sich an und vernach- lässigen ihre Botenaufgabe und verlieren schließlich selber den Glauben, den zu verkünden sie gesandt sind. Zuweilen kann man es vernehmen, dass Verantwortliche in der Kirche sich wegen ihrer Lethargie und wegen ihrer Ängstlichkeit entschuldigen mit den Worten: Ich bin nicht zum Märtyrer geboren! Obwohl doch das der Ernstfall des Christseins ist und wir alle doch zum Martyrium bereit sein müssen und mit Gottes Gnade auch dazu bereit sein kön- nen.

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Wir beobachten heute, dass die Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber Gott unaufhalt- sam wächst. Ein deutlicher Hinweis darauf ist die Tatsache, dass unsere Kirchen schon recht leer geworden sind und immer leerer werden. Das Vertrauen zur Kirche ist gering, in viel- fältiger Weise wird es dazu noch bewusst untergraben, mehr oder weniger bewusst, nicht nur von denen die draußen sind. Mit dem Vertrauen zur Kirche aber schwindet das Vertrau- en zum Wort Gottes und zu Gott selber. So wird Gottes Einladung in den Wind geschlagen, seine Einladung zum Gebet und zum Gottesdienst, seine Einladung zu einem Leben nach den Geboten. Oder - auch das kommt vor, immer häufiger - sie wird gar nicht mehr ausge- sprochen, die Einladung Gottes, sie wird den Menschen gar nicht mehr hörbar vorgetragen und glaubwürdig nahegebracht.

Der Sonntag, einst der Tag der Besinnung auf die größeren Zusammenhänge, in die unser Leben eingespannt ist, der Tag der Besinnung auf Gott und die Ewigkeit, ist für viele zu einem arbeitsfreien Tag geworden, ohne jede religiöse Weihe, ganz auf das Diesseits hin ausgerichtet, nur im Dienste der Erholung oder gar der Ausschweifung. Und auch das Leben nach den Geboten Gottes, es hat Seltenheitswert bekommen. So wartet Gott vergeblich auf viele von uns, nicht nur am Sonntag, denn bevor wir die Sonntagsheiligung aufgeben, ha- ben wir schon lange zu beten aufgehört, zumindest haben wir vorher schon lange aufgehört, bewusst und aus gläubigem Herzen zu beten. Aber nicht nur das, bevor wir die Sonntags- heiligung aufgegeben haben, haben wir schon lange aufgehört, unsere Sünden zu beichten und die Gebote Gottes zur Richtschnur unseres Lebens zu machen.

Es ist der Diesseitskult - eine Art von Götzendienst -, der das Leben vieler bestimmt, die sich nominell noch zur Kirche zählen, der Diesseitskult, der uns im öffentlichen Leben vorexer- ziert wird, vor allem von denen, die die Massenmedien gestalten, die die eigentlichen Ton- angeber geworden sind, die eigentlichen Volkserzieher, weil sie es so wollen und weil wir uns in deren Abhängigkeit begeben haben.

Allein, wer Gottes Einladung zurückweist, der spricht sich selber das Urteil, und zwar für Zeit und Ewigkeit. Im Gleichnis heißt es, dass die, die der Einladung nicht folgen und die seinen Boten nachstellen, dass sie den Zorn des Königs erregen, der seine Feinde vernichtet.

Früher haben wir gelernt: Wie dein Sonntag, so dein Sterbetag! Das gilt heute nicht weniger als früher. Und schon im Alten Testament lesen wir: Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen (Pred 11, 3). Gottes Einladung weisen wir nicht ungestraft zurück. Und es ist so, dass das Fernbleiben von der heiligen Messe am Sonntag uns schnell zur Gewohnheit wird, wenn wir es nur ein paar Mal gemacht haben.

Allzu gern vergessen wir es, dass wir nur einmal leben und dass die Langmut Gottes einmal ein Ende hat. Wenn wir Gott heute vergeblich an unserer Tür anklopfen lassen, so werden wir einmal vergeblich an der Seinigen anklopfen.

Wenn wir die Liebe eines Menschen zurückweisen, so ist das ein großes Unrecht. Sehr viel größer ist das Unrecht, wenn wir Gott zurückweisen und seine Boten, wenn wir Gott zurück- weisen und seine Boten verfolgen.

Noch folgenreicher ist es, wenn die Boten gar die Einladung nicht mehr aussprechen, wenn sie sich einschüchtern lassen durch die Bosheit der Geladenen oder wenn sie müde werden und unsicher und  sich einfach anpassen.  Wenn sie ihrer hohen Berufung untreu werden und sich jenen anpassen, die Gott zurückweisen, und sich schadlos halten an den Freuden dieser Welt.

Das ist der eine Aspekt des Gleichnisses: Gottes Einladung an den Menschen zum Gebet und zum Gottesdienst und zum Leben in Verantwortung vor ihm. Es gibt aber noch einen zweiten Aspekt dieses Gleichnisses: Es fand sich beim königlichen Hochzeitsmahl einer, der kein hochzeitliches Gewand angelegt hatte. Das Schicksal, das ihm zuteil wurde, war nicht an- ders als das jener, die die Einladung überhaupt verschmäht hatten.

Auch dieser Fall ist heute nicht gerade selten. Manche folgen heute nämlich der Einladung Gottes, aber nur äußerlich, sie tun so als ob. Sie empfangen etwa das Sakrament der Eucha- ristie ohne die notwendige innere Disposition oder sie machen mit in den Gremien und in den Vereinen der Kirche, etwa im Pfarrgemeinderat, ohne sich ernstlich um ein christliches Leben zu bemühen.  

Mit dem hochzeitlichen Gewand ist die heiligmachende Gnade gemeint, das göttliche Le- ben, die Frucht der Erlösung. Und der, der ohne das hochzeitliche Gewand gekommen war, er war der Einladung nur äußerlich gefolgt. Er wäre besser daheim geblieben.

Es ist sicherlich erfreulich, wenn viele die heilige Kommunion empfangen, aber es geht nicht mit rechten Dingen zu, wenn die Gebote Gottes immer mehr missachtet werden und wenn das Bußsakrament immer weniger geschätzt wird, gleichzeitig aber das eucharistische Sakrament immer häufiger empfangen wird.

Zudem ist es doch so: Wer sich einsetzt für die Kirche, der muss sich zunächst ernsthaft dar- um bemühen, in der Freundschaft Gottes zu leben und die Gebote Gottes zur Richtschnur seines Lebens zu machen. Sonst sollte er lieber wegbleiben. Es geht hier um die Konse- quenz.

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Gott ruft uns, er lädt uns ein zum Gebet und zum Gottesdienst, zum Gastmahl seiner Liebe, zu einem Leben in der Gemeinschaft mit ihm und zur Erfüllung seiner Gebote. Es ist ver- hängnisvoll, wenn wir seiner Einladung nicht folgen. Nicht weniger verhängnisvoll ist es aber, wenn die Boten resignieren und sich von der Gleichgültigkeit derer anstecken lassen, die sie einladen sollen. Wenn wir aber der Einladung Gottes folgen, so darf das nicht nur äußerlich geschehen, ohne ein hochzeitliches Gewand. Es ist der Geist des Unglaubens, der uns zur Veräußerlichung des religiösen Tuns führt. Aber wie wollen wir vor Gott bestehen, wenn wir ihn nicht mehr ganz ernst nehmen? Amen.

 

PREDIGT ZUM 27. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 5. OKTOBER 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„TRAGT ÜBERALL IN GEBET UND FLEHEN EURE ANLIEGEN
MIT DANKSAGUNG VOR GOTT“

Am heutigen Sonntag wird vielerorts das Erntedankfest begangen. Die Lesung, die wir so- eben vernommen haben, weist uns darauf hin, dass all unsere Gebete aus dem Geist der Dankbarkeit hervorgehen müssen. Nun ist es mit der Dankbarkeit nicht weit her bei den Men- schen, das gilt auch für die Christen - Undank ist der Welt Lohn, sagt das Sprichwort -, aber heute gilt das weit mehr als je zuvor. Dagegen spricht nicht der häufige Gebrauch der ent- sprechenden Worte oder die Tatsache, dass uns das Danken heute leicht von den Lippen geht. In der Tat steht das Danken heute hoch im Kurs. Das erfahren wir, wo immer Reden gehalten werden. Das gilt für kirchliche Feiern nicht weniger als für weltliche. In wenigen Minuten wird dabei das Wort „danken“ oft zigmal verwendet. Wir müssen jedoch unter- scheiden zwischen den Worten und dem Denken und dann noch einmal zwischen den Worten und den Taten.

Wer kritisch unsere Zeit betrachtet, dem wird es unwohl bei dem übermäßigen Gebrauch des Wortes „danken“. Denn das Meiste ist da geheuchelt, bewusst oder unbewusst, meistens geht es dabei um leere Worte. Faktisch ist es so, dass es heute nur wenige Tugenden gibt, die so selten geworden sind wie die Dankbarkeit. Das ist wiederum nicht überraschend, denn die Menschen sprechen stets besonders gern und häufig von jenen Eigenschaften, be- sonders auch von jenen Tugenden, die sie nicht haben oder die sie am wenigsten haben. Das tun sie, um ihre Fehler vor sich selbst und vor den anderen zu verbergen.

Die Inflation des Dankens heute gründet letzten Endes in unserer inneren Leere und - in un- serer (man kann schon beinahe sagen) konstitutiven Unehrlichkeit.

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Die Dankbarkeit ist eine grundlegende christliche Tugend. Als Christen müssen wir uns gewi- ssenhaft darum bemühen, aus der Dankbarkeit und in ihr zu leben. Unser zentraler Gottes- dienst hat von daher seinen Namen. Eucharistia bedeutet Danksagung.

Wie man alle Tugenden lernen kann durch Übung, so gilt das auch für die Dankbarkeit. Auch sie lernt man durch Übung. Worum aber geht es in dieser Tugend?

Wenn ich mich bei jemandem bedanke und es ehrlich meine, so sage ich ihm: Ich bin dir et- was schuldig. Du hast mich beschenkt, du hast mir etwas gegeben, worauf ich keinen An- spruch habe, du hast mir mehr gegeben, als ich verdient habe. Das will ich wieder gut ma- chen, nicht materiell, das vielleicht auch, wenn es möglich ist oder auch gelegentlich, aber vor allem ideell. Der Dankbare macht das wieder gut, was er schuldig geworden ist. In erster Linie tut er das ideell, durch Wertschätzung und Liebe und durch Nachahmung. Durch Nach- ahmung, das heißt: Ich behandle den, dem ich zu Dank verpflichtet bin, und alle anderen in Zukunft so, wie dieser mich behandelt hat. Wie ich selber beschenkt worden bin, so werde ich andere beschenken. Wertschätzung, Liebe und Nachahmung, das ist gemeint mit dem Danken und mit der Dankbarkeit, ob wir nun unseren Mitmenschen oder Gott unse- ren Dank aussprechen.

Eine solche Haltung setzt indessen Ehrlichkeit voraus, Ehrlichkeit, aber auch Gerechtigkeit und Demut. Das heißt: Wenn wir lernen wollen, dankbar zu sein, müssen wir uns zuvor um die Ehrlichkeit, um die Gerechtigkeit und um die Demut bemühen. Vielen Menschen fehlt es aber bereits an diesen Tugenden. Deshalb heucheln sie Dankbarkeit, wenn es zum guten Ton gehört oder wenn sie Nutzen daraus ziehen können.

Es ist heute, wie gesagt, ungewöhnlich viel vom Danken die Rede, aber sehr oft ist es nicht so gemeint, wie es gesagt wird. Denn nicht wenige sind zutiefst davon überzeugt, sie den- ken es, zuweilen sagen sie es auch, dass sie keinen Grund haben zu danken, dass sie alles, was sie haben, einzig und allein sich selber zuschreiben, ihrer Tüchtigkeit, ihrer Arbeit, ihrem Fleiß, ja, dass sie auch gar nichts geschenkt haben wollen.

Was ihnen fehlt, das ist die Ehrlichkeit, zunächst, dann aber auch die Gerechtigkeit und die Demut. Oder - sie denken einfach zu wenig nach. Auch das erklärt vieles.

Wenn wir unbefangen auf die Wirklichkeit schauen, erkennen wir, dass wir fast alles unse- ren Mitmenschen zu verdanken haben. Was wir ihnen zu verdanken haben, das ist in der Tat sehr viel, aber mehr noch haben wir Gott zu verdanken. Denn er ist der Geber aller Gaben, stehen doch seine Güte und seine Liebe hinter allem.

Sehr oft ernten wir das, was andere gesät haben. Allzu oft gilt: Der eine sät, der andere ern- tet. Wenn wir aber das ernten, was wir selber gesät haben, dann dürfen wir nicht verge- ssen, dass unser Bemühen immer auch die Fähigkeit dazu voraussetzt. Diese aber verdan- ken wir anderen Menschen und letztlich Gott.

Wenn es uns aber schlecht geht, wenn uns vieles fehlt und wenn wir meinen, wir hätten kei- nen Grund zum Danken, dann müssen wir uns daran erinnern, dass es immer noch andere gibt, die weniger haben.

Schon unser Dasein ist nicht unser Verdienst, wir haben es uns nicht selbst gegeben, und wir haben es uns nicht verdient. Letztlich verdanken wir all unsere Gaben Gott, die natürlichen wie auch die übernatürlichen. Wenn wir aber ganz in Gott verwurzelt sind, können wir ihm gar auch danken für das Leid und für die Tränen, weil wir dann auch wissen, dass Gott uns durch Leid zum Heil führt.

Die Dankbarkeit hat die Ehrlichkeit zur Voraussetzung, aber auch die Gerechtigkeit und die Demut. Es ist ungerecht, wenn wir uns selber das zuschreiben, was wir den Mitmenschen zu verdanken haben. Und es ist anmaßend, wenn wir uns dessen rühmen, was uns geschenkt worden ist, auch wenn wir das nur denken.

Die Dankbarkeit ist ein Ansporn zur Liebe und zur Wertschätzung, und sie spornt uns an zur Nachahmung. Sie schafft Gemeinschaft, die ehrliche, nicht die geheuchelte Dankbarkeit, sie verbindet die Menschen miteinander, während die Undankbarkeit sie auseinanderführt, sie auf sich selbst zurückwirft. Sie ist zerstörerisch, die Undankbarkeit, weil sie nicht wirklich- keitsgemäß ist.

Die Dankbarkeit baut Brücken. Viele leiden heute unter der Einsamkeit, wobei Einsamkeit nicht unbedingt Alleinsein bedeutet. Denn man kann auch unter Menschen einsam sein, ein- samer, als wenn man wirklich allein ist. Diese Einsamkeit, diese Gemeinschaftsunfähigkeit, zeigt sich heute in den verschiedensten Bereichen, in den Ehen, die immer zerbrechlicher werden, im Auseinanderfallen der Familien, in der Rivalität im beruflichen Lebens, in der Zerrissenheit im politischen Leben, aber auch im Auseinanderdriften der Menschen und Gruppen in der Kirche, wo sich der zerrinnende Glaube nicht mehr als Klammer bewährt.

Ein bedeutendes Heilmittel ist hier die Dankbarkeit. Denn sie verbindet uns nicht nur mit den Menschen, sie verbindet uns auch mit Gott. Wenn die Undankbarkeit die Menschen vonein- ander scheidet und die Dankbarkeit Gemeinschaft hervorbringt, so gilt das auch für das Verhältnis zu Gott. Wenn Gott uns so fern ist - viele klagen darüber und wir selbst empfinden die Gottesferne oft schmerzlich -, so ist ein entscheidender Grund unsere Undankbarkeit.

In der Liebe und Wertschätzung ahmen wir jene nach, denen wir zu Dank verpflichtet sind. Denn immer ist es die erfahrene Liebe, für die wir zu danken haben.

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Die Tugend der Dankbarkeit steht heute zwar hoch im Kurs, scheinbar, in Wirklichkeit aber ist sie selten geworden. Sie setzt die Tugenden der Ehrlichkeit, der Gerechtigkeit und der Demut voraus und - ein wenig Nachdenken. Sie verbindet uns mit den Menschen und mit Gott, wie die Undankbarkeit uns isoliert, uns auf uns selbst zurückwirft und uns in die Ein- samkeit führt. Die Dankbarkeit führt uns zur Liebe, zur Gottes- und zur Nächstenliebe, zur Wertschätzung und zur Nachahmung und damit auch zur Freude. Denn wahre Freude grün- det nicht im Genuss und im Gebrauch dessen, was uns zusteht, sondern in der Geborgenheit der Liebe und in dem Bewusstsein, reich beschenkt zu sein, reich beschenkt zu sein von gu- ten Menschen und vor allem reich beschenkt zu sein von Gott. Amen.

 

PREDIGT ZUM 26. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 28. SEPTEMBER 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„JOHANNES IST GEKOMMEN, ER LEBTE GERECHT, UND IHR HABT SEINEM
WORT KEINEN GLAUBEN GESCHENKT“

Die Gleichnisse Jesu sind überraschend in ihrer Einfachheit und in ihrer Klarheit. Im Gleich- nis des heutigen Sonntagsevangeliums ist von zwei Menschen die Rede, die zwei Men- schengruppen vertreten. Die eine Gruppe: Sie reden viel und tun wenig, sie sagen immer „ja“ und tun doch, was sie wollen. Sie wollen den Schein wahren, es kommt ihnen darauf an, dass sie wenigstens nach außen hin einen guten Eindruck machen. Im Raum des Reli- giösen sind das zunächst die Heuchler, die den Willen Gottes kennen, ihn aber nur äußerlich erfüllen. Sie machen äußerlich mit, tun das aber ohne die innere Umkehr, ohne das Bemü- hen um den selbstlosen Einsatz, den der Glaube fordert. Zu dieser Gruppe gehören aber auch die, die wohl wollen, zunächst, aber sobald sich Schwierigkeiten ergeben, wieder aus- steigen, jene, die immer nur mit halbem Herzen wollen. Für die einen wie für die anderen ist die Religion nur Theorie. Das verbindet diese zwei Typen miteinander. Es fehlt ihnen die Praxis. Sie sind wie Blüten, aus denen keine Frucht hervorgeht. Sie machen Worte, aber es folgen keine Taten bei ihnen.

Was helfen Vorsätze, wenn sie nicht verwirklicht, geniale Entwürfe, wenn sie nicht ausge- führt werden? Programme auf dem Papier, große Reden, ja, geistreiche Aufsätze und an- spruchsvolle Bücher über Gott und die Kirche sind Wortgeklingel, leerer Schall, wenn ihnen nicht Taten vorausgehen oder nachfolgen. Eine Frömmigkeit, die nur auf dem Papier steht, ist Schein, sie verfängt nicht, verfangen, das tut allein der Praxis der Frömmigkeit im alltäg- lichen Leben. Der devote Sohn findet keine Gnade im Gleichnis des Evangeliums.

Die andere Gruppe: Sie sagen „nein“, besinnen sich aber bald. Menschen des Widerspruchs sind sie, äußerlich grob und oppositionell, scheinbar pietätlos, wie manchmal heranwach- sende Kinder in der Familie, aber hinter der rauhen und harten Schale verbirgt sich hier ein guter Kern. Bei dieser Art von Menschen eilt das Reden oft dem Denken voraus, aber wenn das Denken nachfolgt, bestimmt es das Handeln. Sie sind nicht scheinfromm, im Gegenteil, sie scheinen unfromm zu sein, in Wirklichkeit aber, in der Tiefe ihres Wesens suchen sie Gott, geben sie der Wahrheit die Ehre. Sie haben einen guten Willen, verraten das jedoch nicht jedem. Wenn sie sündigen, kehren sie wieder um, weil sie ein Gewissen haben, das funktioniert.

In den Evangelien gehören zu der ersten Gruppe die Pharisäer, zu der zweiten die Zöllner und Sünder, die von den Ersteren verachtet werden, die aber zur Einsicht kommen und um- kehren. Darum werden sie von Jesus gelobt, nicht weil sie sich abwenden, sondern weil sie zur Einsicht kommen. Auch dieser Typus von Menschen ist nicht ideal, wenngleich er schon etwas besser ist als der andere. Er erreicht auf jeden Fall das Ziel. Darauf aber kommt es an.

Das Christentum kennt keinen Riss zwischen Theorie und Praxis. Die Theorie muss der Pra- xis entsprechen und die Praxis der Theorie. Worte ohne Taten zählen nicht, aber Taten, die nicht mit den Worten übereinstimmen, sie zählen, denn stets sind die Taten wichtiger als die Worte.

Darum gibt es unausgesprochen einen dritten Sohn, so könnten wir das Gleichnis weiter- führen. Hinter ihm steht eine dritte Gruppe von Menschen, nämlich jene, die „ja“ sagen und entsprechend handeln. Sie sagen „ja“ zu Gottes Forderungen und stehen dazu. Bei ihnen gehören Wort und Tat zusammen.

Für diese dritte Gruppe steht Christus selber, der Menschensohn, der zugleich der Gottes- sohn ist. Sein Leben ist ein einziges Ja zum Vater, in der Theorie und in der Praxis. Er besie- gelt es durch die Hingabe seines Lebens am Kreuz. Bis in den Tod hält er seinem Jawort die Treue.

Die ideale Haltung des Christen ist die des dritten Sohnes, die Haltung Christi. Gegen Aufbe- gehren, Rebellieren, Widerstand und Widerspruch, gegen den Oppositionsgeist gegenüber Gott und seiner Ordnung setzt er die Hingabe an den großen und heiligen Willen Gottes. Nicht schwächliches Sicheinfügen, sondern tapferes Hinauswachsen über sich selbst, Hinein- wachsen in die Größe des göttlichen Wollens.

Wir können noch eine vierte Gruppe von Menschen hinzunehmen, nämlich jene, die „nein“ sagen und „nein“ meinen, die bei ihrem Widerspruch bleiben. Das sind die Stolzen, die un- beirrbar den Weg ins Verderben gehen, in das zeitliche und in das ewige Verderben.

Das Thema der Lesung des heutigen Sonntags ist im Grunde das gleiche wie das des Evan- geliums, wenn die Lesung uns ermahnt: Seid so gesinnt wie Christus! Auf das Herz kommt es an, denn das Herz bewegt uns zur Tat, nicht der Verstand. Christus hatte nicht den Beifall der Massen, er fand nur die Anerkennung  weniger. Diese wenigen aber gaben der Wahrheit und der Gerechtigkeit die Ehre.

Um den Beifall der wenigen und um den Beifall Gottes, darum sollten wir uns bemühen, er muss eigentlich unsere einzige Sorge sein. Wenn dem so ist, werden wir gelassener in unse- rem Leben und auch tapferer.

Wenn Menschen so arg beliebt sind und bei allen  ungeteilte Anerkennung finden, so muss uns das eigentlich skeptisch machen. Die Anerkennung der Menschen zu finden, das ist nicht schwer, wenn man ein leichtes Gewissen hat. Viele buhlen um die Gunst der Massen. Wir erleben das heute bei Politikern und bei Kirchenleuten, Menschen mit der Gesinnung von Funktionären, so könnte man vielleicht sagen. In der Sprache der Bibel verkaufen sie ihr Erstgeburtsrecht um ein Linsengericht, wie es einst Esau getan hatte, der Erstgeborene des Patriarchen Isaak.

Viele buhlen um die Anerkennung der Menschen. Aber wenn man an Gott und seine Offen- barung und an die Ewigkeit nicht mehr recht glaubt, dann ist die Anerkennung der Men- schen das einzige, das einem noch bleibt. Diese Tatsache erklärt nicht wenige Missstände in Kirche und Welt. Wo der Glaube schwach geworden ist, da sucht man die Ehre bei den Menschen, koste es, was es wolle.

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Vier Menschengruppen, zwei Gruppen von Ja-Sagern und zwei Gruppen von Nein-Sagern. Auf das Ja kommt es an, auf das bleibende Ja. Die Heilige Schrift füllt dieses Ja mit der Mahnung: Seid so gesinnt wie Christus! Letztlich darf es uns nicht um die trügerische Ehre der Menschen gehen, muss es uns stets um die verlässliche Ehre bei Gott gehen. Sie ist der Lohn für die Taten, die aus dem Glauben folgen, der Lohn für unseren Einsatz für die Wahrheit und für die Gerechtigkeit. Amen.

 

PREDIGT ZUM 25. SONNTAG IM KIRCHENJAHR AM 21. SEPTEMBER ZUM THEMA DER VEREHRUNG DER HEILIGEN ENGEL

„IHR WERDET DEN HIMMEL OFFEN UND DIE ENGEL AUF- UND
NIEDERSTEIGEN SEHEN”

Der September ist von altersher dem Gedenken der heiligen Engel geweiht. Die Verehrung der Engel ist in den letzten Jahren sehr in den Hintergrund getreten. Vielfach hat sich in uns die Vorstellung breit gemacht, Engelverehrung, das sei bestenfalls etwas für kleine Kinder. Wir haben die Engel in bedenklicher Weise in die Nähe der Märchengestalten gerückt. Schuld daran ist nicht zuletzt ihre bildliche Darstellung. Hier besteht eine grundsätzliche Verlegenheit, denn Engel sind reine Geister. Wie aber soll man Geister darstellen? Das geht eigentlich gar nicht, denn sie sind unsichtbar. Sie sind ebenso unsichtbar, wie auch Gott und unsere eigene Seele unsichtbar sind, sie sind ebenso unsichtbar, wie auch der auferstande- ne Christus unsichtbar ist.

Jede Darstellung der Engel kann nur ein Hinweis sein auf ihre Eigenschaften oder auf ihre Tätigkeiten und ihre Aufgaben. Sie muss vor allem so sein, dass uns die unausdenkbare Größe und Majestät dieser Wesen sogleich zum Bewusstsein kommt. Das ist nicht unbedingt gewährleistet, wenn man sie als Kinder darstellt, mit Flügeln, wie es in der Kunst seit etwa 500 Jahren geschieht. Vorher, in früheren Engeldarstellungen, wird eher der über-irdische Glanz dieser Wesen deutlich, ihre Geheimnishaftigkeit, ihre Macht und ihre Grö-ße.

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Die Offenbarung sagt uns, dass Gott außer der sichtbaren Welt eine unsichtbare Welt ge-schaffen hat, die Welt der Geister. Das haben nicht wir uns ausgedacht, das hat Gott selbst uns mitgeteilt, das sagt uns die Offenbarung, eine Kunde aus der jenseitigen Welt. Nun sagen viele heute: Es gibt nur das, was sichtbar ist. Die Zahl derer, die so reden,  scheint im Wachsen begriffen zu sein. Es gibt nur das, was sichtbar ist, das sagen nicht wenige Menschen, die in ihrer Umwelt als besonders klug gelten. Nur das Sichtbare gelten zu lassen, ist jedoch töricht, denn wenn wir auf die Wirkungen schauen, so gibt es viele Ursachen, die wir nicht sehen können. Wir Menschen gehören der sichtbaren und der unsichtbaren Welt an, sofern wir aus einem sichtbaren und einem unsichtbaren Element zusammengesetzt sind, aus dem sichtbaren Leib und der unsichtbaren Seele. Das ist die conditio humana, die zugleich unsere Größe und unser Elend ist. Wir sind Wanderer zwischen zwei Welten, wir sind unterwegs zur unsichtbaren Welt hin.

Gott hat die unsichtbare Welt aus dem gleichen Grund geschaffen, aus dem er auch die sichtbare Welt geschaffen hat, aus Liebe. Daher ist die Bestimmung der unsichtbaren Welt die gleiche wie jene der sichtbaren Welt, nämlich dass sie ihren Schöpfer lobt und preist.

