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PREDIGT ZUM WEISSENSONNTAG, GEHALTEN AM 30. MÄRZ 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WENN DU MIT DEINEM MUNDE BEKENNST, DASS CHRISTUS DER HERR IST, UND IN DEINEM HERZEN GLAUBST, DASS GOTT IHN VON DEN TOTEN AUFERWECKT HAT, DANN FINDEST DU DAS HEIL“

Das Evangelium des heutigen Sonntags bezeugt uns den Osterglauben der Jünger Jesu. Im Mittelpunkt steht dabei der Apostel Thomas. Er kommt verspätet zum Glauben an die Aufer- stehung Jesu, weil er dem Zeugnis der anderen Jünger mit Skepsis begegnet und erst sei- ne eigenen Erfahrungen machen will. Das Evangelium gipfelt in dem Bekenntnis des Tho- mas: „Mein Herr und mein Gott“ und in der Mahnung des Auferstandenen „Selig, die nicht sehen und doch glauben“. Das Bekenntnis des Thomas muss unser Bekenntnis werden, auch wenn uns der Auferstandene nicht leibhaft begegnet, es muss uns begleiten, dieses Bekenntnis, auf den Straßen unseres Lebens, denn der Auferstandene geht mit uns durch die Zeit. So hat er es seinen ersten Zeugen und mit ihnen uns allen verheißen, sofern wir ihrem Wort vertrauen.

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Auch dem Apostel Thomas und den anderen Jüngern aus dem Kreis der Zwölf wird der Glaube nicht erspart. Aber in ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen wird ihnen eine Brücke gebaut, wird ihnen ein Anknüpfungspunkt gegeben. Dadurch wird ihnen der Glaube erleichtert. Aber sie hätten im Unglauben verharren können. Im Gleichnis von dem reichen Prasser und dem armen Lazarus macht Jesus einmal darauf aufmerksam, wenn er Abra- ham sagen lässt: „Wenn sie auf Mose und die Propheten nicht hören, dann werden sie sich auch nicht überzeugen lassen, wenn einer von den Toten aufersteht. Das will sagen: Wir haben tausend Ausreden, wenn wir nicht glauben wollen. Hier, in unserem Fall, hätte man etwa von Selbsttäuschung sprechen können, oder man hätte sagen können, der angeblich Auferstandene sei gar nicht tot gewesen.

Dem Apostel Thomas wird die gleiche Erleichterung des Glaubens zugestanden, die auch den anderen Jüngern aus dem Kreis der Zwölf zuteil wurde. Sie sehen einen Menschen und erkennen in ihm den gemarterten und gekreuzigten Christus. Ja, sie erkennen in ihm nicht nur den lebendigen Meister, sondern Gott selber. Das wird deutlich in dem Bekennt- nis des Thomas: „Mein Herr und mein Gott“. Die Bezeichnung „Herr“ ist die alttestament- liche Bezeichnung für Gott. In dem Bekenntnis zum Osterglauben ist das Bekenntnis enthal- ten: „Dieser war Gottes Sohn“.

Mit dem Bekenntnis des Apostels Thomas schlägt das vierte Evangelium, das Johannes- Evangelium, gleichsam den Bogen vom ersten zum letzten Kapitel. Denn im ersten Kapitel bekennt der Evangelist: „Das Wort ist Fleisch geworden“, also: Gottes Sohn wurde ein Mensch, im letzten Kapitel des Evangeliums, dem 20., bekennt der Apostel Thomas, stell- vertretend für die Zwölf: „Mein Herr und mein Gott“.

Thomas und die anderen aus dem Kreis der Zwölf haben nicht Gott gesehen, das gibt es nicht, mit den sinnenhaften Augen unseres irdischen Lebens können wir Gott nicht sehen, aber sie haben geglaubt, dass der Messias, dem sie gefolgt waren, Gott selber war, weil sie die Zeichen gesehen hatten, die er in ihrer Mitte gewirkt hatte, und vor allem auch des- halb, weil er ihnen als der Auferstandene leibhaft begegnet war. Die Zwölf  kamen zum Glauben an den Auferstandenen, weil sie ihn gesehen hatten, leibhaft. Diese Gnade wurde damals noch einigen weiteren Personen zuteil, aber nur in einer begrenzten Zahl. Darum preist der Auferstandene jene selig, die nicht sehen und doch glauben. Damit sind wir gemeint, wenn wir die Osterbotschaft gläubig annehmen.

Es geht hier jedoch nicht um einen blinden Glauben. Es gibt für uns Zeichen Gottes für die Auferstehung Jesu und für die Göttlichkeit dieses Menschen, aber weniger eindrucks- mächtig als das bei den ersten Osterzeugen der Fall war. Wir sind in erster Linie auf das Zeugnis der Zeugen angewiesen.

Unser Glaube an die Osterbotschaft hat weniger Stützen und weniger Anknüpfungspunkte als jener der ersten Osterzeugen. Dennoch gibt es solche auch für uns, wenn wir genauer hinschauen und tiefer nachdenken. So etwa die Glaubwürdigkeit der Apostel Jesu und de- ren Lauterkeit, die eindrucksvolle Gestalt Jesu als solche, die Wirkungen, die seine Bot- schaft in der Welt gehabt hat, die Kirche, die aus der Osterverkündigung hervorgegangen ist und die großen Taten, die eine Unmenge von Heiligen aus der Kraft des Osterglaubens gewirkt hat. Aber für uns ist es  schwerer zu glauben, das gibt der Auferstandene zu, wenn er uns selig preist, die wir nicht sehen und doch glauben.