Ist auch die Welt der Geister unsichtbar, so gibt es doch mannigfache Beziehungen von dort nach hier: Gott hat seine Engel nicht selten in Dienst genommen und sie zu unserem Schutz und zu unserer Hilfe aufgeboten. Ja, er nimmt die Engel immerfort in Dienst, indem er sie uns als Schutzengel zur Seite stellt. Von daher haben sie ihren Namen, denn Engel, das ist ein Wort, das wir aus dem Griechischen übernommen haben, es bedeutet soviel wie Bote. Gott nimmt die Engel in seinen Dienst, er sendet sie als seine Boten aus, zur Hilfe, zum Heil und zum Segen der Menschen.

In der Heiligen Schrift ist immer wieder vom Dienst der Engel die Rede: Ein Engel schlug die Erstgeburt der Ägypter vor der Befreiung der Israeliten, Engel dienten Jesus in der Wü-ste und am Ölberg, Christus wird am Ende der Tage wiederkommen mit seinen Engeln, Engel werden beim Jüngsten Gericht die Guten von den Bösen scheiden.

Vor allem aber hat Gott, das dürfen wir nicht vergessen, uns allen, einem jeden von uns, einen Schutzengel zur Seite gegeben, der uns begleitet, der uns behütet in den Gefahren des Leibes und der Seele, wenn wir auf ihn hören.

Drei Engel sind uns namentlich bekannt aus der Heiligen Schrift, wir nennen sie Erzengel: Michael, Gabriel und Raphael. Sie sind von Gott in der Geschichte des Heiles mit besonde- ren Aufträgen betraut worden, mit Aufträgen, die jeweils durch ihre  Namen angedeutet wer- den.

Der Name Michael bedeutet: Wer ist wie Gott? Das ist ein Name wie ein Schlachtruf. Am Morgen der Schöpfung vollzog Michael den Auftrag der Scheidung zwischen den guten und den bösen Engeln. Am Abend der Welt wird er den Antichristen vernichten, wie die Geheime Offenbarung sagt, und die neue Welt heraufführen. Der Kampf gegen das Böse und gegen alles Gottfeindliche, er ist gleichsam das Wesen dieses Engels.

Der Kämpfer gegen das Böse und gegen alles Gottfeindliche wird von alters her auch als der verehrt, der die Toten hinüberführt in das Licht des ewigen Gottes.

Wir sind in den gleichen Kampf hineingestellt wie der Erzengel Michael und wir alle müssen einmal über die Schwelle des Todes hinübergehen. Dabei bedürfen wir der Hilfe des Engels.

Das Böse, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, hat viele Gesichter. Unser Gegenüber sind die Mächte der Finsternis in der Gestalt des Unglaubens, der Gottlosigkeit, der Verlo- genheit, der Triebhaftigkeit, der Leidenschaftlichkeit, der Unbeherrschtheit, der Unbotmä- ßigkeit, des Übermutes, der Verantwortungslosigkeit. Da gilt es zu kämpfen. Wer nicht kämpft, der hat schon verloren.

In den schweren Zeiten des zweiten Weltkriegs beteten wir im Anschluss an jede heilige Messe in einem Gebet zum heiligen Erzengel Michael: „Stürze den Satan und die anderen bösen Geister, die in der Welt umherziehen, hinab in den Abgrund der Hölle“. Dieses Gebet hat neue Aktualität erhalten. Denn die Auseinandersetzung ist heute nicht weniger grundle- gend. Damals waren es die braunen Teufel, aber die Teufel brauchen keine Farbe, um sich zu verstecken. Zudem stehen sie heute, anders als damals, teilweise innerhalb des Volkes Gottes und unterminieren die Kirche und ihren Glauben, oftmals in der Gestalt von Pseudo- propheten.

Gabriel bedeutet Gottes Stärke. Er bringt den Menschen bedeutsame Botschaften Gottes. Er hat Maria und der Welt die Botschaft von der Menschwerdung Gottes gebracht. Schon im Alten Testament hat er dem Propheten Daniel Gottes Weisung übermittelt.

Wir alle sind berufen, die Botschaft Gottes den Menschen zu sagen: Die Eltern in der Fami- lie, die, die im öffentlichen Leben stehen und Verantwortung tragen, müssen sich bemühen, Gott und seiner Botschaft in der Öffentlichkeit Gehör zu verschaffen, wir alle aber dürfen uns nicht fürchten, die Botschaft Gottes in unserer kleinen Welt zu bezeugen, im Alltag unseres Lebens, und sie gar auch denen zu sagen, die sie nicht einmal hören wollen, die sich vielleicht bewusst dagegen sträuben. Mit uns ist Gabriel, wenn wir ihn anrufen, wenn wir uns mit ihm geistigerweise verbinden.

Der Erzengel Raphael ist uns bekannt aus der Tobiasgeschichte. Sein Name bedeutet: Gott heilt. Gott will auch heute die leidende Menschheit heilen, die seelisch-geistig und körperlich daniederliegt, er will sie heilen durch uns. Wir sollen die heilenden Kräfte des Glaubens und der Liebe zu den Menschen tragen, in der Gemeinschaft mit Raphael.

Raphael ist aber auch der besondere Schutzherr der Reisenden. Wie viele Menschen sind auf den unzählbaren Straßen dieser Welt unterwegs? Und wie viele kommen nicht ans Ziel? Und wie viele machen große und weite Umwege? Sie würden ihr Ziel erreichen oder sicherer und schneller zu ihrem Ziel gelangen, wenn sie sich den Erzengel Raphael zum Reisebegleiter erwählen und wenn sie auf seine Weisungen hören würden. Aber wichtiger als die irdischen Ziele, die wir ansteuern, ist das ewige Ziel. Um das zu erreichen, bedürfen wir des Erzengels Raphael vor allem und in erster Linie.

Ein altes Gebet lautet: Raphael und Tobias, sie seien mir Begleiter auf meiner Reise, in der Sprache der Kirche: Raphael cum Tobia sint mihi comites in via. Zuweilen wurde es noch er- weitert, indem der Erzengel Gabriel und die Gottesmutter mit einbezogen wurden. Dann lau- tete es: Gabriel und Maria, Raphael und Tobias, sie seien mir Begleiter auf meiner Reise, in der lateinischen Version: Gabriel cum Maria, Raphael cum Tobia, sint mihi comites in via.

Wir können und sollen den Menschen zu Hilfe kommen auf ihrer Reise in die Ewigkeit, in der Kraft des Erzengels Raphael. Ja, Raphael will uns selber sicher ans Ziel führen und uns vor allem Schaden an Leib und Seele bewahren, wenn wir es möchten und wenn wir uns ihm anvertrauen.

*

Engelverehrung ist nicht nur etwas für unmündige Kinder, sondern als erwachsene und mündige Christen sollen wir wissen um die Größe und Macht der Engel. Sie erinnern uns an unsere Berufung zum Kampf gegen das Böse in allen seinen Formen, an unsere Berufung zur Verkündigung der Botschaft Gottes und an unsere Berufung, der Welt die heilenden Kräf- te der Gnade zu vermitteln und den Menschen Wegweiser zu sein auf den Straßen ihres Le- bens, Wegweiser zum ewigen Vaterhaus. In den vielfältigen Aufgaben unseres Lebens stehen sie uns zur Seite, sie begleiten und beschützen uns in allen Gefahren. Nicht nur der Schutzengel steht uns zur Seite, viele Engel begleiten und beschützen uns, wenn wir auf sie hören und sie anrufen. Gott hat uns berufen, mit den Engeln und wie die Engel zu leben. Verbunden sollen wir sein mit ihnen im Gebet, und nachahmen sollen wir sie in ihrer Vollkommenheit.  Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST KREUZERHÖHUNG AM 14. SEPTEMBER 2008, GEHALTEN
IN FREIBURG, ST. MARTIN,

„SO SEHR HAT GOTT DIE WELT GELIEBT, DASS ER SEINEN
EINGEBORENEN SOHN DAHINGAB“

Das Fest Kreuzerhöhung - es verdrängt heute die Feier des 24. Sonntags im Kirchenjahr - greift das Thema des Karfreitags auf, unsere Erlösung durch den Tod Christi. Es knüpft an ge- schichtliche Ereignisse an, die ein dankbares Zeugnis der Verehrung des Kreuzes in der Frühzeit der Kirche sind. Ursprünglich wurde dieser Festtag nämlich als Jahrestag der Ein- weihung der Grabeskirche in Jerusalem begangen. Kaiser Konstantin hatte sie am Beginn des 4. Jahrhunderts errichtet, die Grabeskirche. Aber schon bald wurde das Fest in Bezie- hung gesetzt zur Auffindung des des Kreuzes Christi durch die Mutter des Kaisers Konstantin, durch die Kaiserin Helena, die gemäß einer alten Legende drei Kreuze aufgefunden hatte, das Kreuz Christi und die Kreuze der beiden Schächer, die zusammen mit Christus gekreu- zigt worden waren. Schon bald wurde, im Anschluss an diese Legende, das Kreuz Christi in der Grabeskirche in Jerusalem mit großer Ehrfurcht als Reliquie verehrt. Damit setzte über- all, in allen Gegenden der damaligen Welt, die Verehrung des Kreuzes Christi ein. Seitdem tauchten in diesem Zusammenhang immer wieder auch Partikel des heiligen Kreuzes auf. Im Jahre 614 wurde das Kreuz Christi bei der Eroberung Jerusalems nach Persien gebracht. 15 Jahre später trug der griechische Kaiser Heraklius die kostbare Reliquie in einem trium- phalen Zug nach Jerusalem zurück. Auch darauf nimmt das Fest Bezug von altersher. 

Das Kreuz ist das Zeichen unserer Erlösung. Und es ist das entscheidende Symbol des Chri- stentums und seines Stifters. Darum hat man es immer wieder abgebildet, in immer neuen Darstellungen. Und das schon seit zwei Jahrtausenden. Das Kreuz Christi, wir hängen es an die Wände unserer Wohnungen, wir richten es auf an den Straßen und Wegen, wir bezeich- nen uns immer wieder mit ihm, wenn wir zu beten anfangen und wenn wir unser Gebet be- schließen, wenn wir eine wichtige Aufgabe zu erfüllen haben, wenn wir unser Tagewerk be- ginnen oder zu Ende geführt haben.

Immer wenn wir das Kreuz anschauen und wenn wir uns mit dem Kreuz bezeichnen, darf das nicht gedankenlos geschehen, müssen wir daran denken: Alles Heil kommt durch das Kreuz. Und wir müssen uns immer mehr die Wahrheit zu Eigen machen, dass wir zum Ge- folge des Gekreuzigten gehören. Gerade das muss heute mit großem Nachdruck gesagt werden, weil das Christentum mannigfachen Umdeutungen unterliegt, ja, in fataler Weise entleert wird. Das Kreuz und unsere Stellung zum Gekreuzigten, das ist das unterscheidend Christliche.

Im Kreuz definiert sich das Christentum, das authentische Christentum. Wenn wir wirklich Christen sind, müssen wir es uns stets vor Augen halten, dass alles Heil uns und der Welt durch das Kreuz zukommt, durch das Geheimnis des Kreuzes, das heute weithin innerlich ausgehöhlt und zu einer leeren Worthülse geworden ist in der Christenheit. Das zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass wir, die wir das Kreuz verbaliter noch ernst nehmen, vielfach an den Darstellungen des Gekreuzigten, wo immer sie uns begegnen, vorbeisehen und dass wir das Zeichen des Kreuzes allzu oft gedankenlos machen.

Das Geheimnis des Kreuzes ist heute weithin entleert, wie auch das, was es bezeichnet. Ent- leert ist die Erlösung, in der Verkündigung wie auch in unseren Gebeten, obgleich unser zentraler Gottesdienst nichts anderes ist als die Feier des Kreuzes, als die Feier des Kreuzes- opfers unseres Erlösers.

*

Über zwei Punkte wollen wir heute morgen nachdenken, erstens über die Frage: Was meint die Erlösung?, zweitens über die Frage: Wie sollen, wie müssen wir als Erlöste leben?

Das Wort “Erlösung” ist unmodern geworden. Man möchte es ersetzen durch das Wort “Be- freiung”. Dann wird Christus, der Erlöser, zum Befreier. Das ist nicht unbedingt falsch, denn erlösen heißt in der Tat befreien. Allerdings denken wir bei dem Wort “befreien” eher an eine äußere Gefangenschaft, an äußere Unfreiheit. Die Erlösung meint jedoch die Befreiung von der Sünde, zumindest in erster Linie, die Befreiung vom Teufel, die Befreiung von der Versklavung an die Sünde, die ihrerseits der tiefere Grund ist für alle innere, aber auch letz- ten Endes für alle äußere Unfreiheit. Wenn alle als Erlöste leben würden, dann gäbe es kei- ne Versklavung mehr in unserer Welt. Versklavung finden wir dort, wo Gott geleugnet wird, wo man das eigene Ich zum Gott erhebt, wo der Unglaube herrscht, wo man die Gebote Got- tes verachtet und wo man die Botschaft Gottes verrät. Da wird man innerlich unfrei, und da, wo man innerlich unfrei geworden ist, wo man selber ein Sklave geworden ist, da versklavt man die Mitmenschen, ja, da versklavt man ganze Völker, wenn man nur die Möglichkeit dazu hat.

Wenn wir uns nicht selbst bezwingen, dann werden wir bezwungen. Und der inneren Halt- losigkeit folgt wie ein ehernes Gesetz der äußere Zwang der Dressur.

Der innere und der äußere Zwang, er betrifft auch jene, die sich Christen nennen, die damit jedoch den Erlöser und die Erlösung verraten. Sie nennen sich Christen, sind es aber nicht in der Wirklichkeit.

Wo die Erlösung gelebt wird, da herrscht die innere Freiheit, und wo die innere Freiheit herrscht, da herrscht auch die äußere Freiheit.

Die Erlösung meint in erster Linie die Befreiung von der Sünde und damit die Befreiung zur Liebe Gottes und zu den dieser Liebe entsprechenden Taten, zu einem Leben nach den Ge- boten Gottes.

Christus hat uns erlöst durch seinen Tod. Das Instrument seines Todes aber war das Kreuz. Aus Liebe und im Gehorsam hat er den Tod auf sich genommen, aus Liebe zu Gott und zu den Menschen und im Gehorsam gegenüber dem Vater im Himmel. Gott hatte seinen Sohn bereits aus Liebe zu den Menschen in unsere Welt gesandt, um alle zu retten. So heißt es im Evangelium des heutigen Festes. Er starb dann aus Liebe im Gehorsam.

Gottes Liebe und der Weg zu dieser seiner Liebe, das ist für uns ein Geheimnis, aber wir wi- ssen, dass wir darin frei geworden sind, in diesem Geheimnis, dass wir darin frei geworden sind von der Sünde und ihrer zerstörenden Macht. Freilich nicht so, als ob wir diese Freiheit nicht wieder verlieren könnten. Viele haben sie wieder verloren, endgültig, wie es scheint, und auch wir haben sie vielleicht schon wiederholt verloren, sie aber hoffentlich dann im- mer wieder aufs Neue durch eine gute Beichte zurückerhalten.

Damit sind wir aber schon bei dem zweiten Punkt unserer Überlegungen angekommen, nämlich bei der Frage, wie wir als Erlöste leben können, sollen und müssen.

Die Liebe des Erlösers hatte die Gestalt des Gehorsams. Er war gehorsam aus Liebe. Immer ist es nun so, dass die Liebe mit der Liebe beantwortet werden muss. Geschieht das nicht, so bleibt sie unwirksam. Das heißt: Die Liebe des Erlösers verpflichtet uns. Nur wenn wir sie erwidern, bewahren wir, können wir das Geschenk der Erlösung bewahren. Dabei muss auch unsere Liebe - nicht anders als die Liebe des Erlösers - die Gestalt des Gehorsams haben, des demütigen Gehorsams gegenüber Gott, in welchem wir immerfort fragen, was Gott von uns will, was er von uns erwartet. So - und nur so - können wir die innere Freiheit bewahren und die äußere Freiheit in die Welt hineintragen, sie den Menschen entgegen- bringen, die mit uns leben, die Gott uns überantwortet hat.

Wenn wir als Erlöste leben wollen, müssen wir allezeit das Kreuz Christi vor Augen haben, um immerfort den Gehorsam des Gekreuzigten aus Liebe nachzuahmen.

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Gott will alle Menschen retten. Das sagt das Evangelium des heutigen Festes mit klaren Wor- ten. Aber diese Rettung erfolgt nicht ohne den Menschen. Wenn der Mensch Gott nicht ernst nimmt, Gott nimmt ihn, den Menschen, immer ernst. Ja, er nimmt ihn beim Wort, und er ach- tet seine Entscheidung. Der Erlöser wird zum Richter für die, die das Geschenk der Erlösung und das Geschenk der Freiheit missachten, das doppelte Geschenk der Erlösung und der Freiheit, die es nicht nutzen, die nicht als Erlöste leben, die nicht in der Liebe und im Gehor- sam leben, die Gott nicht die Antwort der Liebe geben in der Gestalt des Gehorsams gegenüber seinen Geboten. Demütig sollen wir Christus das Kreuz nachtragen im Geiste der Selbstverleugnung. Das Kreuz ist der Weg zum ewigen Leben, es ist der Schlüssel, der uns die Tür zum Himmel, zu unserer ewigen Vollendung, öffnet. Amen.

 

PREDIGT ZUM 23. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 7. SEPTEMBER 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WENN DEIN BRUDER GEGEN DICH GESÜNDIGT HAT, GEH UND SPRICH MIT IHM …
WENN ZWEI GEMEINSAM BETEN, WIRD IHRE BITTE ERFÜLLT“

Zwei Gedanken sind es, die uns das Evangelium des heutigen Sonntags ans Herz legt, die Verantwortung füreinander im Angesicht der Kirche und das gemeinsame Gebet.

*

Die Verantwortung füreinander im Angesicht der Kirche ist eine praktische Anwendung der Nächstenliebe. Nächstenliebe meint ja nicht nur die Sorge für das leibliche Wohl derer, mit denen wir zusammen sind, vor allem für jene, die unsere Nächsten sind, die uns am näch- sten stehen, sondern auch die Sorge für deren geistliches Wohl, die Sorge dafür, dass sie den rechten Weg zu Gott nicht verfehlen. Heute meint sie mehr denn je die Hilfe für die, die seelisch-geistig in Not geraten sind, deren Leben für die Zeit und für die Ewigkeit gefährdet ist. Je mehr die äußere Not überwunden wird durch soziale Maßnahmen, durch politisches Bemühen um größere Gerechtigkeit und um einen gerechten Ausgleich der Lasten, umso mehr wächst die innere Not der Menschen. Die Tradition der Kirche spricht im Anschluss an das Neue Testament von den Werken der geistigen Barmherzigkeit und nennt hier an erster Stelle die Zurechtweisung der Sünder, die Belehrung der Unwissenden und die Beratung der Zweifelnden. Um es anders auszudrücken: Die Sorge um das ewige Heil des Nächsten ist eine grundlegende Christenpflicht.

Es genügt daher nicht, dass wir beten und uns selbst um Gottes Gebote bemühen, wir dür- fen auch nicht wegsehen, wo Sünde geschieht und wo andere gewissenlos zur Sünde ver- führt werden. Gewiss, das gute Beispiel und das Gebet für die Menschen, mit denen wir zu- sammen arbeiten und zusammen wohnen und mit denen wir zusammen die Freizeit verbrin- gen, muss an der ersten Stelle stehen, aber dann haben wir noch nicht alles getan. Dann müssen wir noch schauen, wo wir Unrecht verhindern können, und dazu gibt es heute nicht wenig Gelegenheit. Denken wir nur einmal an den Bereich, den man heute die Unterhaltung nennt, an Zeitschriften und Bücher, an Mode und Film.

Die sich so ergebenden Pflichten sind im Allgemeinen nicht leicht zu erfüllen, sie setzen viel Fingerspitzengefühl voraus und Klugheit, aber auch Mut und Entschlossenheit. Dabei kann man sich in die Nesseln setzen, sich unbeliebt machen, dabei kann man sich Nackenschlä- ge holen und sich die Finger verbrennen oder schmutzig machen. Da wird man nämlich mit dem Stolz der Menschen konfrontiert. Das aber ist gefährlich. Wer lässt sich schon etwas sa- gen? Wie oft heißt es: Ich weiß selber, was ich tue, was ich zu tun und zu lassen habe. Da wird einem schnell entgegengehalten, man solle sich doch gefälligst um seine eigenen Angelegenheiten kümmern, man solle vor seiner eigenen Tür kehren.

Wir dürfen nicht Ärgernis geben, aber wir dürfen es auch nicht geschehen lassen, wo wir es verhindern können. Das ist zwar eine schwere Verantwortung, die da auf uns lastet, wir kön- nen und dürfen uns ihr aber nicht entziehen.

Wenn wir die Sünder zurechtweisen, so muss das auf jeden Fall in Demut und in Liebe ge- schehen. Nicht selten geht ein solches Bemühen ins Leere, weil wir etwa den Sünder stolz und überheblich zurechtweisen, weil wir es ohne Liebe tun, weil wir hart sind dabei und verständnislos, vor allem aber, weil wir es versäumen, zuvor mit Gott darüber zu sprechen. Am ehesten noch werden wir in einem solchen Fall angenommen, wenn wir in aller Be- scheidenheit einfach nur Fragen stellen.

Wenn wir indessen geschmäht werden, weil wir aus Liebe zu unseren Brüdern uns für deren ewiges Heil einsetzen, weil wir der Verführung entgegentreten und uns bemühen, eine sau- bere Atmosphäre zu schaffen und der geistigen Luftverschmutzung zu wehren, dann leiden wir Schmach in der Gemeinschaft mit Christus. Das geschieht dann um seines Namens wil- len, weshalb wir dann beginnen, in besonderer Weise seine Jünger zu sein. Ein altes Sprich- wort sagt: Wer Böses sieht und hindern kann und dennoch schweigt, ist Schuld daran. Unse- re Sorge und unsere Verantwortung führen uns, wenn wir sie wirklich wahrnehmen, immer wieder in die Gemeinschaft.

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Die Mahnung zum gemeinsamen Gebet, der zweite Gedanke unseres Evangeliums, ist gera- de heute sehr aktuell, denn das gemeinsame Gebet ist in auffallender Weise im Schwinden begriffen. Das zeigt sich in den Familien, aber auch in den Gemeinden. Wenn man über- haupt noch betet, dann tut man es allein. Aber wenn man nicht mehr in Gemeinschaft betet, dann gibt man das Gebet nicht selten bald gänzlich auf. Das Familiengebet ist merklich zu- rückgegangen, selbst das Tischgebet bekommt langsam Seltenheitswert. Und auch der Be- such der Gottesdienste, speziell der Sonntagsmesse, ist nicht gerade im Wachsen begriffen. Das hat einen doppelten Grund: Mit dem Schwinden des Glaubens fällt es uns schwerer, uns zu ihm zu bekennen. Und wer scheut nicht davor zurück, das sein Eigen zu nennen, was ihm nichts bedeutet? Die Trägheit tut dann ein Übriges, denn die Gemeinschaft des Gebetes zu suchen, verlangt mehr von uns als das einsame Gebet „im Kämmerlein“.

Das gemeinsame Gebet ist gefordert, weil wir vor Gott wie eine Familie sind, weil wir vor Gott zusammengehören. Andererseits ist es aber auch gerade das gemeinsame Gebet, das uns zusammenführt, mehr als alles andere. Das gemeinsame Gebet garantiert unserem Ge- bet nicht nur die Erhörung, sondern es schenkt uns auch den Trost der Gemeinschaft, die Geborgenheit des Miteinanders und vertieft dieses Miteinander, weshalb es vor allem jenen zu empfehlen ist, die sich durch das Sakrament der Ehe für immer miteinander verbunden haben.

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Damit haben wir auch die Klammer, die die beiden Gedanken unseres Evangeliums  „Ver- antwortung füreinander und gemeinsames Gebet” miteinander verbindet. Es handelt sich hier nämlich um grundlegende Forderungen, die aus der Nächstenliebe hervorgehen und diese auch wiederum hervorbringen, die Ausdruck der Liebe sind, in einem tieferen Sinne, und die die Liebe wiederum vertiefen. Die Liebe ist deswegen die Erfüllung des Gesetzes, weil sie uns Gott  ähnlich macht. Denn Gott hat nicht Liebe, wir haben sie, sollen sie haben, Gott aber hat nicht Liebe, sondern er ist die Liebe. Amen.

 

PREDIGT ZUM 17. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 27. JULI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ER VERKAUFTE ALLES, WAS ER BESASS, UND KAUFTE DIE PERLE“

Jesus verkündet seine Botschaft in Gleichnissen, das heißt: in Bildern oder in bildhaften Er- zählungen. So hatten es schon die alttestamentlichen Propheten gemacht in der Verkündi- gung der Gottesbotschaft. Die Lehrweise ist also nicht neu, aber Jesus entfaltet sie zur Mei- sterschaft. In den Evangelien ist uns eine Fülle von Gleichnissen überliefert, in denen Jesus seinen Zuhörern eine Vorstellung, eine annähernde Vorstellung, übermittelt von dem Un- vorstellbaren, von dem, was unsere Alltagserfahrung übersteigt, was aber bedeutsamer ist für uns als alles in der Welt.

Die Gleichnisse vom verborgenen Schatz und von der kostbaren Perle gehören zusammen. Sie wollen den unvergleichlichen Wert des Gottesreiches herausstellen. Dabei vertiefen sie den Grundgedanken des dritten Gleichnisses unseres Evangeliums, des Gleichnisses von dem Fischernetz, den Gedanken der Scheidung am Ende: Diese erfolgt nicht willkürlich, sondern es liegt an uns, auf welcher Seite wir stehen werden. Das also sagen uns die Gleichnisse vom verborgenen Schatz und von der kostbaren Perle. Damit erinnern sie uns daran, dass wir etwas machen müssen aus unserer christlichen Berufung, warnen sie uns vor der Gleichgültigkeit, erklären sie uns, wie wir leben müssen, damit wir am Ende nicht als schlechte Fische aussortiert werden.

*

Der Schatz im Acker und die kostbare Perle versinnbilden das Gottesreich oder besser: un- sere Berufung zu ihm. Das Reich Gottes ist der Inbegriff der Verkündigung Jesu. Damit meint Jesus unsere Gemeinschaft mit Gott, unsere Freundschaft mit Gott, die das Wesen der heiligmachenden Gnade ist, des göttlichen Lebens in uns, das uns zum ersten Mal in der Taufe geschenkt worden ist und das wir, wenn wir es verloren haben, im Bußsakra- ment zurückerhalten, sowie die glücklichere Zukunft, zu der wir berufen sind, der wir ent- gegengehen, die vollendete Gemeinschaft mit Gott, die schon auf Erden anhebt. Es geht um unser Bemühen um die Gemeinschaft mit Gott, um die Bewahrung des göttlichen Le- bens, näherhin um die Erfüllung der Gebote Gottes und um die Verbundenheit mit Gott im Gebet. Das Gottesreich ist unser, wenn wir die Gnade, die uns Christus am Kreuz erworben hat, im Leben bewahren. Diese zu verkünden und zu vermitteln, das ist der erste und wichtigste Daseinszweck der Kirche. Wir haben diese Gnade am Anfang unseres Lebens empfangen, aber wir können sie verlieren, und wir müssen sie bewahren. Die Gabe ist hier zugleich Aufgabe.

Im ersten Gleichnis findet jemand die Gnade des ewigen Lebens zufällig, im zweiten Gleichnis ist sie das Ergebnis des Suchens. Aber in beiden Fällen ist der Einsatz hundert- prozentig. Die zwei Entdecker verkaufen alles, sie setzen alles ein, um das zu erlangen, was sie als das Wertvollste erkennen. Und das, wofür man alles einsetzt, um es zu erlan- gen, für das wird man auch alles einsetzen, um es zu bewahren.

Das erste Gleichnis hat einen kleinen Schönheitsfehler: Der Kauf des Ackers ist moralisch nicht einwandfrei, aber die Sinnspitze des Gleichnisses geht ja auf etwas anderes: Alle Reichtümer dieser Welt sind wertlos gegenüber dem Schatz im Acker und gegenüber der kostbaren Perle. Denn hinsichtlich des Wertes gibt es keine Proportion, kein Verhältnis zwi- schen dem Ewigen und dem Zeitlichen. Gegenüber der Gemeinschaft mit Gott verblassen alle irdischen Werte. Und - wer nicht alles einsetzt, verfehlt das jenseitige Ziel seines Le- bens, das uns Christus erworben hat.

Wer nicht alles einsetzt für das ewige Leben, der erreicht es nicht. So sagen es die Gleich- nisse unseres Evangeliums. Das entspricht jedoch nicht unbedingt dem gegenwärtigen Te- nor in der Verkündigung der Kirche. Denn vielfach verkündet man heute die billige Gnade nach dem Motto: Alles halb so schlimm, Gott wird am Ende alle retten in seiner Güte. Das führt dann dazu, dass man sich nicht mehr anstrengt im Leben und dass man, wenn etwa jemand gestorben ist, davon ausgeht, dass er bei Gott ist, wenn man nicht gar bezweifelt, dass überhaupt noch etwas von ihm existiert. Der metaphysische Zweifel hängt mit dem falschen Heilsoptimismus innerlich zusammen.

Dem verhängnisvollen Irrtum von der billigen Gnade treten die drei Gleichnisse unseres Evangeliums entschieden entgegen: Das ewige Leben hat unseren ganzen Einsatz zur Vor- aussetzung. Es wird uns nicht nachgeworfen. Es bedarf des mühevollen Grabens und des beharrlichen Suchens. Alles müssen wir hergeben für die Berufung zum ewigen Leben, und wir müssen diese Berufung bewahren in einem Leben des Gebetes und der treuen Er- füllung der Gebote Gottes, wie sie uns der Glaube der Kirche und die unvoreingenommene Vernunft vermitteln. Alle irdischen Güter müssen wir einsetzen für das ewige Leben, für die ewige Gemeinschaft mit Gott: Den materiellen Besitz, die Ehre bei den Menschen und die Freuden und die Genüsse des Lebens. Die ungeordnete Anhänglichkeit an die irdischen Güter bringt uns um die Ewigkeit. Wer nicht bereit ist, das irdische Leben für das ewige einzusetzen, wird Beides verlieren.

Das ist kein unbilliger Fanatismus, kein überspitzter Rigorismus, sondern der Grundtenor der Verkündigung Jesu. Wer diese Botschaft abschwächt, tut das, was einst die falschen Propheten getan haben: Er redet den Leuten nach dem Mund. Damit wählt er den Weg des Verderbens.

Jesus sagt: Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur, wer Gewalt anwendet, wird es an sich reißen (Mt 11, 12), wer sich selber Gewalt antut - das ist hier gemeint -, nicht wer den ande- ren Gewalt antut. Das eine tun wir freilich lieber als das andere. Aber nur wer sich selber Gewalt antut, wer alles in die Waagschale legt, wird das Himmelreich an sich reißen. Das gilt selbstverständlich im Maße der Erkenntnis, der Erkenntnis, die der Einzelne hat, die dem Einzelnen geschenkt ist. Wem viel gegeben ist, von dem wird auch viel verlangt wer- den, wem wenig gegeben ist, von dem wird auch wenig verlangt werden. Darum dürfen wir im Einzelfall nicht richten, dürfen wir aber allgemein nicht die klare Botschaft Jesu ver- fälschen oder sie uns selbst und den Menschen vorenthalten.

Daraus ergibt sich für einen jeden von uns die Frage: Was tue ich für mein ewiges Leben? In dieser Frage aber ist eine Reihe weiterer Fragen enthalten, nämlich: Hege ich die Tauf- gnade oder kümmere ich mich schon lange nicht mehr um sie oder habe ich sie schon lan- ge verloren? Ist mir das irdische Leben wichtiger als das ewige? Welche Rolle spielt die mühevolle Taufe, das Bußsakrament, in meinem Leben?

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Die billige Gnade ist ein verhängnisvoller Irrtum, sie ist Opium des Volkes im wahrsten Sin- ne des Wortes, um einen modernen Ausdruck zu verwenden, sie ist zugleich Selbstbetrug und Fremdbetrug. Die drei Gleichnisse unseres Evangeliums sind nicht pädagogische Über- treibung. Die Möglichkeit der ewigen Verlorenheit ist nicht ein Kinderschreck. Wir können vor Gott nur dann bestehen, wenn wir ihm den ersten Platz einräumen, vor allen Men- schen, vor allem Geschaffenen. Gott ist ein eifernder Gott. So verkünden ihn schon die alt- testamentlichen Propheten. Er will unser ganzes Herz, unsere ungeteilte Hingabe.

Die Gleichnisse vom Schatz im Acker und von der kostbaren Perle verurteilen die Lauheit sie warnen uns vor der Halbheit. Sie machen uns darauf aufmerksam, dass wir das ewige Leben nur dann finden, wenn wir es auch suchen oder wenn wir es uns etwas kosten la- ssen und wenn wir in der Gnade leben, das heißt: Wenn wir die übernatürliche Gemein- schaft mit Gott im Leben bewahren durch das Gebet und durch die treue Erfüllung seiner Gebote. Für den verborgenen Schatz und für die kostbare Perle müssen wir bereit sein, notfalls alles hinzugeben, wenn es sein muss, selbst das Leben. Amen.

 

PREDIGT ZUM 16. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 20. JULI 2008 IN MÜNCHEN, SCHLOSS FÜRSTENRIED

 „LASST BEIDES WACHSEN BIS ZUR ZEIT DER ERNTE“

Wenn wir mit offenen Augen durch die Welt gehen, dann erkennen wir, wie ungeheuer groß die Macht des Bösen in unserer Welt ist. Das Böse ist in sich schon ein großes Är- gernis, vor allem, wenn wir daran denken, dass Gott die Welt geschaffen und dass er sie gut geschaffen hat. Das Evangelium des heutigen Sonntags lichtet die Frage nach dem Warum des Bösen ein wenig, wenn es uns das Gleichnis Jesu vom Unkraut unter dem Weizen erzählt. Da wird das Böse mit dem Unkraut und das Gute mit dem Weizen verglichen und die Welt, in der sich unser Leben abspielt, mit einem Acker.

Der Urheber des Bösen ist der Teufel, der Widersacher Gottes, der Urheber des Guten ist Gott selber. So stellt es das Gleichnis dar. Aber wie Gott das Gute durch den Menschen wirkt, so nimmt auch der Teufel Menschen in seinen Dienst. Der entscheidende Satz des Gleichnisses lautet: Lasst Beides wachsen bis zur Zeit der Ernte.

Gott hat Geduld mit den Menschen, die sich dem Bösen verschreiben, sie erhalten ihre Strafe erst dann, wenn der Erntetag gekommen ist. Darin offenbart uns Gott seine Langmut. Diese ist den Menschen schon immer ein Rätsel gewesen, vor allem dann, wenn sie un- mittelbar von dem Bösen betroffen waren, wenn sie existentiell unter dem Bösen zu leiden hatten.

Aber der Tag der Ernte wird kommen, das erfahren wir nicht nur in diesem Gleichnis. Da- von ist immer wieder die Rede in der Predigt Jesu. Ein jeder muss Rechenschaft ablegen über sein Leben. Die Stunde der Rechenschaft wird kommen für einen jeden von uns.

*

Viele haben heute Abschied vom Teufel genommen. „Abschied vom Teufel“, so lautete der Titel eines Buches, das vor Jahrzehnten wenig respektvoll mit dem überlieferten Glauben der Kirche umging. Seither haben viele Theologen versucht, den Teufelsglauben der Kir- che als unnütz zu erklären. Als ob die Nützlichkeit ein Kriterium der Wahrheit wäre. Sie ha- ben den Teufelsglauben einen überflüssigen Versuch genannt, das Böse in der Welt zu er- klären. Unser Evangelium spricht indessen unverhohlen von dem teuflischen Wirken in der Welt, von dem bösen Feind, der das Unkraut auf dem Acker sät.

Es ist eine Tatsache, dass das Böse seinen festen Platz hat in unserer Welt. Das erfahren wir alle Tage. Und das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen hat es vorausgesagt.

Heute wird das Böse allerdings weithin nicht mehr als Unkraut erkannt und gewertet. An die Stelle der Unmoral - die Unmoral setzt immerhin noch ein Wissen um persönliches Ver- sagen voraus -, an die Stelle der Unmoral ist  das vollkommene Fehlen des moralischen Empfindens getreten bei sehr vielen unserer Zeitgenossen. In unserer modernen Welt breitet sich so etwas aus wie ein moralisches Chaos. In wachsendem Maß herrscht in ihr die Anarchie. Das gilt für die Sexualmoral, das gilt aber auch für die Wahrhaftigkeit, das gilt für den Respekt vor der Menschenwürde, das gilt für die Ehrfurcht vor Gott, das gilt für die Gottesverehrung. So könnten wir fortfahren. Im Bunde mit einer noch nie da gewese- nen Heuchelei wird die Unmoral verbreitet - unter Berufung auf die Pflicht zur Informa- tion, etwa bei Skandalaffairen in den Massenmedien, im Interesse der Wahrheit und der Gerechtigkeit und um der demokratischen Freiheit willen. Denken wir etwa an die Macht der Pornographie und die Strategie der sexuellen Verführung der Menschen von Kindes- beinen an. Die in unserem Gleichnis als der böse Feind bezeichnet werden, sie begegnen uns faktisch als Heuchler und Verführer, denn anders könnten sie ihr Zerstörungswerk nicht vollbringen.

Der Acker unserer Welt ist so voller Unkraut, dass man zuweilen kaum noch den Weizen sehen kann. Da kommt uns immer wieder der Gedanke, dass Gott doch eingreifen müsste, dass er seine Langmut suspendieren oder dass er den Erntetag vorverlegen müsse. Allein, wir können Gott nicht vorschreiben, wie er die Welt leiten soll.

Wo der Teufel sät, da sät auch Gott. Und wo Gott sät, da sät auch der Teufel. Gut und Böse ist so gut gemischt auf dem Acker der Welt, wächst dort so kreuz und quer durcheinander, dass man es kaum noch unterscheiden kann, zumal das Böse oft eine gute Fassade hat. Seit eh und je verkleidet sich der Teufel als Engel des Lichtes. Er weiß, dass er das Böse nur verkaufen kann, wenn er es als Gutes anpreist.

Wenn Gott langmütig ist, wenn er Geduld hat, dann müssen auch wir sie haben. Auch die- se unsere aus den Fugen geratene Welt der Anarchie - so muss man schon sagen - gehört Gott. Darum müssen wir Geduld üben, wie Gott sie übt. Zu unserer Geduld muss sich die Güte gesellen. Wir müssen es uns immer wieder sagen, dass nicht wenig Unkraut aus der Unkenntnis hervorwächst. Viele Christen haben es noch gar nicht gemerkt, wie sie in die Mühle der Welt geraten sind.

Das Gute ist immer mächtiger als das Böse. Das sagt uns die Frohe Botschaft von der Er- lösung. Am Ende wird das Gute den Sieg davontragen. Mag es in der Gegenwart auch noch so ohnmächtig erscheinen, am Ende wird das Böse und wird mit ihm der Böse ent- machtet. Darum ist es unsere Aufgabe, dass wir hoffnungsfroh dem Bösen das Gute entge- gensetzen, unaufhörlich, dass wir immer und überall der Ungerechtigkeit entgegentreten, der Lieblosigkeit, der Zuchtlosigkeit, der Gewalttätigkeit und der Verschlagenheit.

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Es gilt, dass wir die Hoffnung auf das ewige Leben bewahren inmitten einer sich ein- schmeichelnden Diesseitskultur mit ihrem Scheinglück, dass wir uns bemühen um Wahr- haftigkeit und Treue, um wahre Liebe, um Demut und Geduld, um Gerechtigkeit, Fried- fertigkeit und um den Geist der Gottesverehrung. Eine Hilfe ist uns dabei die zentrale Aus- sage des Gleichnisses vom Unkraut unter dem Weizen: Der Tag der Ernte wird kommen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 15. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 12. JULI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WER OHREN HAT ZU HÖREN, DER HÖRE“

Das Evangelium gibt uns die Antwort auf die Frage, wie es kommt, dass das Wort Gottes so unfruchtbar ist in der Welt oder - sagen wir es allgemeiner - dass nach beinahe zweitau- send Jahren Christentum die Welt noch immer nicht als ganze christlich geworden ist, ja, dass sich heute immer mehr Menschen vom Christentum abwenden. Die Antwort muss lau- en: Das liegt nicht am Wort Gottes, das ist stets überreich ausgestreut worden in der Welt, sondern das liegt am Boden, an den Menschen, die das Wort Gottes nicht in der rechten Weise aufnehmen.

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Das Evangelium spricht heute von einem vierfachen Verhalten des Menschen gegenüber dem Wort Gottes und hält uns allen damit den Spiegel vor. Im Hinblick auf die Art und Weise, wie das Wort Gottes aufgenommen wird, unterscheidet es vier Gruppen.

Die erste Gruppe, das sind die, die das Wort Gottes hören, aber nicht recht hinhören. Sie vernehmen es akustisch, das Wort Gottes, aber ohne Verständnis. Sie haben das Hören ver- lernt, sie sind taub geworden durch die vielen Eindrücke, die auf sie einstürmen, durch das unaufhörliche seichte Gerede, das ihren Alltag bestimmt, durch die überlauten Rhythmen, die sie vom Morgen bis zum Abend begleiten. Sie sind taub geworden vor allem durch die pausenlose Fernseh- und Radio-Berieselung. So wollen sie es. Immerfort umgeben sie sich mit Lärm, denn die Stille können sie einfach nicht ertragen. Sie haben ihr inneres Ohr zer- stört, weil sie das Schweigen und die Stille aus ihrem Leben verbannt haben.

Die zweite Gruppe, das sind die, die zwar hinhören, aber nur oberflächlich. Das Gleichnis spricht von den Samenkörnern, die auf felsigen Boden fielen und daher kein Erdreich fan- den. Die Menschen, die zu dieser Gruppe gehören, sie hören zwar hin, aber gleichsam nur mit einem Ohr. Sie sind interessiert, sie sind sogar begeistert, unter Umständen, aber ihre Begeisterung ist wie Strohfeuer, sie brennt schnell nieder, sie hat keinen Bestand. Sobald sie merken, dass das Wort Gottes sie fordert, sind sie auf und davon. Sie suchen ein leich- tes Christentum, Versprechungen ohne Forderungen, Rechte ohne Pflichten. Faktisch wol- len sie ein Christentum zu Ausverkaufspreisen, ein Christentum, das nichts kostet. Diese Gruppe ist nicht klein. Diejenigen, die zu dieser Gruppe gehören, sie sind zugegen bei außergewöhnlichen Gelegenheiten, wenn Großveranstaltungen sind, wenn es Sensationen gibt. Sie sind mehr Gefühlschristen und leben von der momentanen Begeisterung. Auf Gefühlen kann man jedoch sein Leben nicht aufbauen. Gefühle sind unzuverlässig und un- beständig.

Die dritte Gruppe, das sind die, die hinhören, deren Begeisterung auch tiefer geht als die der zweiten Gruppe. Sie lassen sich auch fordern. Es ist viel gutes Erdreich da. Aber das al- les ist nicht von Dauer. Die Versuchungen der Welt und die Sorgen des Lebens gewinnen doch schließlich die Oberhand bei ihnen, bei allem guten Willen ist ihr Leben letzten En- des doch mehr vom Vordergründigen und Vergänglichen bestimmt als von dem, was bleibt. Die Welt ist dann für sie doch attraktiver als Gott und die Ewigkeit. Und der Sog nach unten ist für sie dann doch stärker als der Aufstieg zu den Sternen. Sie bedürfen der Tugend der Treue, sie bedürfen der Beharrlichkeit, damit sie ausharren und sich treu blei- ben, wenn der Weg lang und beschwerlich ist. Dazu braucht man nicht zuletzt die Hilfe Gottes, die Hilfe der Gnade, dass man immer wieder Heilung sucht und nicht aufgibt.

Und endlich gibt es die vierte Gruppe. Das sind die, die dreißigfach, sechzigfach und hun- dertfach Frucht bringen. Sie bewahren sich die Begeisterung, sie nehmen das Wort Gottes auf, sie machen es fruchtbar in ihrem Leben, sie bleiben dabei, auch wenn es beschwer- lich ist. Aber ihre Fruchtbarkeit ist verschieden, weil das Maß der Fruchtbarkeit die Liebe und der Glaube sind.

Sie alle, die zu dieser Gruppe gehören, werden gelobt, auch wenn die Fruchtbarkeit des Wortes Gottes  verschieden ist bei ihnen. Diese ist deshalb verschieden auch bei denen, die das Wort mit bereitem Herzen aufnehmen, weil Gott nicht allen die gleichen Talente gibt und weil er sie vor allem auch nicht allen im gleichen Maß gibt. Wer viel hat, von dem wird auch viel verlangt. Aber Gott gibt uns nicht nur die Talente, er schenkt uns auch die Kraft, dass wir sie vervielfachen für ihn. Das setzt freilich voraus, dass wir ihn darum bitten und dass wir uns ehrlich bemühen, mit unseren Talenten zu arbeiten.

*

Die Aussaat und das Saatgut sind überreich. Vielleicht könnte man kritisch einwenden, dass diese Situation sich in der Gegenwart teilweise ein wenig gewandelt hat, sofern das Wort Gottes heute häufiger mit allzu vielen Menschenworten vermengt wird und sofern sich heute vielfach große Verwirrung breit macht. Im Evangelium erfahren wir, dass der Misserfolg oder die Missernte in erster Linie eine Frage des Bodens ist. Damit sind wir alle angesprochen, ein jeder von uns. Hören wir so - das ist die verborgene Mahnung unseres Evangeli- ums -, dass das Wort Gottes vielfältige Frucht bringt in unserem Leben. Amen.

 

PREDIGT ZUM 14. SONNTAG DES KIRCHENJAHRES, GEHALTEN AM 6. JULI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„NEHMT MEIN JOCH AUF EUCH UND WERDET MEINE JÜNGER, DENN ICH BIN
SANFTMÜTIG UND DEMÜTIG VON HERZEN, UND IHR WERDET RUHE FINDEN“

Im Alten Testament wird unser Leben einmal als ein Kriegsdienst bezeichnet (Hiob 7, 1). Damit  sollen seine Härte und sein fordernder Charakter hervorgehoben werden. Das Neue Testament greift diesen Gedanken wiederholt auf. Ein Kriegdienst ist unser Leben, das heißt: Wir müssen kämpfen und Entbehrungen auf uns nehmen, um unser Leben zu be- wältigen und um sein Ziel zu erreichen, im natürlichen wie auch im übernatürlichen Sinne. Davon wendet man heute weithin den Blick ab. Denn in der Gegenwart möchte man alles leicht machen, möchte man sich und manchmal auch anderen jede Anstrengung ersparen, vor allem im Religiösen. Aber nicht nur da. Man will ohne Anstrengung lernen, ohne An- strengung Geld verdienen, ohne Anstrengung sich amüsieren. Das führt bei einer wach- senden Zahl von jungen Menschen zur kategorischen Verweigerung jeder Anstrengung und jedes Bemühens. Immer wieder kommt es vor, dass junge Menschen es ablehnen, über- haupt noch etwas zu tun.

Es gehört irgendwie zu einer Welt, die in weiten Teilen vom Nihilismus beherrscht wird, dass man alles haben, aber nichts dafür tun will, dass man alles umsonst haben möchte und dass man aus der Illusion lebt, dass das möglich ist, dass man immer nur Rechte bean- sprucht, aber niemals Pflichten auf sich nehmen will. In diesem Denken darf auch die Reli- gion nichts kosten, wenn sie überhaupt noch einen Stellenwert hat.

Christsein - leicht gemacht, das ist der Inhalt eines sehr dicken Buches, das vor mehr als drei Jahrzehnten unter dem Titel „Christsein“ veröffentlicht wurde, von dem heute mehr als 300 000 Exemplare in aller Welt in den Bücherregalen stehen. Inzwischen sind viele Bü- cher erschienen, deren Grundgedanke der ist, dass jeder ein Christ ist, ganz gleich, was er glaubt und was er tut, egal, was er denkt und wie er lebt, und dass er sich in jedem Fall seines ewigen Heiles sicher sein kann.

Wir fallen immer wieder auf jene herein, die uns die Anstrengung ersparen, die uns billige Waren verkaufen wollen. Wenn wir gescheit wären oder nachdenken würden, wüssten wir, dass diese Waren entweder nichts wert sind oder dass der billige Preis eine Täuschung ist. Ehrlicherweise kann es Schleuderpreise nur zum Ausverkauf geben. Wir müssten doch eigentlich durch das Leben belehrt sein: Was nichts kostet, ist nichts wert.

Wieso sollte heute die Weisheit der alten Griechen nicht mehr gelten: Vor den Erfolg ha- ben die Götter den Schweiß gesetzt? Das Leben ist keine Spielerei. Es fordert uns, wenn wir es recht leben wollen. Das sagt uns die Vernunft, das lehrt uns die Erfahrung, das sagt uns aber auch Gott selber in der Offenbarung. Diese Erkenntnis müssen wir uns ganz zu Eigen machen, und sie muss vor allem ein wichtiger Grundsatz bei der Erziehung der Kinder und der Jugendlichen sein. Wird sie da vergessen, ist das besonders verhängnis- voll.

Irgendwo las ich vor einiger Zeit: Wer es der Jugend leicht macht, der macht es ihr schwer. Das ist ein geistreiches Wortspiel. Der Täuschung folgt stets die Enttäuschung. Das ist ein ehernes Gesetz. Gerade junge Menschen sind auf große Ideale hin angelegt.

Das Christsein ist nicht etwas Leichtes, es ist kein Kinderspiel, es ist nicht das Einfachste von der Welt. Das wäre eine Irreführung. Deshalb heißt es wiederholt in der Heiligen Schrift: Ein Kriegsdienst ist unser Leben. Das gilt nicht nur im Blick auf unser ewiges Heil, das gilt auch im Blick auf unser irdisches Wohl. Das bedeutet, dass wir kämpfen müssen gegen den Feind in uns, gegen die Sünde, und das wir kämpfen müssen gegen den Feind um uns, gegen das Böse, wo immer es uns begegnet.

Christsein bedeutet Christus nachfolgen, dieser aber ist der Gekreuzigte, der in dieser Welt nicht viel Ehre gefunden hat. Hier gilt, dass der Knecht nicht über seinem Herrn und der Jünger nicht über seinem Meister ist (Mt 10, 24). Die Nachfolge Christi ist ein Höhenweg, be- schwerlich, mühsam und gefahrvoll, sie ist eine anspruchsvolle Sache, die unseren ganzen Einsatz verlangt.

*

Das ist die eine Seite der Wirklichkeit unserer christlichen Berufung, erst auf ihrem Hinter- grund wird die andere Seite verständlich. Die andere Seite, die klingt an im Evangelium des heutigen Sonntags: „Ich will euch erquicken ... ihr werdet Ruhe finden ... mein Joch ist süß, und meine Bürde ist leicht“. Das gilt nämlich im Blick auf die Vollendung, im Blick auf den Lohn der Treue.

Im Römerbrief des heiligen Paulus lesen wir: „Die Leiden dieser Zeit sind nicht zu verglei- chen mit der Freude, die uns einmal zuteil wird“ (Rö 8, 18). Das ist ein Schriftwort, das wir uns immer wieder vorsagen müssen. Vor allem dann, wenn wir geplagt werden durch mannigfache Leiden, wenn uns immer wieder die Frage bedrängt: Warum ist unsere Welt so vom Leid gezeichnet und warum gibt es so viel zerstörerischen Zynismus in ihr? Oder: Warum ist unser Leben so vielfältig bedrängt, physisch und seelisch und intellektuell?

Über dem kämpferischen Einsatz für Gott, gegen das Böse und für das Gute, steht die Ge- wissheit des Sieges, weil Gott die Seinen nicht verlässt. Das ist nicht billiges Vertrösten auf ein ungewisses Jenseits, denn die Zukunft bestimmt auch die Gegenwart. Ist unsere Zukunft hell, so ist es auch die Gegenwart, ist die Zukunft dunkel, so ist es auch die Gegenwart. Viele gehen heute einer trostlosen Zukunft entgegen, weil ihre Gegenwart ohne Hoffnung ist, und weil ihre Gegenwart unselig ist, deswegen ist es auch ihre Zukunft, wenn man da überhaupt noch von Zukunft reden kann. Von der Angst verfolgt, stürzen sich viele heute in das Vergessen. Und ihr Glück ist Schein und Selbst- betrug.

Christus ist es, der die tiefste Sehnsucht der Menschen erfüllt. Das lehrt uns das Evangelium des heutigen Sonntags mit Nachdruck. Er liebt uns, und er wartet auf einen jeden von uns, als gäbe es nur ihn allein. Aber die Liebe Christi nimmt uns in Pflicht. Sie fordert von uns die Nachfolge. Diese aber erspart uns nicht das Kreuz.

*

Das leichte Leben ist eine große Illusion. Leicht wird unser Leben erst dann, wenn wir es so sehen, wie es wirklich ist und wenn wir dem Schweren nicht ausweichen, wenn wir in der Gemeinschaft mit Christus den guten Kampf kämpfen  (1 Tim 1, 18; 2 Tim 4, 7). Sind wir mit ihm im Gebet verbunden und folgen wir ihm bewusst auf seinem Kreuzweg und ahmen wir ihn nach in seinem Gehorsam und in seiner Hingabe an den himmlischen Vater, wird alles Schwere leicht, wird alle Mühe gleichsam zu einer Erquickung, weil er, wenn wir mit ihm in der Zeit leben, uns seine Freundschaft in der Zeit und in der Ewigkeit schenkt. Wenn schon im natürlichen Leben gilt, dass erst der ganze Einsatz uns mit wahrer Freude und echter Genugtuung erfüllt, mehr als das, was uns in den Schoß fällt, gilt das erst recht für das übernatürliche Leben. Die uns verheißene Ewigkeit verklärt unsere Gegenwart, wenn wir in der Gemeinschaft mit Christus den guten Kampf kämpfen gegen das Böse in uns und um uns. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER APOSTEL PETRUS UND PAULUS, GEHALTEN AM 29. JUNI 2009
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DU BIST PETRUS, DER FELS, UND AUF DIESEN FELSEN WILL
ICH MEINE KIRCHE BAUEN“

Wir feiern heute den Todestag der heiligen Apostel Petrus und Paulus, des ersten Papstes und des bedeutendsten Missionars der Kirche. Der eine trägt einen lateinischen Namen, der uns daran erinnert, dass er, ein Jude, das römische Bürgerrecht besaß - der Paulus, das ist der Kleine -, der andere trägt einen griechischen Namen, die Übersetzung seines aramäischen Namens, den der Stifter des Christentums ihm gegeben hatte, um seine Be- deutung für die Kirche zum Ausdruck zu bringen. Kepha hatte er ihn genannt, denn er soll- te der Fels der Kirche werden. Davon ist die Rede im Evangelium dieses Festtags.

Wenn Jesus dem Petrus in feierlicher Weise einen neuen Namen gegeben hat - seine El- tern hatten ihn Simon genannt -, so ist das mehr als eine persönliche Berufung, so wird ihm damit ein Amt übertragen, das in der Kirche fortdauern sollte bis zum Jüngsten Tag. Wir sprechen vom Petrusamt oder vom Papsttum. Heute ist es für die einen das Zeichen Gottes, das aufgerichtet ist unter den Völkern, von dem der Prophet Jesaja gesprochen hat (Jes 11, 12), für die anderen ist es der Stein des Anstoßes, nicht nur soweit sie außerhalb der Kirche angesiedelt sind. Gerade jene, die der Kirche viel zu verdanken haben, wenden sich oftmals lautstark gegen die Autorität des römischen Bischofs und verbünden sich mit denen, die draußen sind und keine Antenne haben für das Gnadenwirken Gottes in der Welt. Es ist nicht verwunderlich, wenn die widergöttlichen Mächte sich besonders an jener Institution reiben und sie unwirksam machen wollen, die die eigentliche Kraft der Kirche ist und die sie zu dem macht, was sie ist. Die gegen das Papsttum sind, meinen es nicht gut mit der Kirche.

Der Papst ist heute zum Ärgernis vieler geworden, wie es der gewesen ist, den er in der Welt vertreten soll. Schon deswegen ist er zum Ärgernis vieler geworden, weil er Autorität verkörpert, und das in einer Zeit, die immer mehr zur Anarchie hin tendiert.

*

Petrus ist der geistige Vater des neuen Gottesvolkes. Er ist der neue Abraham, der im Alten Testament der Fels genannt wird. Es ist konsequent, wenn Paulus auch Christus, an dessen Stelle Petrus und seine Nachfolger stehen sollen, den Felsen nennt. In den Evangelien steht Petrus an der Spitze jener zwölf Jünger, die Jesus in besonderer Weise auserwählt hat. Für ihn und seinen Glauben hat Jesus gebetet und ihn dazu beauftragt, seine Brüder zu stärken (Lk 22, 32). Er wurde der erste Zeuge der Auferstehung Jesu. „Christus ist aufer- standen und dem Simon erschienen“. Das wurde zu einem geflügelten Wort in den öster- lichen Tagen, als die Jünger Jesu nach dem grausamen Tod ihres Meisters wieder zusam- mentraten. Dreimal beruft der Auferstandene den Simon zum Hirten seiner Kirche (Joh 21). Am Ende seines Lebens kommt er nach Rom, um dort den Märtyrertod zu erleiden. Unter Kuppel der Peterskirche in Rom hat er sein Grab gefunden.

Von altersher war es die Überzeugung der Kirche, dass das Amt des Petrus fortdauern muss in der Kirche. Tatsächlich hätte es keinen Sinn gehabt, wenn es mit dem Tod des Pe- trus erloschen wäre. So bildete sich das Papsttum der Kirche in den Jahrhunderten, dessen Entwicklung nicht immer geradlinig war. Denn es gab in ihr auch Menschliches, und immer wieder prägte ihr die menschliche Schwäche ihren Stempel auf. Zweimal in der Ge- schichte trennten sich viele Völker von der Kirche, gerade um des Papsttums willen, weil sie das Papsttum nicht wollten, 1055 und 1517. Darin liegt eine große Tragik. Da war je- weils die persönliche Rechthaberei den Menschen wichtiger als das Vermächtnis des Herrn der Kirche.

264 Nachfolger des heiligen Petrus zählt man in der beinahe zweitausendjährigen Ge- schichte der Kirche. Unter ihnen gab es auch schlechte, die sich ihres Amtes unwürdig er- wiesen, ganz und gar, insgesamt etwa zwölf an der Zahl, zwölf, das sind wenige, und doch sind sie zu viele. Unter ihnen gab es aber auch eine große Zahl von Heiligen, dafür müssen wir Gott danken.

Im Papsttum ist Petrus lebendig geblieben in der Zeit, in Petrus aber weidet Christus selber seine Herde. Diese Erkenntnis wuchs in den Jahrhunderten, wenn man im Bischof von Rom mehr und mehr den Hort der Einheit der Kirche Christi sah, wenn man sich an ihm aus- richtete und in der Gemeinschaft mit ihm die Gemeinschaft mit Christus erblickte.

In dieser Einheit geht es um die Wahrheit, um die rechte Interpretation des Wortes Gottes. In ihr trägt die Kirche ein hohes Gut durch die Zeit. Darum ist der Papst unfehlbar, wenn er seine ganze Autorität einsetzt.

Man sagt heute gern: Kein Mensch ist unfehlbar. Das ist nicht falsch, nur Gott ist unfehl- bar, in der Tat, aber Gott kann einen Menschen, dem er eine besondere Stellung gegeben hat, vor Irrtum bewahren. Das ist dann freilich ein Wunder. Aber das Papsttum ist seiner inneren Wirklichkeit nach ein Geheimnis. Und in der Kirche bricht die unsichtbare, die jenseitige Welt Gottes in die Sichtbarkeit dieser Welt ein. Ein Mensch kann auch keine Sünden vergeben oder das eucharistische Geheimnis vollziehen. Aber Gott kann es, und der Mensch kann es in der Kraft Gottes.

Die Kirche ist nicht eine soziologische Gegebenheit, die allein dieser Welt angehört. In ihr kommt die Autorität nicht von unten, sondern von oben. Es ist die Vollmacht Christi, die im Papsttum und in den Trägern des Amtes fortwirkt.

Im Wirken Christi in seiner Kirche nimmt die jenseitige Welt sichtbare Gestalt an. So sehen die Augen des Glaubens die Kirche. Mit ihnen sie zu sehen, darum müssen wir uns be- mühen. Das ist indessen ein Glaube, der keineswegs in der Luft hängt, wie viele meinen, die sich der „Diktatur des Relativismus“ unterwerfen, das ist ein Glaube, der vielmehr ein tiefes geistiges Fundament hat und der sich bewährt hat in langen Jahrhunderten. Würde die Kirche als Ganze dem Irrtum verfallen, hätten die Pforten der Hölle sie überwältigt. Allein, das ist nicht möglich, dafür steht die Verheißung Christi.

In unserer Zeit, in der der Stolz der Menschen oftmals pathologische Züge trägt, stellen sich viele über die Autorität des Papstes. Dass wir nicht zu ihnen gehören, das gebietet uns die Demut, die aus der Wahrhaftigkeit hervorgeht, und das gebietet uns der Glaube.

Der Papst und das Papsttum, sie sind das entscheidende Kriterium für die Unterscheidung der Geister im Wirrwarr der Meinungen und in der allge-meinen Orientierungslosigkeit un- serer Zeit. Auch wenn es viele nicht wahr haben wollen, der Träger, der Inhaber  des Petrusamtes, ist ein Fels in der Brandung, er ist ein eherner Fels und mehr als das. Dabei steht er für eine menschliche Welt, wenn er wie kein anderer jene Werte hochhält, ohne die es keine Zukunft geben wird für uns alle. Damit wird das Papsttum zu einer existen- tiellen Frage nicht nur für die Kirche, sondern auch für die Welt.

*

Im Papsttum steuert Christus selber das Schiff seiner Kirche durch das Meer der Zeit, führt er es in den sicheren Hafen der Ewigkeit. Und in ihm haben wir einen festen Punkt in der Wirrnis und in der Verwirrung unserer Zeit. Wo der Papst spricht, da spricht Petrus. Und wo Petrus spricht, da spricht Christus.

Beten wir heute für den heiligen Vater - eine Persönlichkeit mit großem Verantwortungsbe- wusstsein und von bewundernswerter Frömmigkeit auf hohem geistigen Niveau -, dass er die schwere Last seiner Erwählung kraftvoll trage, dass er die Kirche überzeugend leite, in Treue zu Christus und zu seinem Vermächtnis, dass Gott ihn stärke in Misserfolgen, damit er die ihm anvertraute Herde in der Einheit des Glaubens bewahre zum immerwährenden Segen der Kirche und unserer Welt. Amen.

 

PREDIGT ZUM 12. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 22. JUNI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DARUM FÜRCHTET EUCH NICHT, IHR SEID MEHR WERT
ALS VIELE SPERLINGE“

Angst und Furcht bestimmen unser Leben. Angst ist die Furcht vor etwas, das wir nicht ken- nen, sie ist ein vages und unbestimmtes Gefühl. Die Furcht richtet sich jedoch auf etwas Bestimmtes, das unsere körperliche oder unsere geistige Integrität zerstören oder vermin- dern könnte. Angst und Frucht gehören zu unserem Leben, weil unser Leben immer ge- fährdet ist, und zwar in vielfacher Weise, weil überall Gefahren auf uns lauern.

Viele unserer Zeitgenossen geben sich nach außen hin sehr sicher, während sich hinter ihrer äußeren Sicherheit viel Angst und Furcht verbergen. Wir verbergen unsere Unsicher- heit nicht nur nach außen hin, oftmals verdrängen wir sie auch aus unserem Bewusstsein, das bedeutet, dass wir sie auch vor uns selber zu verbergen suchen. Verdrängen können wir das Unangenehme in unserem Leben jedoch immer nur für eine Weile. Dann tritt es in immer neuer Gestalt wieder hervor und verursacht mannigfaches Leid und viele Krank- heiten.

Wir verdrängen das Unangenehme durch die Flucht in den Betrieb, in den Lärm und in den Rausch.

Was den Rausch angeht, da gibt es viele Mittel, die uns zwar abhängig machen und krank und die uns oft in große Bedrängnis bringen, aber das geschieht erst nach einer gewissen Zeit. Darum kann man im Augenblick sündigen. Die populärsten Mittel dieser Art sind das Nikotin und der Alkohol. Heute erobern darüber hinaus die verschiedensten Drogen, harte und weiche, mehr und mehr die Gunst vieler, die alles daransetzen, um den Belastungen des Alltags zu entgehen und um ihre Angst und ihre Furcht zu neutralisieren.

Was die Flucht in den Lärm angeht, der fortgesetzte Lärm ist heute gleichsam institutiona- lisiert durch die Massenmedien, die wissen, was die Menschen suchen, dabei jedoch nicht auf die Schädlichkeit dessen schauen, was sie ihnen verkaufen.

Und der Betrieb, in den man flüchtet, da gibt es mannigfache Möglichkeiten. Man beklagt sich zwar immer wieder über den so genannten Stress, freut sich aber im Grunde, dass man ihn hat, damit man keine Zeit hat zum Nachdenken.

Wir verdrängen das Unangenehme, die Angst und die Furcht, indem wir in den Betrieb flüchten, in den Lärm und in den Rausch. Konsequent sind wir darauf bedacht oder besser: konsequent sind viele von uns darauf bedacht, dass sie nicht zur Ruhe kommen, damit ihnen die Gefährdung ihres Lebens nicht zum Bewusstsein kommt. Da wird die Wirklichkeit überspielt oder verdrängt, die sich das jedoch nicht gefallen lässt. In den mannigfachen Schäden unseres persönlichen Lebens und unserer Gesellschaft in Kirche und Welt tritt sie heute zutage und rächt sich dafür, dass sie verdrängt wurde.

Angst und Furcht, Sorge und Unsicherheit gehören zu unserem Alltag in dem Maß, in dem uns die Geborgenheit fehlt. Ungeborgen aber sind wir, weil unser Glaube so schwach ge- worden ist, wenn er nicht überhaupt nur noch formal vorhanden ist, und weil wir so wenig Vertrauen haben zu Gott.

*

Der lebendige Glaube trägt uns, nicht der tote. Der Verlust des Glaubens erklärt viele Pro- bleme unseres persönlichen Lebens, aber auch unseres gesellschaftlichen und politi- schen Alltags. Man kann heute Theologie studieren ohne den Glauben. Man kann aber auch den Glauben durch das Theologie-Studium verlieren und trotzdem gutes Geld damit verdienen. Eine paradoxe Situation.

Erst aus dem lebendigen Glauben kann das Vertrauen zu Gott erwachsen, ein Vertrauen, das sich in allen Lebenslagen bewähren kann. Menschen enttäuschen uns immer wieder. Aber Gott kann uns nicht enttäuschen. Es ist ein Unterschied, ob wir das mit dem Verstand wissen oder mit dem Herzen, ob wir das nur theoretisch wissen oder ob wir uns diese Er- kenntnis innerlich zu Eigen gemacht haben.

Das ist der entscheidende Imperativ des Evangeliums des heutigen Sonntags, dass wir auf Gott vertrauen, nicht nur formal, sondern im Alltag unseres Lebens. Ein solches Vertrauen müssen wir einüben im Gebet und in dem Bemühen um die Nachfolge Christi, wir müssen es einüben, indem wir ständig in der Gegenwart Gottes leben.

Wenn Gott mit uns ist, und wenn wir mit Gott sind, dann ist unser Leben gesichert in allen Gefährdungen, die uns bedrohen, und in allen möglichen oder wirklichen Bedrängnissen. Der lebendige, der gütige und der liebende Gott, wenn wir ihm Vertrauen schenken, er enttäuscht uns nie. Dieses Vertrauen aber, wenn es echt ist und stark, dann  absorbiert es all unsere Ängste und all unsere Sorgen.

Wenn wir fest auf Gott vertrauen, dann gibt es für uns keine Angst mehr und nur noch eine einzige Furcht, die Furcht vor der Sünde, weil sie uns mit Gott entzweit, weil sie uns von Gott trennt. Wenn wir auf Gott vertrauen, und wenn dieses Vertrauen ganz tief und ganz stark ist, dann kann uns niemand mehr etwas anhaben, dann können uns auch nicht mehr die Mächte des Bösen etwas anhaben, die heimtückischer noch und gehässiger sind als die Menschen es sein können. Das Böse, besser noch: der Böse ist letzten Endes die Ursache für alle Übel in der Welt.

Das unmittelbare Fundament unseres Gottvertrauens sind die Gottesfurcht und die Gottes- liebe. Letztlich gründet es im Geheimnis der Kindschaft Gottes, in dem uns das göttliche Leben geschenkt wurde, das seine Verlängerung findet im ewigen Leben bei Gott. Es ist der Gott, der uns erlöst und geheiligt hat, dem wir Vertrauen schenken in allen Lagen des Lebens.

Die tiefsten Tiefen des Glaubens bleiben uns oft verborgen, oft bleiben wir an der Ober- fläche. Daher legen wir oftmals den Glauben ab wie ein Kleid und mit dem Glauben das Vertrauen und wählen die Angst und die Furcht und damit das Chaos.

Zuweilen werden die entscheidenden Punkte unseres Glaubens in den Sekten deutlicher betont. Darum wandern gerade heute nicht selten recht wertvolle Gläubige in die Sekten ab.

*

Angst und Furcht bestimmen unser Leben. Das eine wie das andere überwinden wir durch einen lebendigen Glauben und durch festes Vertrauen. Im Glauben und im Vertrauen fin- den wir Geborgenheit in den mannigfachen Gefährdungen unseres persönlichen Lebens und unserer Zeit. Seine Rechtfertigung findet unser Vertrauen in unserer Treue zu Gott, zu Christus und zu seiner Kirche. Dazu aber müssen wir uns bekennen, davon müssen wir Zeugnis ablegen durch unser Wort und vor allem durch unser Leben. Denn Christus wird uns nur dann vor seinem Vater bekennen, so sagt es uns das Evangelium des heutigen Sonntags, wenn wir ihn vor den Menschen bekennen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 11. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 15. JUNI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„SIE WAREN WIE SCHAFE OHNE HIRTEN“

Ein moderner Philosoph (Karl Popper, 1902 - 1994), der zeitlebens dem Christentum und der Religion überhaupt distanziert gegenübergestanden hat, hat nicht zu Unrecht erklärt: „Die wesentliche Idee des Christentums ist die, dass man keinen Himmel auf Erden schaffen kann ... Der Versuch, den Himmel auf Erden zu verwirklichen, produzierte stets die Hölle“. Das geschieht heute an allen Ecken und Enden, dass man versucht, den Himmel auf Er- den zu schaffen, den Himmel auf die Erde zu holen. Dort, wo er wirklich ist, halten ihn vie- le nämlich für inexistent. Wenn es ihn schon nicht gibt - so denken sie -, dann wollen wir ihn wenigstens auf Erden schaffen. Manchmal meinen es gar die Hirten, man könne den Himmel auf Erden haben, oder sie sehen darin gar ihre erste Aufgabe, den Himmel auf Er- den zu schaffen. Je mehr man das versucht, den Himmel auf Erden zu schaffen, um so mehr wird den Menschen jedoch das Leben zur Hölle. Man will den Himmel und schafft die Hölle.

Im Evangelium des heutigen Sonntags bedauert Jesus die Menschen seiner Zeit, weil die Lüge und der Irrtum ihr Leben prägen: Sie sind wie Schafe ohne Hirten. Das gilt nicht we- niger für uns heute. Zusammen mit jenen, die damals seinen Worten lauschten, bedauert Jesus auch uns. Auch wir können seines Bedauerns gewiss sein, denn auch bei uns domi- nieren der Irrtum und die Lüge. Auch wir sind wie Schafe ohne Hirten: Die Wahrheit ist im Notstand. Die falschen Propheten haben das Sagen, draußen in der Welt, aber oft auch drinnen, in der Kirche. Unser Denken ist genormt und unser Verhalten nicht weniger. Und die Stimme des Evangeliums ist extrem schwach geworden.

*

Jesus erbarmt sich der Menschen, indem er ihnen Hirten sendet, die sie hellhörig und empfindsam machen sollen für den Irrtum und die Lüge der Menschen, die sie aufklären sollen über die Wahrheit. Zwölf sind es damals gewesen, zwölf Hirten, die Apostel. Unge- messen ist ihre Zahl heute, die Zahl derer, die an die Stelle der Zwölf getreten sind. Gute Hirten sind sie, wenn sie bei ihrem Vorbild bleiben, bei Christus, in ihrem Denken und in ihrem Beten, schlechte, wenn sie sich dem Zeitgeist verschreiben und nicht mehr beten, wenn sie liberal geworden sind, wenn der Pragmatismus bei ihnen an die Stelle des Glau- bens getreten ist und die Nützlichkeit an die Stelle der Wahrheit.

Ein zentraler Gedanke der Botschaft Christi und seines Wirkens ist nun der, dass es keinen Himmel auf Erden gibt. Eigentlich handelt es sich dabei um das Fundament all seiner Wor- te und Taten. Diese Wahrheit muss zu allen Zeiten das Fundament des Zeugnisses und des Wirkens seiner Hirten sein: Wer den Himmel auf Erden finden will, der wird die Hölle hervorbringen. Die Hirten der Kirche haben in erster Linie die Aufgabe, den diesbezügli- chen Irrtum zu entlarven, der in unserer Welt herumgeistert und nicht wenig Schaden an- richtet, der die Menschen unfähig macht, die christliche Botschaft zu begreifen und Chri- stus nachzufolgen und seiner Kirche zu folgen. Es ist die erste Aufgabe der Hirten, das Evangelium vom Diesseits zu zerstören und den Menschen zu zeigen, wonach sie sich in Wirklichkeit sehnen, und sie dorthin zu führen.

Die Botschaft der Kirche kann kein Gehör finden, wo das Evangelium vom Diesseits sich breit gemacht hat, wo man sich an die Verheißungen des Irdischen klammert und die Augen vor der Dunkelheit verschließt, die damit in unser Leben und in unsere Welt ein- zieht. Erst wenn wir sehen, was diese Welt leisten kann und uns besinnen auf die tiefste Sehnsucht, die in uns schlummert, erst dann können wir anfangen, Christi Jünger zu sein. An diesem Punkt müssen die Hirten heute ansetzen, müssen wir alle immer wieder an- setzen im Gespräch mit den Menschen, in der Familie, am Arbeitsplatz, im öffentlichen Le- ben und in der Freizeit. Aber nicht nur im Gespräch, und das nicht einmal vordringlich, sondern vor allem und in erster Linie durch unser glaubwürdiges Leben.

Es müssen zuerst einmal alle Illusionen zerstört werden, die wir hegen und die uns einge- hämmert werden, fortwährend, von enttäuschten Menschen, von Menschen, die schon lan- ge resigniert haben, aber einflussreich sind in unserer Welt.

„Unsere Heimat ist in Himmel. Von dort her erwarten wir unseren Heiland Jesus Christus“ (Phil 3,20). So sagt es der Apostel Paulus im Philipperbrief. Das ist die Wahrheit. Dabei geht es um unsere grundlegende Orientierung an der Ewigkeit.

Die Botschaft der Kirche findet darum so wenig Gehör heute, weil allzu viele unserer Zeit- genossen einem - so muss man es schon sagen - fanatischen Diesseitskult verfallen sind und weil auch die Verkündigung des Glaubens nicht selten zumindest tendenziell davon bestimmt ist.

Eben darum aber ist das Leben so ungemütlich in dieser Welt geworden, weil es für allzu viele ein und alles geworden ist. Ohne die Jenseitsorientierung wird unser Leben zur Höl- le. Das gilt für unser individuelles Leben, und das gilt für die Gesellschaft, in der wir leben. Die Meinung, man könne den Himmel auf Erden schaffen, das ist der größte Irrtum unserer Tage. Dieser Irrtum aber wird zum Betrug, wo viele sonst kluge Leute diesen Irrtum propa- gieren.

Eine fragwürdige Modernität ist heute für viele zu einem Gefängnis geworden. Denken wir nur einmal an das Diktat der Mode, die die Menschen knechtet und ihnen dabei noch ein Gefühl der äußersten Freiheit suggeriert, in der alles Denken zerstört und alle Verantwort- lichkeit zugrunde gerichtet wird. Denken wir an das Verhalten der Menschen, an ihre Auf- fassungen, an ihre Vorlieben und an die Art und Weise, wie sie miteinander umgehen. Wie wenig eigenständig sind sie da geworden! Immer wieder gewinnt man den Eindruck, dass das Massenmenschentum noch nie so vorherrschend, dass das selbständige Denken noch nie so verpönt gewesen ist wie heute.

Der Egoismus eskaliert, die Liebesfähigkeit ist auf dem Nullpunkt. Immer chaotischer wer- den die Verhältnisse. In unserer Welt hat sich wirklich die Hölle etabliert. Aber sie verbirgt sich, die Hölle. Schon immer hat sich der Teufel den Anschein eines guten Engels gege- ben. Da müssen wir alle mit Christus mitleiden, der sich der Menschen erbarmte, die wie Schafe ohne Hirten waren.

Die Hirten müssen das Ihrige tun, und wir alle müssen das Unsere tun, dass den Menschen und unserer Zeit die Augen geöffnet werden, dass sie ihr Elend erkennen, nicht auf dass sie resignieren, sondern auf dass sie fähig werden, ihre Hoffnung auf das Jenseits zu setzen.

Unsere Welt ist so kompliziert geworden, dass sie gefährdeter ist als je zuvor. Weil sie so kompliziert geworden ist, darum ist sie so gefährdet. Darum ist die Zerstörung der Religion und des Christentums ihr Untergang.

Daraus folgt, dass die richtige Zeitdiagnose eine Lebensfrage für alle geworden ist. Es gibt keine Zukunft für uns, wenn wir uns nicht auf das Jenseits hin orientieren und wenn uns die heilenden Kräfte des Evangeliums und der authentischen Verkündigung der Kirche nicht erreichen.

Das Gebet, die Sakramente der Kirche, die gewissenhafte Erfüllung der Gebote Gottes und ein Leben in Verantwortung vor Gott und vor unserer Ewigkeit, der wir entgegengehen, das ist wieder möglich, wenn wir das Desaster unserer Zeit und unserer Welt erst einmal erkannt haben und das Heil nicht mehr da suchen, wo wir das Unheil finden.

*

Wer den Himmel auf Erden schaffen will, der produziert die Hölle. Das können wir gut er- kennen, wenn wir unvoreingenommen und kritisch unsere Welt und unsere Zeit betrach- ten. Es gibt auch kein irdisches Glück für den Menschen, wenn er es ohne die Religion sucht, das muss die Verkündigung der Kirche deutlich machen. Dabei muss sie ihr Haupt- augenmerk auf die Vergänglichkeit dieser Welt richten und auf die letzten Dinge. Die Verantwortung dafür trifft nicht nur die Hirten. Die Botschaft der Kirche artikuliert sich in Worten, aber wichtiger ist dabei das beispielhafte Leben. Dabei müssen wir uns klar ma- chen: Oft, ja, sehr oft, werden Worte nicht verstanden, weil ihnen der Hintergrund eines glaubwürdigen Lebens fehlt. Amen.

 

PREDIGT ZUM 10. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 8. JUNI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„NICHT DIE GESUNDEN BEDÜRFEN DES ARZTES,
SONDERN DIE KRANKEN“

Jesus in der Gemeinschaft von Zöllnern und Sündern, davon hören wir des Öfteren in den Evangelien. Das ist heute ein beliebter Gedanke, ein Gedanke, den man immer wieder hervorhebt. Bedeutungsvoll sagt man dann, Jesus habe sich mit den Zöllnern und mit den Sündern solidarisiert, wenn man dann nicht gar noch die Sünden dieser Sünder im Ein- zelnen nennt. Auf jeden Fall verweist man heute gern mit ausgesprochenem Wohlbeha- gen auf diesen Tatbestand und tut dann so, als ob Jesus sich sichtlich wohl gefühlt habe in dieser Gesellschaft, in der Gesellschaft der Sünder. Auf diese Weise suggeriert man den Gedanken, dass Jesus die Sünde, in welcher Gestalt auch immer, nicht so tragisch genom- men habe.

Es ist nun schon einige Jahrzehnte her, da erschien ein Buch mit dem Titel „Jesus in schlechter Gesellschaft“. Der Autor: ein abgefallener Priester.

Mit einem Jesus „in schlechter Gesellschaft“ versucht man die Sünde zu verharmlosen und das ernsthafte sittliche Streben, Opfer und Askese, zu verdächtigen, gleichsam ein Chri- stentum zu Schleuderpreisen zu vertreiben.

Im Bunde mit einem solchen Jesus wendet man sich dann gegen die Frommen, die man dann gern als Pharisäer bezeichnet. Dabei betont man, dass Jesus gegen die Pharisäer ge- wesen sei, gegen die  Frommen in damaliger Zeit, und dass seine Sympathie nicht ihnen, sondern den Zöllnern gegolten habe.

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Das ist jedoch eine verhängnisvolle Verfremdung des Gründers des Christentums, das ist nicht der wirkliche Jesus. Ein Jesus, der so charakterisiert wird, ist ein modischer Jesus, er ist ein Phantasieprodukt, eine Wunschprojektion. Der wirkliche Jesus ist nicht ein groß- zügiger Liberaler gewesen. Keineswegs hat er die Sünde relativiert. Mitnichten steht er für jenes Ideal, das man heute in einer säkularisierten Welt landauf landab verkündet. Der wirkliche Jesus hat die Sünde ernst genommen, bitter ernst. Er hat nicht mit Berufung auf das Gewissen, auf das persönliche Gewissen, die Forderungen der Moral abgeschwächt oder für unverbindlich erklärt. Im Gegenteil, er hat sie radikalisiert.

Und er vertrat auch nicht die Auffassung, dass der Zweck die Mittel heiligt, wie das heute häufiger geschieht, eine Auffassung, die man heute auch gern dem angeblichen Freund der Sünder andichtet.

Der wirkliche Jesus hat die Sünde ganz ernst genommen, bitter ernst. Er ist für die Sünden der Menschen - für unser aller Sünden - in den Tod gegangen. Daran erinnert uns das Kreuz. Das Kreuz aber ist das Symbol des Christentums, das entscheidende, das eigent- liche, nicht der Halbmond und nicht der Regenbogen und nicht die geballte Faust. Ohne das Kreuz und ohne das, wofür das Kreuz steht, verfälschen wir die Gestalt Jesu von Grund auf.

Jesus hat die Sünde ganz ernst genommen. Darum hat er auch nicht so viel gelacht, wie seine Repräsentanten das heute vielfach tun. Sie wollen doch lieb sein und beliebt. Dass Jesus gelacht hat, davon hören wir nichts in den Evangelien. Wohl wird uns da berichtet, dass er geweint hat. Das hat man in der Vergangenheit wohl registriert: Unzählige Male ist Jesus in der Kunst dargestellt worden, häufiger als irgendeine andere Gestalt der Ge- schichte, aber niemals als ein Lachender.

Jesus hat sich keineswegs mit den Sündern solidarisiert, und er hat sich mit ihnen nicht ge- mein gemacht, wohl aber hat er sich ihnen zugewandt. Das hat er nicht deshalb getan, weil er mit ihnen einverstanden war, sondern deshalb, weil er gekommen war, um sie zu erlösen. Um alle Menschen zu erlösen, war er gekommen. Er wandte sich den Sündern zu, weil er sie zu sich emporheben wollte in seiner Erlöserliebe, weil er sie zu seinem Vater führen wollte, nicht hat er sich ihnen zugewandt, weil er mit ihnen einverstanden war.

Und es ist auch gar nicht so, als ob Jesus nur bei den Sündern gewesen wäre, bei jenen, die öffentlich als Sünder gebrandmarkt waren, als ob er nur mit ihnen Gemeinschaft ge- pflegt hätte. Er ist bei allen gewesen. Auch mit den Pharisäern hat er die Gemeinschaft ge- sucht und gepflegt, gerade auch mit ihnen. Er hat sie alle angenommen, die Armen und die Reichen, die Angesehenen und die Verachteten, die Sünder und die Gerechten. Er wusste sich gesandt zu allen, für alle war er gekommen. Sein Interesse gehörte allen - noch heute gehört es allen -, den Stolzen und den Demütigen, den Hoffnungsfrohen und den Verzagten, den Selbstgerechten und den Kleinmütigen und Hilflosen, den Pharisäern und den Zöllnern. Ihnen allen galt seine Liebe und - dabei darf man nicht stehen bleiben, bei der Liebe - ihnen allen galt seine Liebe und seine Botschaft von der Umkehr. Jesus wusste, dass sie alle, denen er begegnete, die er aufsuchte, Sünder waren vor Gott, mehr oder weniger, ob sie nun von den Menschen als Sünder bezeichnet wurden oder als Ge- rechte. Aber er wusste auch um das Gute in jedem Menschen. Daran appellierte er. Im Blick darauf ermahnte er alle, sich zu Gott zu bekehren, rief er alle auf zur Erkenntnis ihrer Schuld und zu einem Leben nach den Geboten Gottes. Diese Botschaft galt den Zöllnern und den Pharisäern in gleicher Weise, wenn wir diese beiden Menschengruppen einmal für die Sünder und für die Gerechten setzen, wie das zur Zeit Jesu in der öffentlichen Meinung geschah.

Jesus war nicht bestrebt, sich beliebt zu machen. Er sagte den Menschen nicht: Macht so weiter wie bisher. Hauptsache, ihr seid nett zu mir, wie es heute nicht wenige Hirten ma- chen. Diese Versuchung stellt sich immer da ein, wo man sich von der Sache abwendet oder wo die Sache in den Hintergrund tritt.

Jesus übernahm die Begrifflichkeit seiner Zeit, wenn er sagte, dass er gekommen sei, Sün- der und Gerechte zu berufen. Dabei betonte er aber, dass niemand gerecht ist als Gott al- lein, dass alle Sünder sind vor Gott. Das heißt nicht, dass alle gleich fern waren vom Gottesreich für ihn. Er erkannte die Unterschiede, und er anerkannte das Bemühen der Menschen um das Gute, er würdigte die Opfer, die sie brachten, um vollkommen zu sein. Was er aber anerkannte, das verlangte er auch. Ja, er verlangte heroische Heiligkeit, von allen. Wie anders sollte sonst das Wort Jesu zu verstehen sein: „Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist“ (Mt 5,48)?

Für ihn gilt immer: Die Vergebung ist nicht gratis, die Umkehr und der gute Vorsatz sind die Voraussetzung für die Vergebung. Dann aber verpflichtet die Vergebung noch einmal den, der sie empfangen hat. „Geh hin, und sündige nicht mehr“ (Joh 8,11). Mit diesen Worten entlässt Jesus die Ehebrecherin im Johannes-Evangelium.

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Die Sünde und die Vergebung, der Weg der Gebote und der Selbstverleugnung, darum geht es Jesus, das ist der Kern seiner Verkündigung. Er weiß, dass es das vermessentliche Vertrauen auf die Gnade Gottes gibt, das vermessentliche Vertrauen auf Gottes Barmher- zigkeit. Er ist anspruchsvoll, nicht beschwichtigend, aber er hilft auch, wo der Mensch den guten Willen hat. Er unterscheidet zwischen der Sünde und dem Sünder. Die Sünde hasst er, aber den Sünder liebt er, vor allem dann, wenn er sich bekehrt und umkehrt. Amen.

 

PREDIGT ZUM 9. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 1. JUNI 2008 
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ES GENÜGT NICHT, ‚HERR, HERR’ ZU MIR ZU SAGEN“

Das heutige Evangelium ist, wie schon das Evangelium des vergangenen Sonntags, der Bergpredigt entnommen. Es stellt den Abschluss dieser bedeutenden Predigt dar, die Jesus am Anfang seiner öffentlichen Lehrtätigkeit gehalten hat.

Wenn man eine Rede hält, ist es angebracht, das Wichtigste zuletzt zu sagen oder es am Ende der Rede noch einmal zu sagen, damit es die Zuhörer nicht vergessen, damit sie es bewusst mitnehmen, wenn sie in den Alltag zurückgehen. So macht es Jesus im heutigen Evangelium, wenn er seine Zuhörer davor warnt, dass sie von Gott reden, dass sie den Na- men Gottes im Munde führen, ohne seinen heiligen Willen im Alltag zu erfüllen, wenn er sie davor warnt, dass sie fromm sprechen, sich aber in ihrem persönlichen Verhalten wenig darum kümmern, dass sie beten, in ihrem Leben jedoch nicht den Weg der Gebote gehen. Klar und unmissverständlich erklärt er ihnen: Wer nur betet oder nur von Gott spricht, nicht aber seinen Willen erfüllt, der kann nicht in den Himmel eingehen.

Jesus kennt das menschliche Herz. Er weiß, dass wir stets in der Versuchung sind, uns mit dem Gebet oder mit guten Ratschlägen, die wir anderen erteilen, von der Mühe der Nach- folge im Alltag loszukaufen. Hier erklärt er, dass das nicht hinreicht, dass wir damit vor Gott nicht bestehen können. Wenn wir es so machen, wenn wir nur reden, jedoch nicht han- deln, wenn unser religiöses Leben im Alltag unfruchtbar bleibt, wenn wir nur glauben, aber nicht aus dem Glauben leben, wenn wir nur hoffen, auf Gottes Verheißungen, uns aber nicht um diese Verheißungen bemühen, wenn wir nur Gott lieben, vielleicht mit gro- ßen Worten, aber an unserem Nächsten achtlos vorübergehen, dann haben wir uns ver- rechnet. Dann wird das Haus unseres Lebens einmal zusammenbrechen, dann werden uns einmal die Augen aufgehen.

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Beides hat seine Bedeutung für unser Leben als Christen, das Gebet und das Bekenntnis, das „Herr, Herr - Sagen“ auf der einen Seite und das Leben aus dem Glauben auf der an- deren Seite. In etwas anders akzentuierter Weise war das einer der Kontroverspunkte in der Zeit der Reformation vor 500 Jahren. Damals lautete der Schlachtruf der Reformatoren, der Neugläubigen: Allein der Glaube rechtfertigt den Menschen. Dagegen betonte die Kir- che der Altgläubigen das, was sie 1500 Jahre hindurch betont hatte: Der Glaube, ja, aber nicht ohne die Werke. Dabei konnte sie sich auf verschiedene Stellen des Neuen Testa- mentes berufen, nicht zuletzt auf die Bergpredigt, auf unser Evangelium.

Das Motto muss also lauten: Nicht Glaube oder Werke, sondern Glaube und Werke. So ent- spricht es nicht nur dem Evangelium, sondern auch dem tiefsten Wesen unserer mensch- lichen Natur. Wenn unsere Überzeugungen echt sind und tief, prägen sie unser Leben. Da- bei brauchen wir uns dann nicht einmal besonders anzustrengen. Das Handeln folgt aus dem Sein: Wenn Gott ist und wenn er sich uns offenbart hat, muss diese Offenbarung, muss der Wille Gottes, der sich darin kundtut, unser Leben bestimmen und verändern. Die Be- kehrung oder die Umkehr ist die Konsequenz des Glaubens, die Umkehr als eine immer neu geforderte Aufgabe.

Jesus verlangt von seinen Jüngern immer wieder, dass sie den Willen seines Vaters er- füllen, und er erklärt ihnen, dass er gekommen ist, um durch seinen Gehorsam gegenüber dem Vater im Himmel die Menschheit zu erlösen. Schon gleich bei seinem ersten öffentli- chen Auftreten in Galiläa, als man Johannes gefangen genommen hat, fordert Jesus den Glauben und die Umkehr, den Gehorsam gegenüber Gott und seinen Geboten in der Nach- folge Christi.

Der Gehorsam gegenüber Gott, das ist das eine der beiden entscheidenden Momente unse- rer christlichen Berufung. Das andere Moment ist das Gebet, ist der Umgang mit Gott. Ihm kommt gar, wenn wir genauer hinsehen, die Priorität zu. Wie sollten wir auch den Willen Gottes erfüllen können, wenn wir nicht mit Gott verbunden sind im Gebet? Das ist jedoch eine heute weithin verlorene Wahrheit, dass nicht dem Menschen, sondern Gott die Priori- tät zukommt im Christentum.

Die erste und entscheidende Äußerung des Glaubens ist das Gebet. Das Gebet ist jedoch wertlos, wenn es nicht einhergeht mit dem ernsten Willen, die Gebote Gottes zu erfüllen. Im großen Missionsbefehl Jesu erhalten die Jünger den Auftrag, zu verkündigen, zu taufen und alles halten zu lehren, was Jesus ihnen aufgetragen hat. Glaube und Werke, nicht Glaube oder Werke!

Bruder Klaus von der Flüe (+ 1487) wurde einmal von einem Bischof gefragt: Was ist die höchste der Tugenden? Seine Antwort lautete: Der Gehorsam! Der Gehorsam ist deshalb die höchste der Tugenden, weil er der Liebe entstammt. Gehorsam ist nur dort - Gehorsam als Tugend verstanden -, wo die Liebe ist.

Gewiss, der Gehorsam ist unmodern - wer will schon gehorchen? -, er ist ebenso unmo- dern, wie er ins Zentrum des christlichen Lebens gehört. Durch seinen Gehorsam hat uns der Menschensohn erlöst. Seine Speise war es, den Willen des Vaters zu erfüllen.

Glaube ohne Werke führt zur Passivität und zur Gleichgültigkeit, zu Trägheit und Bequem- lichkeit. Wenn wir aber die Werke tun ohne den Glauben - das geht ohnehin auch nur eine Zeitlang -, so führt das zum Aktivismus und zur Selbstgerechtigkeit. Die Werke tun ohne den Glauben, lange geht das ohnehin nicht. Schon bald zerrinnt die Moral, wenn das reli- giöse Fundament nicht mehr gegeben ist.

Wir dürfen die Unmoral unserer Zeit, mit der wir schmerzlich konfrontiert werden in der Welt und in der Kirche, nicht psychologisieren. Sie ist die Folge der Abwendung von Gott. Sie ist das Mysterium der Sünde und eine Beleidigung Gottes und - auch das wird oft nicht mehr bedacht - sie zieht die Strafe Gottes nach sich.

Die Unmoral unserer Zeit ist die Folge unserer Abwendung von Gott. Lapidar erklärt der ru- ssische Dichter Dostojewskij (+ 1881) im 19. Jahrhundert: Wenn Gott nicht existiert, dann ist alles erlaubt!

Es ist merkwürdig, dass wir immer wieder zur Einseitigkeit neigen, zum „entweder - oder“, während doch die Wirklichkeit von dem „sowohl - als auch“ bestimmt ist. So hat es die Kir- che in der Zeit der Reformation gegenüber den Reformatoren klargestellt: Glaube ja, aber nicht ohne die Werke.

Das gute Handeln ist nicht von Dauer, wenn es kein religiöses Fundament hat, wenn es sein Motiv und seine Kraft nicht vom Glauben erhält. Aber auch der Glaube wird schnell dahinsiechen und den Lebensodem aushauchen, wenn er nicht fruchtbar wird in den Wer- ken. So führt die eine wie die andere Einseitigkeit zur Gottlosigkeit und zur Unmoral.

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Es liegt nun nahe, dass wir noch fragen, worin der Wille des Vaters besteht, den wir erfül- len sollen. In Israel gab es in der Zeit des Alten Testamentes die Propheten, es gab damals echte Propheten und unechte. Die unechten, das waren die Hofpropheten. Die einen übten ihr Amt aus in Verantwortung vor Gott, die anderen kümmerten sich nicht um Gott, sie wollten den Menschen gefallen und redeten ihnen nach dem Mund. Damals hatte man eini- ge Kriterien entwickelt, an denen man die falschen Propheten erkennen konnte. Man ver- wies dabei vor allem auf ihre Lebensführung. Propheten, die in ihrem persönlichen Leben versagten, die sich nicht um ein heiligmäßiges Leben bemühten, erwiesen sich damit als unecht, als falsche Propheten. Diesen Gedanken greift Jesus auf, wenn er sagt: Hütet euch vor den falschen Propheten. An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen (Mt 7, 16). Es ist al- so eigentlich recht leicht, die falschen Propheten von den echten zu unterscheiden. Wir müssen nur genauer hinschauen. An den Früchten, an den Werken, kann man die Jünger Jesu wie auch die rechten Propheten erkennen.

Daraus folgt für uns persönlich, dass wir uns als rechte Jünger Jesu und als echte Prophe- ten erweisen durch unser Leben. Im Neuen Bund ist schließlich jeder ein Prophet, der ge- tauft ist und gefirmt, ein Zeuge Gottes für die Menschen, einer, der den menschgeworde- nen Gottessohn, den Erlöser, der Welt verkündet, durch sein Wort und durch sein Leben. Dass wir gute Früchte bringen, dass wir nicht nur „Herr, Herr“ sagen, sondern den Willen Gottes erfüllen, das ist nicht nur ein guter Rat, das ist für uns eine Frage auf Leben und Tod. Ohne den Gehorsam im Leben können wir im Gericht nicht bestehen vor Gott. Das ist der Tenor der Verkündigung Jesu, unmissverständlich. Unerbittlich ist er gegenüber den falschen Propheten und gegenüber all denen, die seinen Namen in ihrem Munde führen, ihn aber nicht verehren durch einen gewissenhaften Lebenswandel. Die Sprache Jesu ist klar, so klar, dass man heute vielfach Anstoß nimmt an ihr und sie neu interpretiert im Sin- ne einer Auflösung ihrer Inhalte. Amen

 

PREDIGT ZUM 8. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 25. MAI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN 

„MACHT EUCH KEINE SORGE FÜR DAS MORGEN“

Das Evangelium des heutigen Sonntags ist der Bergpredigt entnommen, einer Sammlung von besonders bedeutsamen Jesus-Worten. Der zentrale Gedanke des Evangeliums ist der der ängstlichen Sorge, an deren Stelle das Gottvertrauen treten soll, das in der Gestalt der christlichen Tugend der Gelassenheit zu einer gewissen Perfektion kommt. Man kann die Gelassenheit auch als heilige Sorglosigkeit bestimmen. In ihr lässt man ganz bewusst den Willen Gottes geschehen gemäß der Vaterunser-Bitte „dein Wille geschehe“. Der heilige Ignatius von Loyola (+ 1556) und der heilige Franz von Sales (+ 1622) sprechen hier von der „sancta indifferentia“ und charakterisieren sie als jene Tugend, in der wir in vertrauens- voller Hingabe an den heiligen Willen Gottes freudig die Unannehmlichkeiten und Wider- wärtigkeiten des Lebens ertragen.

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Die Gelassenheit wird uns zur Tugend, wenn wir darin geübt sind, uns selbst zu verlassen und uns Gott zu überlassen. Sie ist die reifste Frucht der Liebe zu Gott in der Gestalt der Hingabe. Unser ängstliches Sorgen ist nämlich nichts anderes als Ichverhaftetheit. „Wer sein Leben verliert“ - das ist ein zentraler Gedanke in der Verkündigung Jesu, wie sie uns in den Evangelien bezeugt wird -, „der wird es finden“ (Mt 10, 39).

Vorgebildet wurde die Tugend der Gelassenheit in diesem Verständnis in der „ataraxia“ der alten Griechen. Die alten Griechen verstanden die „ataraxia“ als die Tugend des Wei- sen und definierten sie als emotionale Gelassenheit gegenüber den Schicksalsschlägen, als Affektlosigkeit gegenüber jenen Einwirkungen von außen, die das innere Glück und die innere Ruhe gefährden.

Die Gelassenheit verbietet es uns nicht grundsätzlich, dass wir uns Sorgen machen. Es gibt berechtigte Sorgen, sie sind ein Ansporn für uns, dass wir unguten und gefährlichen Ent- wicklungen entgegentreten in Kirche und Welt, dass wir Gefahren aus dem Wege gehen und unsere Zukunft sichern, soweit das möglich ist. Dazu sind wir gar verpflichtet, das darf jedoch nicht ängstlich geschehen. Es wäre jedenfalls verfehlt, wenn wir gleichgültig in den Tag hineinleben würden, ohne vorzusorgen, wenn wir ohne Verantwortung und in Verken- nung der Verpflichtungen leben würden, die wir Gott, unseren Mitmenschen und uns selbst gegenüber haben.

Die Trägheit ist ein Zerrbild der Gelassenheit, die Trägheit, die sich auch als Faulheit und Tatenlosigkeit darstellen kann. Gott hat uns zum Tätigsein und zur Arbeit geschaffen und damit auch zur Vorausschau und zur Voraussorge. Er ist immerfort tätig, sofern er uns und unsere Welt im Dasein erhält. Und in unserem Tätigsein nehmen wir teil am Tätigsein Got- tes. Die Kräfte, die wir nicht gebrauchen, verkümmern. Müßiggang ist aller Laster Anfang, sagt der Volksmund, und: Geben ist seliger als nehmen. Unsere Zeit gehört Gott, und wir müssen sie ihm zurückgeben. Die Aufforderung, die Zeit für die Ewigkeit zu nutzen, begeg- net uns in der Offenbarung Gottes mehr als einmal.

Aber unser Tätigsein muss in Gelassenheit erfolgen, in jener Grundhaltung, in der wir uns selber verlassen, um uns Gott und - um seinetwillen - den Menschen zu überlassen. Das Bemühen um diese Lebensmaxime ist der Beweis unserer Hingabe an Gott und die Probe unseres Glaubens an den Vatergott.

Bedenken wir das alles, müssen wir beschämt zugeben, wir alle, dass es nicht weit her ist bei uns mit unserer Hingabe an Gott, dass wir allzu oft Gott sagen und uns selber meinen. Dass wir es so machen, dazu ist die Versuchung groß und mannigfach. Und die Selbsttäu- schung hat hier viele Gesichter, aber nicht nur hier.

In dem Bemühen um die Gelassenheit überwinden wir die Unruhe, die Aufgeregtheit, die Hektik und die Angst, die heute das Leben vieler Menschen bestimmen, auch vieler Chri- sten. Das ist deshalb so, weil Gott für sie nur noch ein Gedanke und keine Wirklichkeit mehr ist. Sie lassen nicht Gott sorgen, sondern setzen all ihre Hoffnung auf ihr eigenes Sorgen.

Wenn wir uns selbst verlassen und uns Gott überlassen, wenn die Gottesliebe in der Gestalt der Hingabe unser Leben bestimmt und wenn wir so das krampfhafte Festhalten an unse- rem eigenen Ich überwinden, dann gelangen wir zur heiligen Sorglosigkeit und finden darin die wahre Freiheit, die Freiheit der Kinder Gottes, von der der heilige Paulus so oft spricht. Mit ihr aber verbindet sich immer neu jene bleibende Freude, die durch die widri- gen Ereignisse dieser Welt nicht mehr erschüttert werden kann, es sei denn durch die Sün- de. Sie ist besonders charakteristisch für das Leben der Heiligen. Es handelt sich hier um eine beherrschte Freude, die man am besten als Heiterkeit der Seele bestimmt. Sie geht stets hervor aus der Gelassenheit, die ihrerseits die Frucht der Hingabe an Gott ist. „Freut euch im Herrn, die ihr ihn in Wahrheit anruft“, mit diesen Worten, mit denen Papst Paul VI. auf den Philipperbrief anspielt (Phil 4, 4), beginnt er eine „Adhortatio Apostolica“ im Jahre 1975.

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Wer sich um die Tugend der Gelassenheit bemüht, der sucht zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit, der relativiert das Vergängliche und setzt  seine ganze Hoffnung auf das Bleibende. Er glaubt fest und unerschütterlich an die Liebe Gottes. Deshalb kann ihm nichts mehr etwas anhaben, nicht einmal mehr der Tod. Wer aber auch den Tod nicht mehr fürchtet, der ist wirklich unüberwindlich.

Die Gelassenheit, die Konsequenz des Glaubens an den Vatergott und die Frucht der Hin- gabe an Gott, die stets die Heiterkeit der Seele gebiert, ist für uns eine große Hilfe im Le- ben und im Sterben. Aber nicht nur das. Sie ist auch eine ernste Verpflichtung für uns.

Christus ist uns ein Vorbild der Gelassenheit. Er hat sie nicht nur gefordert, er hat sie auch gelebt, in letzter Konsequenz und beispielhaft für uns alle. Immer war er gelassen in sei- nem Erdenleben, immer hat er sich selber verlassen und sich Gott, seinem Vater, überla- ssen, vor allem angesichts jener wachsenden Feindseligkeit der Menschen, die ihn in die Nacht seiner Passion hineingeführt hat.

Wenn wir uns um die Gelassenheit bemühen, überlassen wir Gott das Steuer unseres Le- bens, leben wir in der Hingabe und lassen wir uns in allen Schicksalsschlägen und Enttäu- schungen von der Zuversicht bestimmen, dass die Dunkelheit einmal dem Licht weichen wird, wenn wir sie aushalten, die Dunkelheit, und dass dann alles gut werden wird, weil Gott gut ist und weil er es gut meint mit uns.

„Denen, die Gott lieben“, erklärt Paulus im Römerbrief, „wird alles zum Guten gereichen“ (Rö 8, 28). Dieses Wort sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen in den Bedrängni- ssen unserer Zeit und unseres persönlichen Lebens. Amen.

 

PREDIGT ZUM FRONLEICHNAMSFEST, GEHALTEN AM 22. Mai 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„MEIN FLEISCH IST WAHRHAFT EINE SPEISE UND MEIN BLUT
IST WAHRHAFT EIN TRANK“

 

Einen Menschen in seiner Nähe zu wissen, der einem mehr bedeutet als ein großes Kapi- tal, das gehört zu dem Schönsten, was uns das Leben bieten kann. Diese Nähe schenkt uns Christus. Er ist mehr als ein Mensch. Er gehört zwar der jenseitigen Welt an, aber er will uns nahe sein. Er bleibt inmitten seiner Kirche, sofern die Feier seiner Erlösung immerfort, in jeder Stunde, auf der Erde erneuert oder besser: vergegenwärtigt wird. Und er bleibt bei uns, wenn die Feier vorüber ist. Er wohnt in unseren Kirchen. Durch seine sakramentale Gegenwart werden diese wahrhaft zu Gotteshäusern.

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Christus ist uns im Sakrament des Altares gegenwärtig wie in seinem irdischen Leben, „wahrhaft, wirklich und wesentlich“, so sagt es das Konzil von Trient, eigentlich sogar noch inniger und unmittelbarer als in jenen Tagen. Hier erfüllt sich auf wunderbare Weise die Verheißung Jesu „ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt“.

Das Bekenntnis zum Sakrament des Brotes und des Weines, wie es die Kirche bewahrt seit der Stunde des Abendmahls, ist das Bekenntnis zu dem lebendigen und lebendig machen- den Herrn, der das Leben der Welt ist. Darin bekennen wir uns gleichzeitig zu seinem Erlö- serleiden und zu seinem Tod und zur Zuwendung der Erlösungsgnaden an uns, weshalb der Erlöser uns hier in den getrennten Gestalten von Brot und Wein begegnet. Die getrenn- ten Gestalten, sie stellen sichtbar seinen Tod dar.

Der heilige Thomas von Aquin (+ 1274) erklärt: „Dieses Sakrament heißt Opfer, sofern es das Todesleiden Christi darstellt, es heißt aber Opfergabe, sofern es Christus selbst enthält, welcher die Opfergabe des Heiles ist“ (STh III, 73, 4 ad 3).

Pseudo-Dionysius, ein frommer Mystiker des 5. Jahrhunderts, hat das eucharistische Sakra- ment als das Ziel und die Vollendung der Sakramente, als das Sakrament der Sakramente bezeichnet, weil es Christus selber in sich enthält, wie er sagt (STh III, 63, 6; vgl. 4 dist. 24, 1, 2, 1 ad 1).

Im Glauben der Kirche ist es in der Tat das Größte unter den Sakramenten, sind alle Sa- kramente auf dieses eine hingeordnet und finden sie in ihm ihre Erfüllung (STh III, 75, 3; 65, 3). Die Taufe ist der Anbeginn des geistlichen Lebens und das Tor zu den Sakramenten der Kirche, das Herrenmahl aber ist die Vollendung des geistlichen Lebens und das Ziel aller Sakramente (STh III, 73, 3), weshalb man es zu Recht es als das Wunder aller Wunder be- zeichnet hat.

In diesem Sakrament ist das Geheimnis unseres Heiles in seiner Ganzheit enthalten, wie Thomas von Aquin feststellt (STh III, 83, 4), weil Christus in ihm seinshaft gegenwärtig ist mit seiner Gottheit und mit seiner Menschheit. Diese Wirklichkeit glauben wir um der Auto- rität Gottes willen, durch die Sinne oder durch die Vernunft können wir sie nicht erfassen (STh III, 76, 1; 71, 2, ad 2; 75, 1).

Kurz und bündig erklärt der heilige Thomas: „Dazu werden die Priester geweiht, dass sie das Sakrament des Leibes und des Blutes Christi vollziehen“ (STh III, 67, 2). Wie er fest- stellt, haben sie eigentlich nur zwei Aufgaben, die Priester, nämlich die Feier der heiligen Messe und die Bereitung des Volkes Gottes für diese Feier (4 dist. 24, 3, 2, 1). Und er fügt hinzu: „In der Verehrung dieses Sakramentes verbindet sich die Furcht mit der Liebe. Aus der Liebe ersteht die Sehnsucht, es zu empfangen, aus der Furcht aber demütige Scheu. Und so ist in der Verehrung dieses Sakramentes beides einbeschlossen, sowohl dass es täglich empfangen werde wie auch, dass man sich von Zeit zu Zeit seiner enthalte“ (STh III, 80, 10 ad 3).

Es tut not, dass wir uns auf das eine wie auf das andere besinnen, darauf, dass die Feier der heiligen Messe und die Hinführung der Gläubigen zur heiligen Messe die eigentliche Aufgabe des Priesters ist, weshalb er nicht zu ersetzen ist, und dass sich in der Feier und in der Verehrung dieses Sakramentes die Furcht mit der Liebe verbinden muss, woraus die Sehnsucht und die demütige Scheu hervorgehen.

Die Eucharistie ist das Herz der Kirche und als solches wie nie zuvor bedroht durch den Un- glauben von außen wie von drinnen. Das Herz ist unser bedeutendstes Organ, und es ist leichter verletzlich als alle anderen Organe.

Das Sakrament des Altares ist das Zeichen der Einheit der Kirche, der Einheit schlechthin. Es verbindet uns mit Christus und untereinander. Dennoch gab es schon bei seiner Ver- heißung erbitterten Streit: „Sie stritten untereinander und sagten: Wie kann uns dieser sein Fleisch zu essen geben“ (Joh 6, 52). Davon haben wir soeben im Evangelium gehört. Da- mals verließen ihn auch viele von seinen Jüngern.

Der Streit um das Sakrament des Altares wiederholte sich häufiger in der Geschichte, be- sonders heftig in der Zeit der Reformation. Damals ging es um den Begriff der Wesensver- wandlung. Man hielt an der Gegenwart Jesu fest, wollte diese aber mystisch verstehen. Das Brot sollte Brot sein und bleiben. Heute ist davon oftmals nur noch ein symbolisches Ver- ständnis übrig geblieben. Dieses symbolische Verständnis finden wir in der Gegenwart mehr und mehr auch in unseren eigenen Reihen. Unterstützt und gefördert wird es durch die Rede von dem „heiligen Brot, in dem und durch das sich Jesus schenkt in seiner erbar- menden Liebe”. Der Ruf nach der Interkommunion ist ein sprechender Ausdruck für diese Situation.

Allein, die Wahrheit ist nur eine. Dass wir sie heute in verhängnisvoller Weise relativieren, auch in anderen Bereichen, darin liegt eine große Tragik. Darin erfahren wir, dass der Irr- tum und die Lüge eine große Faszination ausüben auf uns, wenn wir uns von Gott abwen- den, wenn wir dem Sog der Gesetzlosigkeit und der Beliebigkeit verfallen.

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Das Sakrament des Altares ist die Mitte, das Herz der Kirche. Der gläubige Katholik lebt aus ihm im Alltag seines Lebens. Das Ideal ist für ihn die tägliche Feier und Mitfeier der heili- gen Messe. Die verwandelte eucharistische Speise hat die Kraft in sich, uns selbst umzu- wandeln. Das ist hier anders als bei der natürlichen Speise. Die eucharistische Speise ver- wandelt unser Leben, wenn wir sie gläubig und ehrfürchtig genießen und wenn wir sie ebenso gläubig und ehrfürchtig verehren und anbeten. Sie macht uns stark in der Ausein- andersetzung mit dem Bösen, sie schenkt uns Eifer im religiösen Leben, und sie tröstet uns in den Enttäuschungen unseres Lebens. Und sie beheimatet uns in jener Welt, die nicht der Vergänglichkeit unterworfen ist. Amen.

 

PREDIGT ZUM DREIFALTIGKEITSSONNTAG, GEHALTEN AM 18. MAI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN 

„EHRE SEI DEM VATER UND DEM SOHN UND
DEM HEILIGEN GEIST“

Das Geheimnis des dreifaltigen Gottes ist das tiefste Geheimnis unseres Glaubens. Zusam- men mit dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes ist es das Fundament aller anderen Glaubensgeheimnisse. Im Geheimnis des dreifaltigen Gottes erfahren wir, wer Gott ist, so- weit wir ihn überhaupt verstehen können in seinem Wesen, und wie wir ihn verehren sol- len. Wir erfahren in ihm, dass Gott nicht einfach nur einer ist, dass er vielmehr als der Eine in drei Personen ist: Die Einheit ist die Außenseite der Wirklichkeit Gottes, die Dreiheit ihre Innenseite. Nirgendwo tritt die Unbegreiflichkeit Gottes so sehr hervor wie in diesem Ge- heimnis. Mit ihm unterscheidet sich die Religion des Alten und des Neuen Testamentes auch wesentlich von allen anderen Religionen. Die Religionen sind ja nichts anderes als Ahnungen des menschlichen Geistes, sie sind allein aus dem menschlichen Intellekt her- vorgegangen. Den einen Gott in drei Personen jedoch, ihn kann kein menschlicher Geist erahnen, ihn kann kein menschlicher Intellekt ersinnen. Von diesem Geheimnis können wir nur wissen, wenn Gott selber es uns kundtut.

Als der Apostel Paulus einst auf dem Marktplatz von Athen über Gott sprach, fand er inter- essierte Zuhörer, als er aber das Geheimnis der Dreifaltigkeit ansprach, da wandten sich die Meisten ab. Die etwas Höflicheren sagten: Darüber wollen wir dich ein anderes Mal hö- ren, die anderen fassten sich an den Kopf (Apg 17).

Das ist heute nicht viel anders. Auch heute ist das tiefste Geheimnis unseres Glaubens für viele ein Ärgernis, wenn sie es überhaupt noch zur Kenntnis nehmen. Für die Nichtchristen ist das nicht verwunderlich. Aber nicht nur sie lehnen es ab. Auch viele Christen, auch viele katholische oder wenigstens sich katholisch nennende. Sie wollen darin nur drei Offenba- rungsweisen des einen Gottes erkennen. So suggerieren es ihnen manche kluge Theolo- gen, die eigentlich nicht mehr im Dienst der Kirche stehen. Damit wird die Sache zwar ver- ständlicher, aber der Glaube der Kirche verfehlt. Dieser wird damit zu einer Philosophie gemacht, sofern man einfach das ausscheidet aus ihm, was man nicht versteht. Die Redu- zierung des Glaubens auf seine Plausibilität, das ist eine Methode, die uns heute auch sonst sehr häufig begegnet.

Das Geheimnis des dreifaltigen Gottes ist nicht gegen die Vernunft - was gegen die Ver- nunft ist, das kann es nicht geben, das ist nicht möglich -, das Geheimnis des dreifaltigen Gottes ist nicht gegen die Vernunft, wohl aber geht es über die Vernunft hinaus. Es über- steigt unser Denken und erst recht jede Vorstellung.

Wir verstehen einiges von diesem Geheimnis, aber nicht viel. Das gilt eigentlich für alle Glaubensgeheimnisse, die Gott uns offenbart hat. Nicht anders ist das im Bereich unseres natürlichen Erkennens. Auch da gibt es nicht wenige Dinge, die wir nur zum Teil verstehen, bei denen wir nur etwas begreifen. Bei ihnen handelt es sich allerdings um natürliche Ge- heimnisse.

Wir wollen heute morgen versuchen, ein wenig Vernünftiges über das Geheimnis des drei- faltigen Gottes zu sagen und zu zeigen, was daraus folgt für unser Leben mit Gott.

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Die Unbegreiflichkeit Gottes ist bereits mit seinem Gottsein gegeben. Sie ist in dem Begriff „Gott“ eingeschlossen. Wenn Gott den menschlichen Geist geschaffen hat, kann der menschliche Geist ihn schon deshalb nicht begreifen. Begreifen kann der Mensch immer nur das, was kleiner ist als sein Geist, was sozusagen in seinen menschlichen Geist hinein- passt.

Der Kirchenvater Augustinus hat im 5. Jahrhundert das schöne Wort geprägt: „Ein Gott, den du verstehen kannst, ist nicht Gott, ein solcher Gott kann immer nur das Produkt deines Geistes sein“. Das Gleiche sagt Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert mit anderen Worten, wenn er feststellt: „In diesem Leben erkennen wir Gott um so vollkommener, je tiefer wir einsehen, dass er alles überragt, was wir je durch unseren Verstand begreifen können“.

Dass Gott in drei Personen existiert, dass die Innenseite des göttlichen Wesens die Dreiheit ist, während die Außenseite die Einheit ist, das ist nicht menschliche Phantasie, das hätte nie ein Mensch ausgedacht oder ausdenken können, das ist uns von Gott selber in der Of- fenbarung mitgeteilt worden, im Alten Testament andeutungsweise, im Neuen mit wach- sender Deutlichkeit.

Von den drei Personen ist die Rede etwa bei der Ankündigung der Geburt Jesu und bei sei- ner Taufe im Jordan. Sodann hat Jesus in seinem Erdenleben viel von seinem Vater und auch vom Heiligen Geist gesprochen, eigentlich immer deutlicher, je mehr sich seine irdi- sche Sendung dem Ende zuneigte. Wie ein dramatischer Schlussakkord begegnet uns dann die Offenbarung des dreifaltigen Gottes nach der Auferstehung Jesu, vor seiner Him- melfahrt, im so genannten Taufbefehl.

Die Taufe im Namen des dreifaltigen Gottes, sie ist die Bedingung des Heiles für uns. Wenn wir sie im Glauben empfangen, erhalten wir darin zum ersten Mal die Erlösungsgnade, das göttliche Leben, das für uns zusammen mit dem Glauben und mit dem Leben aus dem Glauben die Voraussetzung ist für die ewige Gemeinschaft mit Gott.

Auf den dreifaltigen Gott sind wir getauft. Darum beginnen wir all unsere Gebete im Na- men des dreifaltigen Gottes, beginnen und beschließen wir sie in seinem Namen. Darum sollten wir auch jeden Tag, den der dreifaltige Gott uns schenkt, mit ihm beginnen und beschließen.

Wer unvoreingenommen die Botschaft des Neuen Testamentes von dem dreifaltigen Gott hört, wird erkennen, dass der Vater und der Sohn und der Heilige Geist nicht nur Offenba- rungsweisen Gottes sind, sondern wirkliche Personen, denn nicht der Vater ist Mensch ge- worden, und nicht der Sohn ist der Beistand des Vaters, von dem Christus so viel gespro- chen hat.

Als die unendliche Seins- und Lebensfülle ist Gott von solcher Größe, dass er nicht einfach einer ist in unterschiedsloser Einheit, dass er sich vielmehr in der Einheit als geheimnis- volle Dreiheit darstellt. Damit wird nicht behauptet, dass drei gleich eins ist, wohl aber, dass in dem wesenhaft einen Gott in den drei göttlichen Personen in geheimnisvoller Wei- se die Dreiheit verwirklicht ist.

Dass uns das mitgeteilt wurde, dafür müssen wir dem dreifaltigen Gott danken. Dieser Dank muss seinen Ausdruck finden in Worten des Gebetes, aber er darf sich darin nicht er- schöpfen, er muss auch darin Gestalt finden, dass wir auf den dreifaltigen Gott hören, dass wir ihm vertrauen im Leben und Sterben und dass wir seinen Geboten Folge leisten.

Seinen tiefsten Ausdruck aber muss dieser Dank finden in der schweigenden Anbetung. In ihr werden wir klein vor Gott, betrachten wir seine Größe, nahen wir uns ihm ehrfürchtig und schenken wir ihm uns selbst und unser Leben.

Der Geist der Anbetung und die Ehrfurcht vor Gott, das gibt es heute noch, aber nicht gera- de häufig.

Das Fest des dreifaltigen Gottes will uns daran erinnern, dass wir unsere christliche Beru- fung verfehlen, ja, mehr noch, unser Menschsein, wenn wir keine Zeit haben für den drei- faltigen Gott, wenn wir an ihm vorbei leben, wenn wir nicht beten und nicht hören auf ihn und wenn wir nicht ein wenig aus dem Geist der Anbetung leben. Amen.

 

PREDIGT ZUM PFINGMONTAG, GEHALTEN AM 12. MAI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DER GEIST GOTTES SCHWEBTE ÜBER DEN WASSERN“

Wir finden am ehesten noch einen Zugang zum Heiligen Geist, wenn wir ihn als die Liebe verstehen, als die Person gewordene Liebe in Gott, als die Liebe zwischen dem Vater und dem Sohn, die das innerste Geheimnis des unbegreiflichen Gottes ist, weshalb der erste Johannesbrief kategorisch erklärt „Gott ist die Liebe” (1 Joh 4, 8). Dieses Geheimnis aber ist zugleich das innerste Geheimnis der Welt. Das will sagen, dass die Welt ein Ausdruck der Liebe Gottes ist: Aus Liebe hat Gott alles ins Dasein gerufen, alle sichtbaren und un- sichtbaren Dinge, das Universum, unseren Lebensraum und uns Menschen. Darum heißt es ganz am Anfang der des Alten Testamentes, im zweiten Vers des ersten Buches: „Die Erde war wüst und leer, Finsternis lag über der Urflut und der Geist Gottes schwebte über den Wassern“ (Gen 1, 2). Deshalb nennen wir den Heiligen Geist auch gern in unseren Gebeten und Liedern, die freilich sehr zusammengeschrumpft sind, den Schöpfer Geist. Weil Gott die Welt aus Liebe geschaffen hat, darum ist der Heilige Geist das innerste Geheimnis der Schöpfung.

*

Gott ist die Liebe in Person oder besser: die Liebe ist Person in ihm. So belehrt uns die göttliche Offenbarung. Die in ihm Person gewordene Liebe aber hat ihn veranlasst, die Welt und uns ins Dasein zu rufen. Wenn so bereits die Schöpfung das Werk der Liebe Got- tes ist und Gottes Liebe atmet und widerspiegelt, so gilt das in einem höheren Maß und in einem weit tieferen Sinn von der Erlösung. Darum hat der Auferstandene seine Zeugen mit dem Heiligen Geist beschenkt, hat er seiner Kirche den Heiligen Geist gegeben und er- neuert ihn fortwährend in den Gläubigen, sofern sie nicht nur formell Gläubige sind. Die Erlösung meint ja die Berufung zur innigsten Lebensgemeinschaft mit Gott, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben bei Gott. Schon seit der Väterzeit verstehen wir die Erlösung als eine zweite Schöpfung.

Wie einst die Welt geschaffen wurde durch die Liebe Gottes, die sich dann aber von dieser Liebe abwandte und im Stolz den Tod wählte, so wurde die Welt im Heiligen Geist durch die Liebe Gottes erlöst. Diese Erlösung aber müssen wir dankbar im Glauben und durch ein Leben aus dem Glauben ergreifen. Daher schwebte der Geist Gottes nicht nur am Morgen der Schöpfung über der Erde, „die wüst und leer war“, die ein Tohuwabohu war, wie es im Hebräischen heißt, woraus das geordnete Universum werden sollte, daher schwebte er auch über der jungen Kirche von Jerusalem im Zeichen des Hauches oder des Sturmes, das heißt des Lebens, und im Zeichen der feurigen Zungen, das heißt der leuchtenden und der wärmenden Wahrheit. Das Leben und die Wahrheit, sie bilden das Wesen der Liebe und somit auch das Wesen des Heiligen Geistes.

Nun gehört es jedoch zur Eigenart der Liebe, dass sie den Menschen nicht zwingt. Liebe und Freiheit gehören zusammen, so eng wie Hass und Knechtschaft oder Tyrannei. Wo Hass ist, da ist auch Knechtschaft und Tyrannei, und wo Tyrannei ist und Knechtschaft, da ist auch Hass. Das gilt nicht nur für die Geschichte, das gilt auch für die modernen Dikta- turen. Sie predigen den Hass und rühmen sich gar noch des Hasses gegen die Andersden- kenden. Das gilt aber auch im gesellschaftlichen Leben, auch da paart sich stets der Hass mit der Tyrannei und die Tyrannei mit dem Hass.

Darüber hinaus machen wir heute immer wieder die Erfahrung, dass der Hass und die Ge- hässigkeit da herrschen, wo wir uns von Gott abwenden, wo wir Gott und den Glauben an seine Offenbarung verlieren, vielfach freilich unter der Maske der Liebe, die dann indessen allzu oft auf die geschlechtliche Liebe reduziert wird oder sich als geheuchelte Toleranz darstellt.

Es gehört zur Eigenart der Liebe, dass sie den Menschen nicht zwingt. Das gilt in gleicher Weise für den Heiligen Geist, in dem die Gnade der Erlösung bei uns ist. Wir können uns abwenden von ihm, ja, immer neu müssen wir uns ihm öffnen, damit er bei uns bleibt. Ein sprechender Ausdruck dieser unserer Bereitschaft und unserer Offenheit für ihn ist das Ge- bet um sein Kommen. Schon im Alten Testament betete man in Psalm 104: „Sende aus dei- nen Geist und alles wird neu geschaffen, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern“ (Ps 104, 30). Dieses Gebet beherrscht das Pfingstfest, es herrscht aber auch überall, wo der Heilige Geist verehrt wird.

Die Erlösung haben wir nicht als festen Besitz, wir brauchen sie immer neu, die Vergebung durch den Geist Gottes und die Gemeinschaft mit Gott und diesen Heiligen Geist, die Liebe Gottes, als das Prinzip unseres Handelns, das heißt als den tiefsten Beweggrund unseres Tuns.

Damit das nicht so allgemein bleibt, sollten wir damit beginnen, heute noch, jeden Abend unser Gewissen zu erforschen und dann um den Heiligen Geist zu beten. Und wenn es auch nur dieser eine Vers ist: „Sende aus deinen Geist, und aller wird neu geschaffen, und du wirst das Angesicht der Erde erneuern“.

Es gibt kein wichtigeres Gebet in unserer Zeit als dieses, da wiederum das Tohuwabohu des Anfangs über der Erde liegt, dieses Mal allerdings in geistiger und in religiöser Hin- sicht. Nur wenn viele täglich den Heiligen Geist anrufen, können die Welt und die Kirche wieder geordnet werden. Auch unser persönliches Leben will er wieder ordnen, der Heili- ge Geist, wenn es aus dem Lot geraten ist. Egoismus, Gleichgültigkeit, Wichtigtuerei, gei- stige und religiöse Verflachung, Friedlosigkeit und Hass präsentieren sich uns überall, Hass gegen Menschen, aber auch gegen alles, was einen überzeitlichen Anspruch erhebt, vor allem auch gegen die Wahrheit, weil sie so unbequem ist.

Der Geist Gottes wirkt nicht unmittelbar, die Erneuerung der Erde und unseres Lebens wirkt er durch uns. Die Erneuerung, um die es hier geht, ist das Werk von Menschen, die sich von der Liebe Gottes ergreifen lassen und entsprechend handeln.

*

Einst, als Gott das Werk der Erlösung begann, als er Mensch  werden wollte, bediente er sich des reinsten und größten Menschen, der je diese Erde betreten hat, bediente er sich der Jungfrau von Nazareth, die wir als die Braut des Heiligen Geistes bezeichnen. Im Hei- ligen Geist wurde sie das Tor zur Erlösung. Sie vermittelt uns fortwährend den Zugang zum Heiligen Geist. Durch sie finden wir den Heiligen Geist und damit die Erneuerung der Erde und der Kirche und unseres Lebens je neu, die Überwindung des Egoismus, der Gleich- gültigkeit, der Wichtigtuerei, der geistigen und religiösen Verflachung, der Friedlosigkeit und des Hasses. Es gibt keinen Heiligen, der nicht mit großer Liebe und Verehrung zu Ma- ria gestanden hätte. Sie war voll der Gnade, sie hat dem Heiligen Geist keinen Wider- stand entgegengesetzt. In ihr kam die verwandelnde Kraft der Liebe Gottes voll zur Wir- kung. Daher gibt es auch für uns nur einen sicheren Weg zum Heiligen Geist und damit zur bleibenden Erlösung, nämlich das Vertrauen zu Maria und die Hinwendung zu ihr, die An- rufung der Mutter Jesu und die Nachahmung ihres Lebens. Amen

 

PREDIGT ZUM HEILIGEN PFINGSTFEST, GEHALTEN AM 11. MAI 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

 „ALLE WURDEN VOM HEILIGEN GEIST ERFÜLLT
UND FINGEN AN ZU REDEN“

Der Heilige Geist kam auf die ersten Jünger Jesu herab im Zeichen von feurigen Zungen. Das ist der Gegenstand des Pfingstfestes, das wir heute und morgen begehen, heute und morgen, weil es so bedeutsam ist für die Kirche und für die Welt. „Alle wurden vom Hei- ligen Geist erfüllt und fingen an, von den Großtaten Gottes zu reden”, heißt es in der (er- sten) Lesung des heutigen Tages. Dieses Reden bringen die feurigen Zungen zum Aus- druck. Sie symbolisieren das Wirken des Heiligen Geistes. Sie sagen, was er vor allem tut, der Geist Gottes: Er löst die Zungen der Menschen, er lehrt sie und ermöglicht ihnen den Lobpreis Gottes, das Gebet, das Gespräch mit Gott, und das furchtlose und kraftvolle Zeug- nis für ihn und für seine Heilstaten in der Welt.

Der Heilige Geist lehrt uns das Gebet und die Verkündigung, er lehrt uns, zu Gott zu reden und von ihm zu reden. Dazu befähigt er uns und dazu stärkt er uns.

Gewiss wirkt der Heilige Geist auf vielfache Weise in der Kirche und in der Welt. Ganz allgemein schreiben wir ihm das Werk der Heiligung zu - wir nennen ihn von daher den Heiligen Geist -, vor allem aber das Gebet und das Bekenntnis.

Dabei sind diese beiden Momente nicht selten die beiden Seiten ein und derselben Wirk- lichkeit. Ja, sie sollten es eigentlich immer sein. Die Verkündigung der Großtaten Gottes, das Zeugnis von der Wahrheit des Evangeliums, das Zeugnis von Christus und seiner Kir- che, es lebt vom Gebet, von dem Umgang mit Gott und mit Christus. Die Botschaft wird hohl, wenn sie nicht aus der Begegnung mit dem hervorgeht, den sie bezeugen will, sie wird formalistisch und leer, wenn sie nicht das verkündet, was das gläubige Herz erfahren hat in einem Leben aus dem Gebet. Sie ist kraftlos - wer wollte es nicht sehen, dass das heute vielmals der Fall ist? -, sie ist kraftlos, die Botschaft, wenn die Boten nicht zuerst vor Gott hintreten, bevor sie vor die Menschen hintreten, wenn sie nicht aus dem Gebet hervor- geht und von ihm getragen wird.

Im Gebet empfängt die junge Kirche von Jerusalem den Heiligen Geist, den Jesus seinen Jüngern bei ihrer Aussendung verheißen hat, wenige Tage zuvor. Und sie empfängt ihn zum Gebet und zum Zeugnis.

Zweimal haben wir den Heiligen Geist empfangen, ein jeder von uns, zweimal wurde der Heilige Geist uns mit seiner Gabenfülle geschenkt, in der Taufe und in der Firmung. Damit wurden wir ein für allemal befähigt und beauftragt, offiziell, in seiner Kraft Zeugen Gottes und Christi zu sein, und das aus dem Geist des Gebetes.

*

Wenn wir ehrlich sind vor uns selber, müssen wir es zugeben, wir alle, dass wir diese Befä- higung und diesen Auftrag nicht sehr ernst genommen haben, den Lobpreis Gottes und die Verkündigung seiner Großtaten, das Gebet und das Bekenntnis. Wir alle haben das Zeugnis sehr klein geschrieben, das Zeugnis vor Gott und das Zeugnis für Gott und für seine Groß- taten, und vielleicht noch kleiner das Gebet. Daher macht die Kirche in ihrer Gesamtheit keinen lebendigen Eindruck mehr, produziert sie allzu oft einen demonstrativen Optimis- mus, der nicht überzeugen kann. Darum geht die Zahl ihrer Mitglieder zurück. Darum schwindet das Interesse an der Kirche und an ihrer Botschaft in weiten Kreisen. Darum wird die Zahl derer immer größer, für die die Kirche kein ernstzunehmender Faktor mehr ist. Darum gibt es so viel Unwissenheit in religiösen Dingen, so viel Gleichgültigkeit ge- genüber dem Glauben, so viel Kritik und so wenig Begeisterung, so viel Organisation und so wenig geistliches Leben. Darum gibt es so viel moralische Umweltverschmutzung und so viel Ahnungslosigkeit bei den Verantwortlichen. Darum fehlt es an Priester- und Ordens- berufen, richtiger müsste es heißen: an guten Priester- und Ordensberufen, und darum stagniert weithin die Weltmission.

Das Gebet und das Zeugnis im Heiligen Geist, dazu sind wir befähigt und beauftragt. Allein, wir widerstehen dem Geist, wir ersticken ihn in unserer Trägheit und Bequemlichkeit oder auch in unserer Furchtsamkeit, oftmals. Es ist aber nicht nur die Trägheit oder die Bequem- lichkeit oder auch die Furchtsamkeit, wodurch unser lebendiges Zeugnis erstickt wird, es ist auch die fehlende Überzeugung bei vielen von uns. Richtig einsetzen kann ich mich nur für etwas, von dem ich überzeugt bin. Niemand kann geben, was er nicht hat. Wenn der Glau- be stark ist und lebendig, dann gilt: Wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über.

Wir können keine Wunder von Gott erwarten, wenn wir uns nicht anstrengen. In der Regel ist es nicht so, dass die Gnade Gottes den Menschen überwältigt. Das gibt es, aber das ist nicht die Regel. Gott lässt uns die Freiheit, die er uns selber geschenkt hat. Normalerweise verzichtet er nicht auf unsere Mitwirkung.

Wir können Zeugen Gottes und Christi sein, und wir müssen es sein, denn dazu ist uns der Geist Gottes gegeben, und dazu wird er uns immer wieder gegeben, wenn wir uns öffnen für ihn.

Wenn wir ein Leben des Gebetes führen und wenn wir die Sakramente wüdig empfangen und wenn wir uns bemühen, Gottes Botschaft demütig in der Welt zu bezeugen, dann schenkt uns der Geist Gottes die sieben Gaben des Verstandes, der Weisheit und der Wi- ssenschaft, des Rates, der Stärke, der Frömmigkeit und der Gottesfurcht. Angesichts der geistigen Unklarheit, die heute überall herrscht, nicht nur in der Kirche, sind heute vor al- lem die drei ersten Gaben vonnöten. Ihrer bedürfen wir in erster Linie für das Reden im Heiligen Geist, für das Gebet und für das Zeugnis. Dabei müssen wir unsere Trägheit und unsere Bequemlichkeit überwinden, unsere Müdigkeit und unsere Furchtsamkeit, und vor allem unseren Glauben vertiefen, denn wir wissen zu wenig von ihm, das ist ein Grund- übel.

Vor wenigen Jahrzehnten, in den Jahren des Konzils und danach, war die Euphorie groß in der Kirche. Heute kann man nicht mehr die Augen davor verschließen: Es gibt gegenwärtig mehr weltlichen Geist in der Kirche als Heiligen Geist in der Welt.

In der Kraft des Gottesgeistes haben die Jünger Jesu einst die Welt für sein Evangelium er- obert, in einem geistigen Feldzug, einfache Menschen. Unter den ungünstigsten Bedin- gungen sind sie in die Welt gezogen. Sie haben unsägliche Mühen und Leiden auf sich ge- nommen und am Ende nicht selten noch einen qualvollen Tod, das Martyrium. Sie haben nicht geschwiegen, weil ihr Glaube lebendig war und weil sie erfüllt waren vom Heiligen Geist, weil sie mit Christus redeten, mit Gott, ihrem Vater, und mit dem Heiligen Geist. Weil aber das Gebet ihr Lebenselement war, deshalb konnten sie auch über Christus reden, überzeugend, über Gott und über den Heiligen Geist.

*

In feurigen Zungen kam der Heilige Geist einst auf die Jünger Jesu herab. Im Sakrament der Taufe und im Sakrament der Firmung hat jeder von uns ihn empfangen, den Heiligen Geist. Seit jenem ersten Pfingstfest wirkt er fort in der Kirche. In besonderer Weise tut er das heute, da wir sein Fest feiern. Er schenkt uns die geisterfüllte Rede, dass wir zu Gott und über ihn, dass wir zu Christus und über ihn und dass wir zum Heiligen Geist und über ihn reden können. 

Bei dem Propheten Jesaja lesen wir ein unmissverständliches Wort, das in diesem Zusam- menhang nicht ohne Bedeutung sein dürfte: „Stumme Hunde sind meines Volkes Wäch- ter“, heißt es da (Jes 56, 10). Stumme Hunde verfehlen ihren Daseinszweck. Hunde sind zum Bellen da. Die Jünger Christi sind zum Gebet und zum Zeugnis da.

Begeisterung für Gott können wir nur dann wecken, wenn wir den Heiligen Geist besitzen, wenn wir ihm nicht widerstehen, wenn er uns besitzt und wir aus ihm reden.

Der Geist der Welt muss bezwungen werden durch den Heiligen Geist, in uns zunächst, dann aber auch in der Kirche und in der Welt. Es gibt mehr weltlichen Geist in der Kirche als Heiligen Geist in der Welt.

Beten wir täglich um den Heiligen Geist. Durch den Gottesgeist wird alles neu. Das ist eine Lebensfrage für uns, für die Kirche und für die Welt. Das Pfingstwunder muss sich jeden Tag wiederholen in unserem Leben. Die feurigen Zungen sind uns Verheißung und Mah- nung zugleich. Amen.

 

PREDIGT ZUM 7. OSTERSONNTAG (6. SONNTAG NACH OSTERN), GEHALTEN
AM 4. MAI 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„VATER, VERHERRLICHE DEINEN SOHN … BEWAHRE SIE IN
DEINEM NAMEN“

Das Evangelium des heutigen Sonntags ist wie schon am vergangenen Sonntag den Ab- schiedsreden Jesu entnommen, die uns der Evangelist Johannes aufgezeichnet hat. In diesen Abschiedsreden nimmt Jesus gleichsam sein Leiden und Sterben, das wenige Stun- den später beginnen sollte, vorweg. In der Lesung, die dem 1. Petrusbrief entnommen ist - ihm war auch schon am vergangenen Sonntag die Lesung entnommen -, geht es um die spätere Teilnahme der Jünger Jesu am Leiden und Sterben ihres Meisters.

Näherhin bildet das Evangelium des heutigen Sonntags den Abschluss der Abschiedsreden Jesu, man pflegt ihn als das „Hohepriesterliche Gebet“ zu bezeichnen. In ihm geht es im Grunde um zwei Bitten. Die eine Bitte lautet: „Vater, verherrliche deinen Sohn“, die ande- re: „Bewahre sie (die Jünger, die in der Welt zurückbleiben) in deinem Namen“.

*

Die erste Bitte „Vater, verherrliche deinen Sohn“ verdeutlicht der Beter mit den Worten „damit der Sohn dich verherrliche“. In ihr bittet er den Vater, er möge ihm beistehen, dass er das durchstehen kann, was ihm bevorsteht. Er war Gott, „Gott von Gott, Licht vom Licht“, wie es im großen Credo heißt,  das wissen wir im Glauben, aber sofern er auch Mensch war, hatte er Angst vor dieser Bewährungsprobe. Ja, Todesangst hatte er vor dem grausa- men Sterben, das ihm bevorstand. Er wusste nicht, wie es vonstatten gehen werde, aber dass es grausam sein würde, das wusste er.

Wir dürfen die Bitte Jesu „Vater, verherrliche deinen Sohn“ weiter fassen und umfassender verstehen, im Blick auf die ganze Zukunft, die vor ihm lag, im Blick auf die Geschichte der Kirche bis zum Ende der Zeit. Denn in der Kirche geht das Leiden und Sterben Jesu weiter, die Kirche ist der fortlebende Christus. Von der Kirche, in der Jesu Leiden und Sterben fort- dauert, ist in der Lesung dieser heiligen Feier die Rede. Die Bitte „Vater, verherrliche dei- nen Sohn“ hat von daher noch eine tiefere Bedeutung.

Für seinen Sohn hat Gott die Bitte erhört, er hat ihn verherrlicht in seiner Auferstehung und sein Kreuz zum Baum des Lebens gemacht, für uns steht ihre Erhörung noch aus. Diese Er- hörung ist für uns jedoch gleichzeitig ein Imperativ, wie das bei allen Gebeten der Fall ist, ob wir selber beten oder ob für uns gebetet wird. Gott erhört unsere Bitten nur, wenn wir mit ihnen mitwirken.

Die Verherrlichung Gottes, das ist die erste und entscheidende Aufgabe der Kirche, die Ver- herrlichung Gottes und Christi. Das gilt, ob die Kirche und wir in ihr nun teilhaben am Lei- den Christi oder an seiner Freude. Um Gott geht es im Glauben der Kirche und um Christus, nicht um den Menschen. Um ihn geht es auch, um den Menschen, aber um ihn erst an zweiter Stelle. Das haben viele heute vergessen, wenn sie es nicht gar hartnäckig leugnen.

Die Ehre Gottes ist das Heil des Menschen. Diesen Satz darf man nicht auf den Kopf stellen. Das aber geschieht heute vielfach. Und der eine sagt es dem anderen nach.

Verherrlichen sollen wir den dreifaltigen Gott durch unsere Lebensführung und durch un- ser Gebetsleben. Die Verherrlichung des dreifaltigen Gottes ist die entscheidende Aufga- be unseres Lebens, nicht weil Gott uns braucht oder weil er dadurch etwas gewinnen könn- te - er hat alles, und nichts kann ihm gegeben werden -, sondern deshalb, weil wir Men- schen als von ihm Geschaffene und Erlöste nur so der Wirklichkeit gerecht werden, in die wir hineingestellt worden sind, und weil wir nur so Gott die rechte Antwort geben können auf seine Liebe.

Dass wir der Wirklichkeit gerecht werden, darauf kommt es an in unserem Leben. Bemü- hen wir uns darum, dezidiert, gewinnen wir nicht etwas, sondern alles. Lassen wir diesen Ruf verhallen, stellen wir uns gegen die Wirklichkeit, entschlossen, verlieren wir nicht et- was, sondern alles.

Die Verherrlichung Gottes und Christi und des Heiligen Geistes wird heute sehr klein ge- schrieben. Vielmals ist heute an die Stelle des Evangeliums von dem dreifaltigen Gott, der uns geschaffen und der uns erlöst hat, das Evangelium vom Menschen getreten. Nicht Gott, sondern der Mensch wird heute verherrlicht, vielfach, und wer es irgendwie machen kann, verherrlicht sich selber. Der Personenkult und die Selbstdarstellung treiben seltsame Blü- ten heute, auch in der Kirche. Da wird das Gebet des Psalmisten immer wieder in sein Gegenteil verkehrt: „Nicht uns, o Herr, sondern deinem Namen gib die Ehre” (Ps 113, 9).

Wo immer der Mensch den Menschen oder sich selbst vergöttert, da zerstört er das Bild des Menschen. Das erleben wir heute in bedrängender Aktualität. Gott ist nicht der Konkurrent des Menschen. Er schenkt ihm vielmehr jene Würde, die er verliert, wenn er sich an die Stelle Gottes setzt.

Unser Menschsein würde noch mehr mit Füßen getreten, als es jetzt schon geschieht, wenn es nicht noch in einer gewissen Zahl jene Menschen geben würde, die zuerst nach oben schauen, die Gott die Ehre geben, die wissen, dass es kein Heil gibt für den Menschen und dass der Mensch sein Menschsein zerstört, wenn er Gott seinen Platz nimmt, wenn er sich an seineStelle setzt.

Wir stehen im Dienst der Ehre Gottes und Christi, wenn wir uns üben in den Tugenden der Gerechtigkeit, der Tapferkeit, der Geduld und der Selbstüberwindung, wenn wir uns unser Denken und Handeln nicht draußen aufdrängen lassen. Vor allem stehen wir im Dienst der Ehre des dreifaltigen Gottes, wenn wir uns zu ihm bekennen und wenn wir uns einsetzen für ihn, nicht nur da, wo es unserer Ehre dient, sondern vor allem da, wo wir uns dabei Feindschaft, Verfolgung und Leiden einhandeln.

Damit sind wir aber schon bei der zweiten Bitte Jesu: „Bewahre sie in deinem Namen“. In ihr betet Jesus darum, dass seine Jünger, also wir, ihm und Gott die Treue halten, dass wir uns nicht an die Welt anpassen und uns ihr nicht andienen, dass wir uns aber auch nicht durch ihren Hass und ihre Feindschaft verwirren lassen, dass wir vielmehr in den viel- fältigen Anfechtungen von außen und von innen unserer Sendung und dem, der uns sen- det, treu bleiben.

Vor allem aber bezieht sich die Bitte Jesu „bewahre sie in deinem Namen“ darauf, dass seine Jünger die Einheit des Geistes bewahren. Gerade unter diesem Aspekt ist die zweite Bitte Jesu von besonderer Aktualität, denn nicht nur in der profanen Welt droht heute alles auseinanderzubrechen, auch in der Kirche. Um die innere Einheit der Kirche und um die äußere Einheit der Christen ist es heute, wenn man davor auch oft die Augen verschließt, schlechter bestellt als je zuvor. Das erscheint besonders widersinnig im Zeitalter der Öku- mene. Dabei müssen wir sehen, dass gerade an der Einheit der Kirche die Glaubwürdigkeit ihres Zeugnisses hängt. Das ist deswegen so, weil der Kern der christlichen Botschaft die Liebe ist. Die Liebe aber kann man nicht glaubwürdig verkünden, wenn man sie nicht sichtbar lebt. Diesem Anliegen ist jedoch nicht gedient, wenn man einfach alle Gegen- sätze überspielt. Es geht hier um die Einheit in der Wahrheit, nicht um die Einheit in der Lüge. Eine pragmatische Einheit ist nur eine scheinbare, sie ist nicht echt.

*

Vor seinem Tod betet Christus in feierlicher Form für sich und für uns. Er betet um seine Verherrlichung durch Gott in seinem unmittelbar bevorstehenden Leiden und Sterben, das seine Fortsetzung finden soll in seiner Kirche, und er betet um unser Bemühen um das Gu- te, um unsere Treue und um unsere Einheit. Es besteht ein innerer Zusammenhang zwi- schen diesen beiden Bitten, sofern der dreifaltige Gott in erster Linie verherrlicht wird durch das Bemühen der Jünger Jesu um das Gute, durch ihre Treue und durch ihre Einheit. Das eine wie das andere bewirkt letztlich der Geist Gottes, der Heilige Geist, um den die ersten Jünger in den Tagen nach der Himmelfahrt Jesu zusammen mit Maria, der Mutter Jesu, gebetet haben. Vereinigen wir uns mit ihnen, damit uns und der ganzen Kirche ein neues Pfingsten geschenkt werde. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER HIMMELFAHRT DES HERRN, GEHALTEN AM 1. MAI 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„VOLL FREUDE KEHRTEN SIE ZURÜCK NACH JERUSALEM“

Wir begehen heute das Gedächtnis eines seltsamen, eines ungewöhnlichen Abschieds: Der Evangelist Lukas erklärt in seinem Evangelium: „Voll Freude kehrten sie (die Jünger) zurück nach Jerusalem“ (Lk 24, 52). Und er bemerkt: „Während er, der Auferstandene, sich vor ihnen erhob, segnete er sie“ (Lk 24, 51). Jesus kehrt heim zu Gott, seinem Vater, von dem er ausgegangen ist, und er nimmt seine menschliche Natur mit in die himmlische Hei- mat.

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Die Jünger freuten sich, weil der Meister sie nur in seiner sichtbaren Gestalt verlassen hat- te. Er hatte sie verlassen, um in einer neuen und tieferen Weise bei ihnen zu sein „alle Ta- ge bis an das Ende der Welt“ (Mt 28, 20).

Sie wussten: Nun war er nicht mehr an den Raum und an die Zeit gebunden, nun konnte er ihnen immer und überall nahe sein, ob sie in Jerusalem waren oder in Athen oder in Rom. Nun konnte er allen, jedem Einzelnen, nahe sein, näher als das bisher möglich war.

Das ist das Eine: Er hatte sie verlassen, sich ihnen damit aber in einer neuen und tieferen Weise geschenkt. Dann freuten sie sich auch deshalb bei diesem Abschied, weil er sie dar- an erinnerte, dass das grausame Leiden nun vorüber war: Das Kreuz, der Tod, die Schmer- zen, der Kampf, die Mühe, das Leid. Das große Werk der Erlösung war vollendet. Und die Himmelfahrt des Erlösers war wie ein Schlussakkord am Ende eines gewaltigen musikali- schen Kunstwerks. Aus dem Leidensweg war ein Weg unbeschreiblicher und endloser Freude geworden. Ihr Jesus hatte das Dunkel besiegt, endgültig, und sterbend hatte er sei- ne Widersacher überwunden. Eine schwere Zeit war für ihn vorüber und auch für sie, leidend und sterbend hatte er gesiegt, in seinem Untergang hatte er die Sünden der Welt getragen und gesühnt. Darum gestaltete sich seine Heimkehr zu Gott, seinem Vater, als ein machvoller Triumphzug.

Dann gibt es endlich noch einen dritten Grund, weshalb die Jünger sich freuten bei diesem Abschied. Sie erinnerten sich daran, dass er gesagt hatte, er werde ihnen eine Wohnung bereiten, er werde wiederkommen und sie zu sich holen. Sie wussten, wie schnell die Jah- re vergehen, wie kurz diese unsere Lebenszeit ist. Einer von den zwölf Aposteln folgte dem Meister gerade 10 Jahre später. Er erlitt den Märtyrertod durch das Schwert des Herodes im Jahre 42. Auch die anderen starben eines gewaltsamen Todes nicht lange darauf. Petrus war der Letzte, 30 Jahre später, wenn man von Johannes absieht, der der Überlieferung nach noch 60 Jahre leben durfte und schließlich hoch betagt eines natürlichen Todes ge- storben ist. Allein, was sind 60 Jahre im Vergleich mit der Ewigkeit.

Die Freude der Jünger bei ihrem Abschied war daher nicht zuletzt Vorfreude im Hinblick auf ihre eigene Himmelfahrt, im Hinblick auf die ewige Wohnung, die er ihnen bereiten wollte.

In dieser Vorfreude betrachteten sie nun alles Schöne, das sie von jetzt an erlebten, als einen Abglanz der ewigen Schönheit, die ihnen bald geschenkt werden sollte. Und von nun an war ihnen alles Leid, das sie quälte, Prüfung und Läuterung, wodurch ihre Sehn- sucht nach der Vollendung umso mehr geweckt wurde.

*

Auch uns ist der zu Gott Heimgekehrte nahe, wenn wir uns nicht interesselos von ihm ab- wenden, wenn wir uns ihm zuwenden, wenn wir ihn suchen. Da er in seiner neuen Exi- stenzweise erhaben ist über Raum und Zeit, können wir alle Wege unseres Lebens in der Gemeinschaft mit ihm gehen. Und er möchte mit uns gehen, wie er einst mit den zwei Jüngern von Jerusalem nach Emmaus gegangen ist, er möchte uns begleiten auf allen Straßen unseres Lebens, uns tröstend und uns aufmunternd. Tatsächlich ist er bei uns und geht er mit uns, wenn wir gut sind und uns immerfort bemühen, gut zu sein, wenn wir nicht die Wege seiner Feinde gehen, die nicht aussterben bis zum Ende der Welt. Und seine Feinde sind zahlreich heute, ihr Evangelium ist das Evangelium vom Konsum, vom Genie- ßen, von der moralischen Verantwortungslosigkeit, von der Gleichgültigkeit, von der Rück- sichtslosigkeit, vom Stolz und von der Anmaßung. Paulus sagt: „Ihr Gott ist der Bauch. Ihr Ende ist das Verderben“ (Phil 3, 19).

Er geht mit uns, wenn wir ihm und seinen Weisungen folgen, wenn wir uns bemühen, ihn auf dem Weg zu finden, den er vor uns gegangen ist, und wenn wir ihn im Gebet nicht ver- gessen. Dann ist er auch bei uns alle Tage, bis er einst wiederkommen wird auf den Wol- ken des Himmels.

Wie die Jünger sich freuten, weil das Leid vorüber war für ihren Meister, weil er das Werk der Erlösung vollbracht hatte, so dürfen auch wir uns freuen mit ihm und mit ihnen. Ja, wir müssen uns darum bemühen.

Wer würde sich nicht freuen, wenn ein guter Freund, der Schweres hat durchmachen mü- ssen, alles überwunden hat, wenn er aus der Fremde, in der es ihm übel ergangen ist, in die Heimat zurückkehren konnte?

Und endlich war der Abschied der Jünger von ihrem Meister ein froher Abschied, weil er ihnen eine Wohnung bereiten wollte. Die Heimat Jesu ist auch unsere Heimat. Deshalb muss unser Lebenskompass auf den Himmel hin ausgerichtet sein. Der Himmel, das ist nicht der Himmel über den Sternen, er ist das unsichtbare Reich Gottes. Er ist unbeschreib- lich, nur in Bildern können von ihm wir reden. Er ist der Ort der unsagbaren Seligkeit, wo es kein Leid, keine Sorge keine Angst, keine Trauer, keinen Krieg und keinen Tod mehr geben wird. Alles das ist dort vorüber, weil es da keine Sünde mehr geben wird, denn alles Schwere in dieser Welt, so belehrt uns Gott selber, ist die Folge der Sünde. Gott und der Himmel sind unsichtbar für unsere menschlichen Augen. Aber es gibt vieles, was wir nicht sehen können. Nur der Tor sagt: Für mich gibt es nur das, was ich mit meinen Augen sehe.

Viele Menschen verlieren sich heute an die Erde, allzu viele. Das Sichtbare ist ihre Welt. Ihr Lebenskompass ist nicht mehr auf den Himmel hin ausgerichtet. Ihnen müssen wir durch unsere Gesinnung, durch unser Reden und durch unser Handeln immer neu zu einer lebendigen Mahnung werden: Denk an die Ewigkeit! Vergiss nicht das Wichtigste in Dei- nem Leben!

*

Wer sich nicht auf den Weg macht, gelangt nicht ans Ziel. Bemühen wir uns nicht um den Himmel, gelangen wir nicht in ihn hinein. Christus, der Auferstandene, will uns unsichtbar begleiten auf unserem Weg zur Vollendung, vorausgesetzt, dass wir versuchen, uns seiner würdig zu erweisen. Er hat das Leid und den Tod überwunden und diese Welt verlassen, um uns einen Platz im Himmel zu bereiten. Darum freuen sich die Jünger beim Abschied von ihm. Wenn wir ihren Glauben teilen, gibt Gott uns Anteil an ihrer Freude. Amen.

 

PREDIGT ZUM 6. OSTERSONNTAG (5. SONNTAG NACH OSTERN), GEHALTEN AM 27. APRIL 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„IN DER WELT WERDET IHR DRANGSAL LEIDEN, ABER SEID GETROST,
ICH HABE DIE WELT ÜBERWUNDEN“

Der 1. Petrusbrief, dem die (zweite) Lesung des heutigen Sonntag entnommen ist, wendet sich an Christen, die um ihres Glaubens willen verfolgt werden. In Zeiten der Verfolgung ist man immer versucht, sich anzupassen, wenigstens äußerlich. Man verbirgt seine Überzeu- gung, verhält sich ruhig und macht äußerlich mit, wenn man nicht gar abfällt und äußerlich und innerlich mitmacht. Ein solches Verhalten entspricht jedoch nicht der Erwartung Gottes an uns, in den Augen Gottes ist das Verrat. Nicht die Anpassung erwartet Gott von uns und erst recht nicht den Abfall. Er erwartet vielmehr von uns, dass wir, wenn wir um seinet- willen, das heißt um der Wahrheit oder auch um der Gerechtigkeit willen, verfolgt werden - die Wahrheit ist die Gerechtigkeit, und die Gerechtigkeit ist die Wahrheit -, dass wir also, wenn wir um seinetwillen verfolgt werden, ihn bitten um die Tugend der Tapferkeit und dass wir standhaft sind.

Der 1. Petrusbrief wird nicht müde, diese doppelte Erwartung Gottes an uns mit immer neu- en Worten zum Ausdruck zu bringen. Er ist im Grunde ein einziger Appell an unsere Treue. Treue aber ist konsequente Liebe. Dabei zeigt uns der Brief, wie unsere Treue aussehen muss, wie wir sie halten und wie wir uns in ihr bewähren sollen. Nicht zuletzt erinnert er uns daran, dass die Zeit kurz ist, die Zeit der Leiden, und dass Gott auf unserer Seite steht, wenn wir die Wahrheit, die ja letztlich mit ihm identisch ist, bezeugen.

In diesem Zusammenhang fordert die (zweite) Lesung des heutigen Sonntags uns auf, un- seren Christusglauben - das ist der Glaube der Kirche der Jahrhunderte - tapfer zu be- kennen, nicht aufdringlich, wohl aber in Gelassenheit und in innerer Sicherheit, ohne Angst und vor allem in der Bereitschaft, um dieses Glaubens willen zu leiden.

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Auch in unserer Zeit gibt es Christenverfolgungen, auch blutige, aber weniger - über diese berichtet man allerdings nicht sehr viel, gern verschließt man die Augen vor ihnen -, häufiger sind heute jedoch die unblutigen Verfolgungen der Christen. Aber auch sie ver- schweigt man gern. Die deutsche Sektion des internationalen Werkes „Open Doors“ in Kelkheim bei Frankfurt - die Organisation ist überkonfessionell, früher nannte sie sich „Offene Grenzen“ - spricht von 200 Millionen Christen, die heute in mehr als 60 Ländern verfolgt und benachteiligt werden. Sie erklärt, dass die überlebenden kommunistischen Staaten nichts von ihrem atheistischen Hass verloren haben, dass es sehr düster aussieht in der islamischen Welt und dass es selbst im Hinduismus und im Buddhismus Verfolgungen und Benachteiligungen der Christen gibt. Das „Päpstliche Jahrbuch” spricht für das Jahr 2007 von fünfzehn Priestern und zwei Ordensleuten, die um ihres Glaubens willen ermor- det wurden. Das alles wird heute gern heruntergespielt. Die manipulierte öffentliche Mei- nung ist die, dass unsere Welt tolerant sei, dass die Moderne wesentlich von der Toleranz geprägt sei, was jedoch mitnichten der Fall ist. Zudem gilt vielfach in der Öffentlichkeit un- terschwellig die Meinung: Den Christen geschieht schon recht, wenn sie verfolgt und be- nachteiligt werden, wenn sie sich nicht anpassen und aufgeben.

Die Unduldsamkeit ist heute größer, als wir es wahrhaben wollen, vielleicht größer noch als in jenen Zeiten der Intoleranz, die wir allzu gern anprangern. Sie verbirgt sich heute gern unter dem Gewand des Relativismus, der die Standpunktlosigkeit kanonisiert. Auf je- den Fall breitet sie sich in der Gegenwart sichtlich aus im Gefolge eines wachsenden Ego- ismus und einer zunehmenden Rücksichtslosigkeit.

Die Unduldsamkeit, die Intoleranz, sprengt heute viele Gemeinschaften: Ehen, Familien, Betriebe, Vereine und nicht zuletzt auch Pfarrgemeinden. Man redet von der Toleranz, lebt aber die Intoleranz. Die Unduldsamkeit macht es immer schwerer, dass Menschen zuein- ander finden, wenngleich sie sich so sehr danach sehnen und auch im Grunde darauf an- gewiesen sind.

Daher darf es nicht verwundern, wenn die Christen nicht nur von außen verfolgt werden, sondern auch von innen, wenn zuweilen die eigenen Glaubensbrüder an den Verfolgun- gen beteiligt sind. Das ist schmerzlich. Allein, Christus hat es so vorausgesagt.

Von innen her verfolgt werden vielfach jene Christen innerhalb der Christenheit, die sich konsequent als Christen bekennen, die kompromisslos die Forderungen Christi leben und nach außen hin vertreten, die nicht mit den Wölfen heulen. Gern werden sie als Funda- mentalisten disqualifiziert und als Fanatiker, wenn nicht gar als Geisteskranke. Verfolgt werden sie, freilich unblutig, in jenem kirchlichen Milieu, das sich von der Säkularisierung hat überrollen lassen, in dem die Säkularisierung als der wahre Fortschritt angesehen wird.

Innerhalb der Kirche wird die Zahl derer, die sich einem fragwürdigen Weltgeist anpassen und einem verweltlichten Lebensstil, immer größer. Sie aber sind intolerant gegenüber je- nen, die das nicht mitmachen. Letzten Endes ist das deshalb so, weil sie durch jene, die es anders machen, in ihrem Gewissen verunsichert werden, weil sie im Tiefsten doch wissen, dass das, was sie als Wandel anpreisen, einem inneren Verfall gleich kommt. Die Kirche verliert ihr Profil, nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung, auch in ihrem inneren Gehalt. Darauf hat der Heilige Vater seit dem Beginn seines Pontifikates wiederholt hingewiesen.

In dieser Situation stellt sich allzu leicht die Versuchung ein, dass man sich anpasst und sein Gewissen zum Schweigen bringt. Die Versuchung, sich anzupassen, wenn man isoliert ist und allein steht, ist nun einmal groß. Und die Gleichgültigkeit und die Trägheit tun dann noch das Übrige. Zudem ist der Herdentrieb in uns allen sehr mächtig. Niemand kann sich frei sprechen von ihm. Aber - wir müssen uns dagegen stellen. Das ist unsere genuin christ- liche Berufung. Da gilt das Jesuswort: „In der Welt werdet ihr Drangsal leiden, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden“ (Joh 16, 33).

Dass wir uns nicht anpassen und dem Sog der Masse erliegen, dazu bedarf es der Tugend der Tapferkeit. Sie hat ihren Nährboden in der konsequenten Liebe zu Christus. Diese aber besteht darin, dass wir ihm den ersten Platz in unserem Leben einräumen, nicht uns selbst oder irgendeinem Menschen oder unserem Besitz oder unserem Vergnügen. Das meint un- sere Lesung mit der Mahnung, dass wir den Herrn heilig halten sollen in unseren Herzen.

Gerade hier muss auch die Gesundung der Kirche ansetzen. In der Liebe zu Christus und in der Treue zu ihm. Die Treue ist die Konsequenz der wahren Liebe. In einem authentischen Christentum geht es nicht um äußere Betriebsamkeit in der Gemeinde, sondern um die Hinwendung der Herzen zu Christus, dem Herrn. Das Betätigungsfeld solcher Liebe und Treue aber sind die alltäglichen Aufgaben, die auf uns warten. Dazu gehört wesentlich auch der Geist des Gebetes. Und nicht zuletzt äußern sich diese Liebe zu Christus und die- se Treue zu ihm im offenen und freien Wort.

Wenn wir in diesem Sinne Christus heilig halten in unseren Herzen, werden wir es - viel- leicht gar mit freudigem Herzen - in Kauf nehmen, dass man uns belächelt oder verspottet, dass man uns sagt, wir seien nicht auf der Höhe der Zeit oder wir seien von gestern oder dass man uns durch Schikanen und Benachteiligungen das Leben schwer macht. Was uns dann trägt, dass ist das Wissen darum, dass die Zeit kurz und dass Gott mächtiger ist als seine Feinde und dass es ehrenvoll ist, mit Christus zu leiden, mit dem, der die selig ge- priesen hat, die Verfolgung erleiden um der Gerechtigkeit willen (Mt 5, 10).

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Von der Verfolgung ist die Rede in der (zweiten) Lesung des heutigen Sonntags, von der Verfolgung um des Christusglaubens oder um der Gerechtigkeit willen. Immer ist die Wahr- heit des Christentums in Bedrängnis, wenn sie authentisch verkündet und gelebt wird. Zu ihr gehören wesentlich das Zeugnis und die Drangsal um des Zeugnisses willen, selbst in einem mehr oder weniger homogenen christlichen Milieu. In diesem Sinne sagt Christus prophetisch: „Haben sie mich verfolgt, werden sie auch euch verfolgen“ (Joh 15, 20). Am Widerspruch der Welt und derer, die die Welt mehr lieben als ihren Schöpfer und Erlöser, erkennen wir, dass wir auf der Seite Gottes stehen, dass wir Christus lieben und ihm die Treue halten. Die ungeteilte Zustimmung der Welt, wo sie uns begegnet, muss uns skep- tisch machen. Von den Aposteln heißt es in der Apostelgeschichte: „Sie freuten sich, weil sie um des Namens Jesu willen hatten Schmach erleiden müssen“ (Apg 5, 41). Und Paulus beschwört die Gläubigen in Rom und mit ihnen uns alle mit den Worten: „Werdet dieser Welt nicht gleichförmig" (Rö 12, 2). Das müssen wir uns gerade heute ins Gedächtnis zu- rückrufen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 5. OSTERSONNTAG (4. SONNTAG NACH OSTERN), GEHALTEN AM
20. APRIL 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WO ICH BIN, DA SOLLT AUCH IHR SEIN“

„Wo ich bin, da sollt auch ihr sein“. Dieser Satz des heutigen Evangeliums gehört in die Abschiedsreden Jesu an den engsten Kreis seiner Jünger am Abend vor seinem Leiden: Er ist im Begriff, diese Welt zu verlassen und dorthin zurückzukehren, von wo er ausgegangen ist. Da will er ihnen klar machen, dass diese Trennung nur vorübergehend ist, dass sie, die Jünger, bald wieder mit ihm vereinigt sein werden. Daher erklärt er ihnen: „Wo ich bin, da sollt auch ihr sein“. Er geht ihnen voraus, um ihnen eine Wohnung zu bereiten. Bald wer- den sie wieder zusammen sein, aber unter anderen Bedingungen als bisher, ohne die Mü- hen des Alltags, ohne die Last der apostolischen Aufgabe, ohne den Spott der Menschen, ohne Verfolgung und ohne Leiden. Das Wiedersehen wird unter einem ganz anderen Stern stehen, es wird von der reinen und unvergänglichen Freude jener anderen Welt bestimmt sein, in der Gott ihnen alle Tränen von ihren Augen abwischen wird. Weil es da keine Bos- heit mehr geben wird, wird es da auch kein Leid mehr geben.

Zwischen dem Abschied und dem Wiedersehen steht indessen die Zeit der Bewährung, ste- hen indessen jene Jahre und Jahrzehnte, die die Jünger noch in dieser Welt verbringen müssen. Die Voraussetzung für die ewige Gemeinschaft mit dem Meister ist die, dass sie ihm während seiner Abwesenheit die Treue halten, dass sie für ihn arbeiten, dass sie sich nicht häuslich einrichten in der Welt und ihn schließlich ganz und gar vergessen. In einer altchristlichen Homilie heißt es im Blick auf diese Perikope: Seid Vorübergehende! Das heißt: Vergesst nicht die Vorläufigkeit eurer Existenz in dieser Welt!

Entsprechend den Abschiedsreden will Jesus nicht nur, dass seine Jünger in der Ewigkeit bei ihm sind, auch in der Zeit sollen sie es sein, ja, das Eine ist die Voraussetzung für das Andere. Das Ziel ist zugleich der Weg, nur dann können die Jünger in der Ewigkeit bei ihm sein, wenn sie jetzt bei ihm sind.

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Das gilt auch für uns. Auch wir stehen gewissermaßen zwischen dem Abschied und dem Wiedersehen. Auch wir müssen uns, wie die Apostel, in dieser Zeit unseres Lebens bewäh- ren und durch die Gemeinschaft mit Christus auf Erden die Gemeinschaft mit ihm im Him- mel gewinnen. Er will die ewige Gemeinschaft mit uns, aber sie muss schon hier beginnen. Daher gilt das Wort: „Wo ich bin, da sollt auch ihr sein“ nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Gegenwart. Somit wird die Verheißung zum Auftrag, die Gabe zur Aufgabe.

Die Verheißung Jesu ist nicht ohne Bedingung: Wir werden bei ihm sein, wenn wir bei ihm sind. Und die Frage, ob wir  morgen da sind, wo Christus ist, wird zur Schicksalsfrage un- seres Lebens.

Wo aber ist Christus heute? Diese Frage drängt sich auf an dieser Stelle. Oder die Frage: Wo finden wir ihn denn heute? Allzu sehr verbirgt er sich in unserer Zeit. Daher kann die Forderung, dass wir uns ihm zugesellen, dass wir seine Gemeinschaft suchen, uns zuwei- len schier unerfüllbar erscheinen.

Selbst in seiner Kirche und ihren Vertretern können wir ihn oft nicht entdecken, so sehr wir uns darum auch bemühen. Nachhaltig hat der Heilige Vater diesen Gedanken in den ver- gangenen Tagen auf seiner Reise in die Vereinigten Staaten hervorgehoben, wenn er die Spaltung und die Polarisierung in der Kirche beklagt hat sowie heute in der Kirche verbrei- tete Haltungen, die gegen die Wahrheit des Evangeliums gerichtet sind.

Egoismus, Selbstsucht und Selbstgenügsamkeit breiten sich heute in verhängnisvoller Wei- se aus in unserer Gesellschaft. In wachsender Zahl suchen die Menschen ihren persönli- chen Vorteil, und das in skrupelloser Weise, und wirkliches Verantwortungsbewusstsein be- kommt mehr und mehr Seltenheitswert. Erinnert sei hier an die Macht der Pornographie in den Massenmedien und an die mächtige Abtreibungs-Lobby und neuerdings an die zyni- sche Propagierung der Straffreiheit bei der aktiven Mithilfe zum Selbstmord in ihnen. Erin- nert sei hier aber auch an die gewissenlose Verherrlichung der Gewalt in den Massenme- dien.

Die bedingungslose Absage an Christus und seine Weisung hat viele Gesichter. In unserer heute so kompliziert gewordenen Welt kommt sie in jedem Fall einer Entscheidung für die Selbstzerstörung gleich. Das gilt individuell und allgemein, individuell für den Einzelnen, allgemein für die profane Gesellschaft, aber auch für die Kirche, die heute ihre Eigenart immer mehr zur Disposition stellt und einem destruktiven Zeitgeist nachläuft. Auch davon hat der Papst in den Vereinigten Staaten gesprochen. Ähnliche Töne vernehmen wir heute aus dem Mund des Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands. Nicht von un- gefähr bezeichnet sich Christus nicht nur als den Weg und die Wahrheit, sondern auch als das Leben.

Da ist die Frage sehr verständlich: „Wo ist denn Christus?“ Die Antwort auf sie aber kann nur lauten: Er ist da, auch heute, verborgen, und wir erkennen ihn, wo wir uns bemühen, seine Jünger zu sein, sein Beispiel nachzuahmen, auf sein Wort zu hören und mit ihm ver- bunden zu sein, wo wir ihn suchen in unseren Gebeten und in den heiligen Sakramenten und wo wir die Kirche lieben.

Je heidnischer unsere Umwelt wird, um so mehr gilt für uns jener Grundsatz, nach dem die Christen einst, in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung, eine sterbende Welt zu neuem Leben erweckt haben, der Grundsatz, dass wir uns von der Masse distanzieren, dass wir unseren eigenen Lebensstil entwickeln, dass wir ein eigenständiges Leben führen, dass wir nicht überall dabei sein wollen und dem Zeitgeist und der Mode hinterherrennen. Der Heilige Vater beklagt in diesen Tagen in den Vereinigten Staaten die Horizontalisie- rung der Botschaft der Kirche, das Fehlen der Vertikalen in der Glaubensverkündigung, den Verlust der eschatologischen Dimension des Christentums, den Ausfall der Transzen- denz sowie des Gespürs für das Heilige, für das Gebet und für die Gottesverehrung.

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Die zentrale Aussage des Evangeliums des heutigen Sonntags „wo ich bin, da sollt auch ihr sein“, ist ein Trost für uns, zugleich aber auch eine Schicksalsfrage, von daher ein Appell, eine Aufforderung. Sie meint, dass wir mit Christus durch dieses Leben gehen, verbunden mit ihm durch das Gebet und die Gnade, verbunden mit ihm aber auch durch unser Tun und Lassen, durch unsere Wertmaßstäbe und durch unsere Entscheidungen, durch unseren konsequenten Einsatz für das Wort Gottes und für die Botschaft vom ewigen Leben. Das Ziel kann nur der erreichen, der sich auf den Weg macht. Gott erspart uns nicht die Mühe der eigenen Anstrengung. Wenn Menschen es tun, so erheben sie sich über Gott, um sich den anderen Menschen zu empfehlen. Gott ist getreu, aber seine Treue ist unwirksam für uns, wenn wir untreu sind, wenn wir uns mit den Feinden Gottes, nicht mit seinen Freun- den, verbünden. Erkennen können wir sie, die Feinde Gottes, an ihren Früchten (Mt 7, 16). Amen.

PREDIGT ZUM 4. OSTERSONNTAG (3. SONNTAG  NACH OSTERN), GEHALTEN AM 13. APRIL 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„MACHT EUCH NICHT DIE ART DIESER WELT ZU EIGEN, SONDERN WANDELT
EUCH UM DURCH EIN NEUES DENKEN“

Der Apostel Paulus schreibt im 12. Kapitel des Römerbriefes: „Macht euch nicht die Art die- ser Welt zu Eigen, sondern wandelt euch um durch Erneuerung eures Denkens, um zu prü- fen, was gut, wohlgefällig und vollkommen ist“. Diese Aufforderung ergeht an uns alle. Heute ist sie von außerordentlicher Aktualität, da die Konturen des Christentums immer schwächer werden, im Leben des Einzelnen wie auch im Leben der Kirche. Es handelt sich hier um die gleiche Forderung, die Jesus stellt, wenn er zur Umkehr ruft um des Himmel- reiches willen oder wenn er sagt: „Seid vollkommen wie euer Vater im Himmel vollkom- men ist“. Sie meint, dass wir ganz für Gott leben, dass wir uns konsequent in die Nachfolge Christi begeben und den Weg der Heiligung gehen. Was aber für alle gilt, das gilt in be- sonderer Weise für Priester und Ordensleute, sie müssen den Gläubigen vorangehen. Sie müssen das beispielhaft leben, was alle verpflichtet.

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Wir begehen heute den Weltgebetstag für geistliche Berufe. An diesem Tage sollen wir uns die Tatsache vor Augen führen, dass die Zahl der Priester- und Ordensberufe bei weitem nicht hinreicht. Wir müssen das Problem jedoch differenzierter sehen. Wichtiger als die Quantität ist die Qualität. Die Qualität, sie ist das Problem heute, was freilich nicht immer genügend erkannt wird von den Verantwortlichen. Die Inkonsequenz und die Halbheit der Priester und der Ordensleute haben verheerende Folgen: Das Volk Gottes wird es weithin aufgeben, den Weg der Heiligung zu gehen, und junge Menschen werden in großer Zahl das Ideal des Priester- und Ordenslebens aus dem Auge verlieren. Wenn die Qualität gut ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen um die Quantität. Die Qualität bringt auf die Dauer auch die Quantität, nicht vermag jedoch die Quantität die Qualität zu steigern.

Manche sagen: Wenn die Kirche weniger verlangt von ihren Priestern und von den Ordens- leuten, intellektuell, moralisch und religiös, dann hat sie genug, wenn sie beispielsweise auf die Ehelosigkeit der Priester verzichtet und die Ordensregeln lockert, wenn sie die Priester und Ordensleute in weltlicher Kleidung umherlaufen lässt und dem Liberalismus die Tür öffnet. Das ist kurzsichtig und ein verhängnisvoller Irrtum. Das hat sich bereits als Irrtum erwiesen, denn in dieser Weise beherrscht schon seit geraumer Zeit die Reduktion das Feld in der Kirche.

Auf die Steigerung der Zahl der Priester und der Ordensberufe, darauf muss sich unser Ge- bet richten, aber auch unser eigenes ernstes Bemühen im Dienste Gottes und unserer Hei- ligung. Wie das Volk Gottes ist in seiner Gesamtheit, so sind auch die Priester, aber es gilt auch: Wie die Priester, so das Volk.

Der Weltgebetstag für geistliche Berufe will für uns alle eine Erinnerung an unsere Ver- antwortung für die Kirche und für die Sache Gottes sein, dass wir uns nicht die Art der Welt zu Eigen machen, dass wir uns vielmehr umwandeln durch ein neues Denken, dass wir uns umwandeln lassen durch Gott.

Unsere Welt braucht Gott und die Kirche, heute mehr denn je. Das steht fest. Wie weit die- ser Dienst geleistet werden kann, das hängt von uns allen ab. Dabei geht es einerseits um unsere Konsequenz im Leben aus dem Glauben und in der Heiligung unseres Lebens, das setzt voraus, dass wir nicht auf den Beifall der Massen schielen und uns das Gesetz des Handelns nicht von den Menschen, sondern von Gott vorschreiben lassen. Andererseits geht es dabei darum, dass wir das Anliegen der Weckung von Priester- und Ordensberu- fungen im Gebet vor Gott hintragen.  Es muss das verweltlichte Klima, das sich mehr und mehr breit macht in der Kirche, überwunden werden, und die Kirche muss ihr Profil zurück- erhalten.  Der Grund für unsere Misere liegt in unserer Anpassung an den Zeitgeist, was vielleicht in der Hoffnung geschieht, diesen zu erlösen, aber die Hoffnung trügt, und in un- serer religiösen Gleichgültigkeit. Wir haben heute unendlich viel an Substanz und an Über- zeugungskraft verloren. Es gilt, dass wir wieder eine wirklich christliche Atmosphäre schaffen. Im Übrigen werden Priester und Ordensleute, die das leben, was sie verkünden oder was die Kirche offiziell verkündet, immer Gefolgschaft finden, ja, nur sie werden sie auf die Dauer finden. Das gilt nicht weniger für die einfachen Gläubigen. Religiöse Be- quemlichkeit und ein konsumorientiertes Leben, ein funktionalistisches Verständnis des Amtes in der Kirche und die Verbürgerlichung der Amtsträger, das alles ist ein schlechter Nährboden für Priester- und Ordensberufungen. Es liegt also an uns allen, wenngleich - zu- gegebenermaßen - nicht alle die gleichen Möglichkeiten und den gleichen Einfluss haben.

Ein Weiteres kommt hinzu: Manche Berufungen werden Gott und den Menschen dadurch genommen, dass Eltern Kindern, die nach Gottes Willen geboren werden sollen, den Ein- tritt in die Welt verwehren oder ängstlich die Kinderzahl beschränken, wie es eben dem Geist dieser Welt entspricht.

Und sicherlich gehen auch viele Berufungen verloren, weil sie nicht genügend gepflegt werden. Dank der eisigen Luft, die manche Familie heute beherrscht oder  die das Klima vieler unserer Schulen und Pfarrgemeinden bestimmt, kann sich mancher keimende Beruf nicht entfalten. Nicht zuletzt ist die Zahl der Priester- und Ordensberufe immer auch ein Spiegelbild der kirchlichen Jugendarbeit. Wem die Fragwürdigkeit dieser Sparte der Glaubensverkündigung und der Seelsorge noch nicht aufgegangen ist, an diesem Punkt müsste sie ihm aufgehen. Hier ist ein radikales Umdenken erforderlich. Die Jugend 2000 lässt da hoffen. Vielleicht.

Für Mangelberufe in der Welt kann man werben. Für den Beruf des Priesters und für den Ordensberuf ist eine Werbung im eigentlichen Sinne nicht möglich, denn womit soll man da werben, mit viel Freizeit oder mit guten Verdienstmöglichkeiten oder mit einem festen Arbeitsplatz? Zudem ist es Gott, der die Berufungen bewirkt. An uns ist es jedoch, dass wir den Boden dafür bereiten, dass wir eine Atmophäre schaffen, in der Gottes Ruf gehört wer- den kann und gehört wird.

Verfehlt ist es, aus dem Welttag für geistliche Berufe einen Welttag für kirchliche Berufe zu machen, wie es zuweilen geschieht, indem man die Laienberufe, die man neuerdings zur Unterstützung der Seelsorge geschaffen hat, hier einbezieht. Zum einen sind diese Berufe von gänzlich anderer Art als die Berufungen zum Priestertum und zum Ordensstand - wir müssen hier Berufe und Berufungen unterscheiden -, und zum anderen regenerieren sich diese Berufe ganz von selber, auch ohne Werbung. Zudem können sie die Priester und die Ordensleute nicht ersetzen, und nicht selten sind sie gar kontraproduktiv im Hinblick auf die Priester- und Ordensberufungen. Was die Kirche wirklich braucht, sind qualifizierte Priester- und Ordensberufungen. Alles andere belastet sie wie auch die Betroffenen letzten Endes. Wenn man von den Priestern und Ordensleuten absieht, ist das Ideal in der Kirche das Ehrenamt. Nur dieses ist letztlich auch zukunftsträchtig.

Am Weltgebetstag für geistliche Berufe, geht es um die Wandlung unserer Herzen und un- seres Lebens, geht es darum, dass wir uns alle konsequent in die Nachfolge Christi bege- ben und den Weg der Heiligung gehen und so eine Atmosphäre schaffen, in der Gottes Ruf zum Priester- und Ordensstand wieder gehört werden kann. Wenn schon immer Nachfolge Christi Abkehr von der Welt bedeutet, so gilt das besonders heute, in einer Zeit und in einer Welt, die sich weithin bewusst in einen Gegensatz zu Gott stellt. „Macht euch nicht die Art dieser Welt zu Eigen“, mahnt uns der Apostel. Als Getaufte und Gefirmte leben wir nicht für uns, sondern für Gott und für die Ewigkeit. Wissen wir das und leben wir so, dann wird uns das Gebet für Priester- und Ordensberufungen eine Selbstverständlichkeit sein. Dann ist es aber auch schon halb erhört. Erneuerung gibt es nicht durch ein Weniger an Christus- hingabe und Kreuzesnachfolge, sondern nur durch ein Mehr, durch ein Mehr an Glaube, Opfer und Vertrauen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 3. OSTERSONNTAG (2. SONNTAG NACH OSTERN) GEHALTEN AM 6. APRIL 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„BRANNTE NICHT UNSER HERZ, ALS ER AUF DEM WEG
ZU UNS SPRACH“

Die innere Zusammengehörigkeit der Ereignisse unseres Lebens und ihre Zuordnung zuein- ander erkennen wir oftmals erst aus der Rückschau. Zuweilen haben wir das Gefühl, wir  seien völlig am Ende: Wir sehen keinen Ausweg mehr, und unsere Hoffnungen brechen zu- sammen. Ein geistiger Trümmerhaufen liegt vor uns. So kommt es uns vor. Wir sind etwa enttäuscht von unserem Ehepartner oder von dem Weg unserer Kinder und von der Ent- wicklung unserer Familie. Oder: Unsere beruflichen Erwartungen erfüllen sich nicht, nicht  einmal annähernd. Oder: Menschen lassen uns allein, auf die wir gesetzt haben. Oder: Schwere gesundheitliche Mängel machen sich bemerkbar, und die körperlichen Kräfte la- ssen nach. Alles kommt ganz anders, als wir es gedacht haben. In solchen Situationen be- schleicht uns nicht selten das Gefühl: Es gibt keinen Ausweg mehr, alle Lichter sind erlo- schen, alles ist dunkel um uns. Das sind schmerzliche Erfahrungen. Kommen sie über uns, so ist es ein gewisser Trost, wenn uns dann die Gnade geschenkt wird, dass wir einen Men- schen finden, dem wir das erzählen können, mit dem wir über unsere elende Situation sprechen können und der uns zuhört, so ist das vor allem dann ein gewisser Trost, wenn der in einer ähnlichen Lage ist wie wir. Über eine ausweglose Lage sprechen, das ist in je- dem Fall eine Hilfe für uns, denn die Einsamkeit, das Alleinsein, ist besonders schwer zu ertragen für uns, wenn es uns schlecht geht, wenn wir in einer Krise sind.

Das Evangelium des heutigen Sonntags, das Evangelium von den Emmaus-Jüngern, lehrt uns - das lehrt uns aber eigentlich auch das Leben, wenn wir es bewusst leben - dass die Sorgen, die wir uns machen, oft gegenstandslos sind, dass sie sich vielmals in einem Augenblick in Luft auflösen, dass unsere pessimistischen Prognosen oftmals gar nicht so re- alistisch sind, wie wir meinen.

Immer wieder machen wir, wenn wir in großer Not sind, subjektiv, die Erfahrung, dass wir unerwartet Hilfe finden und dass die Hilfe dann vielmals auch noch ganz anders aussieht, als wir es uns vorgestellt haben, und immer wieder erleben wir es in solchen Situationen, dass die Hilfe gerade dann kommt, wenn wir das Gefühl haben, dass wir kurz vor der Ver- zweiflung stehen. Das gilt vor allem, wenn wir uns noch einen Rest von Gottvertrauen bewahrt haben. Da bewahrheitet sich dann das Sprichwort „Wo die Not am größten, da ist Gottes Hilf am nächsten“.

Das Evangelium des heutigen Sonntags lehrt uns, wie es im Grunde auch das Leben tut, dass die innere Zusammengehörigkeit der Ereignisse und ihre Zuordnung zueinander erst in der Rückschau recht erkannt wird, dass das, was sich uns im Augenblick als unentwirr- bares Knäuel darstellt, später den wohl durchdachten, wenn auch geheimnisvollen Plan Gottes offenbart. Eine alte Volksweisheit sagt: Am meisten Glück haben wir im Leben im Unglück. Gemeint ist natürlich das vermeintliche Unglück. Daher tun wir gut daran, wenn wir uns mit Geduld wappnen und mit Vertrauen zuwarten, wenn es dunkel wird um uns, wenn wir nicht mehr ein noch aus wissen und wenn Gott uns keine Antwort mehr zu geben scheint.

„Musste nicht Christus leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen“, heißt es im Evan- gelium des heutigen Sonntags. Und: „Brannte nicht unser Herz, als er auf dem Weg mit uns redete. Darauf sollten wir setzen, wenn wir uns selber nicht mehr verstehen und wenn die negativen Erfahrungen im Alltag uns schier zu erdrücken scheinen.

Noch ein Zweites lehrt uns das Evangelium des heutigen Sonntags. Da heißt es: „Ihre Augen aber waren gehalten“.

Große Augenblicke unseres Lebens erkennen wir als solche oft erst dann, wenn sie Ver- gangenheit geworden sind. Und die Ereignisse, die wirklich bedeutsam und prägend sind für unser Leben, treten oft erst dann in unser Bewusstsein, wenn sie vorüber sind.

Was ein Mensch gewesen ist, was er uns bedeutet hat, wie wertvoll die Begegnung mit ihm für uns war, das kommt es uns oftmals erst später zum Bewusstsein. Oder: Wenn eine glückliche Erfahrung vorüber ist, erst dann wird es uns klar, wie sehr sie uns der rauhen Wirklichkeit enthoben, wie froh sie uns gemacht und wie tief sie uns verändert hat. Oder: Wenn wir das Elternhaus verlassen haben, erst dann erkennen wir, welche Seligkeit und Geborgenheit es uns einst vermittelt hat. Oder: Wenn wir einen geliebten Beruf nicht mehr ausüben können, erst dann erst sehen wir, wie sehr wir uns mit ihm identifiziert haben und wie sehr er uns erfüllt hat.

Unsere Augen sind oft gehalten, und erst später werden sie uns geöffnet. Das ist jedoch nicht immer schicksalhaft, manchmal sind wir selber schuld daran, dass wir die Wirklich- keit nicht sehen, nämlich dann, wenn wir die Augen verschließen, weil wir nicht von un- seren Vorurteilen ablassen wollen, weil wir nicht aus der Reihe tanzen wollen, weil wir uns die Mühe des eigenen Nachdenkens ersparen wollen. Darum ist es gut, dass wir uns bemühen, rechtzeitig unsere Augen zu öffnen und zur Einsicht zu kommen, bevor es zu spät ist, denn es kommt, wie Christus es einmal ausdrückt, „die Nacht, in der niemand mehr wirken kann”(Joh 9, 4). Es gibt auch das „zu spät” in unserem Leben.

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Weil wir die Gegenwart oft erst dann recht verstehen, wenn sie Vergangenheit geworden ist und weil unsere Augen oft gehalten sind, schicksalhaft oder schuldhaft, darum gilt es, dass wir, wenn es dunkel wird in unserem Leben und wenn große Enttäuschungen über uns kommen, uns damit trösten, dass die Gegenwart oft erst im Licht der Vergangenheit hell wird, und dass wir uns dann mit Geduld wappnen und mit Vertrauen, darum gilt es auch, dass wir darum besorgt sind, dass wir nicht selber schuld sind, wenn wir nicht sehen, damit uns die Augen nicht erst dann aufgehen, wenn es zu spät ist.

Auch mit uns geht der Auferstandene, wie er mit den Emmaus-Jüngern gegangen ist, leib- haft in seiner eucharistischen Gegenwart, geistigerweise, sofern er gesagt hat „ich bin bei euch alle Tage“ (Mt 28, 20). Er ist bei uns, und er begleitet uns, wenn wir uns zu ihm beken- nen, nicht nur mit Worten, er verlässt uns, wenn wir ihn zurückweisen. Wir weisen ihn zu- rück, wenn wir ihn vergessen und wenn sein Wort uns weniger bedeutet als das oft so ver- antwortungslose Geschwätz der Massenmedien und deren provozierende Bilder, wenn wir die Institutionen dieser Welt höher einschätzen als die Kirche, wenn bei uns die Men- schenfurcht größer ist als die Gottesfurcht und wenn das Ansehen bei den Menschen wich- tiger ist für uns als das Ansehen bei Gott. Amen.