Der Glaube an den Auferstandenen ist zum einen eine persönliche Entscheidung, wenn auch auf Kriterien hin, und zum anderen ein Geschenk der Gnade. Das ist jedoch nicht so zu verstehen, dass jemand sagen könnte: Ich kann nicht glauben, weil ich die Gnade nicht habe. Es können alle die Botschaft glauben, jedenfalls normalerweise, weil Gott seine Gna- de niemandem vorenthält, wenngleich nicht alle die Gnade im gleichen Maß erhalten. Der Glaube ist die Voraussetzung für das Heil, der Glaube an den auferstandenen Christus und an seine Göttlichkeit. Und Gott will alle retten. Gerettet werden können wir aber nur, wenn wir wenigstens einschlussweise glauben an die Gottheit Jesu und an seine Auferstehung.

Der Apostel Paulus erklärt: „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Christus der Herr ist, und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, dann findest du das Heil“ (Rö 10, 9).

Dieses Bekenntnis, das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu und zu seiner Gottheit, wird heute nicht sehr groß geschrieben. Der Glaube vieler hat sich reduziert auf den Mann von Nazareth, der in seinem Wort weiterlebt. Für viele ist Jesus ein gewöhnlicher Mensch ge- worden, dessen Sache weitergeht, eine genialer Weisheitslehrer, ein Prophet, ein Moral- prediger. Das ist nicht neu, immer wieder hat man den Glauben darauf reduziert in der Ge- schichte des Christentums und ihn so horizontalisiert, aber heute ist diese Reduktion weiter verbreitet als je zuvor, vor allem auch bei den Amtsträgern der Kirche. Mit einer solchen Reduktion verfehlen wir jedoch das Zeugnis der Evangelien und das Heil, es sei denn, es fehlt uns die Einsicht. Das mag freilich oft der Fall sein in der Gegenwart, in der das intel- lektuelle Niveau nicht besonders hoch zu sein scheint.

Wenn aber Jesus, der von den Toten Auferstandene, Gott war, dann ist die Kirche mehr als ein menschliches Gebilde, dann ist der Glaube nicht Menschenwerk, und wir dürfen ihn dann nicht zurechtbiegen, wie das allzu oft geschieht, dann sind die Sakramente der Kir- che in Wahrheit Quellen der Gnade. Alles wird menschlich, das ganze Christentum wird zu einer mehr oder weniger klugen Lebensphilosophie, wenn Jesus nicht auferstanden und wenn er nicht Gott ist. Aus solcher Perspektive betrachten wir die Kirche dann als einen Verein, wie es viele Vereine gibt, sehen wir dann in den Sakramenten rein äußere Zei- chen, die bestenfalls eine gewisse psychologische Bedeutung haben.

Die Entleerung der Sakramente tritt besonders hervor bei den österlichen Sakramenten der Taufe, der Eucharistie und der Buße. Bei dem Sakrament der Buße ist sie wohl am meisten fortgeschritten, wenn es nicht bereits ganz unter den Tisch gefallen ist. Und wie oberfläch- lich stellt sich oftmals der Empfang der Eucharistie dar! Da ist die Ehrfurchtslosigkeit viel-fach nicht mehr zu überbieten. Und selbst das Sakrament der Taufe ist weithin zu einer reinen Form erstarrt. So weit kommt es, wenn wir uns das doppelte Osterbekenntnis des Thomas nicht mehr zu Eigen machen.

Daher gilt auch im Hinblick auf unsere gläubige Bejahung der Kirche, ihrer Botschaft und ihrer Sakramente, die Mahnung des Auferstandenen „selig die nicht sehen und doch glauben“.

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Der Apostel Thomas bekennt sich zur Auferstehung Jesu und zu seiner Gottheit. Sein Be- kenntnis müssen wir uns zu Eigen machen, mehr noch, es muss unser ganzes Leben be- stimmen. Ohne das Bekenntnis zur Auferstehung Jesu und zu seiner Gottheit gibt es kein Heil für uns. In der Konsequenz dieses doppelten  Bekenntnisses liegt das Bekenntnis zur Göttlichkeit der Kirche, ihrer Botschaft und ihrer Sakramente. Verzichten wir auf das eine, verlieren wir das andere. „Wenn du mit deinem Munde bekennst, dass Christus der Herr ist“, so sagt es der heilige Paulus, „und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten auferweckt hat, dann findest du das Heil“ (Rö 10, 9). Amen.

 

PREDIGT ZUM OSTERMONTAG, GEHALTEN AM 24. MÄRZ 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„MUSSTE NICHT CHRISTUS LEIDEN, UM SO IN SEINE HERRLICHKEIT
EINZUGEHEN“

Zwei Gedanken wollen wir bei dem heutigen Evangelium, dem Evangelium des zweiten Ostertags, das mehr ist als ein einfacher Bericht, das ein Osterzeugnis von hoher dichteri- scher Qualität ist, erwägen: (1) Die Jünger kommen langsam zum Glauben an die Aufer- stehung des gekreuzigten Messias, und (2) sie erkennen dabei, dass seiner Erhöhung die Erniedrigung vorausgehen musste, dass seine Verherrlichung das bittere Leiden zur Vor- aussetzung hatte. Enttäuscht erklären sie dem, der sich ihnen auf dem Weg zugesellt: „Wir aber hatten gehofft, er werde Israel erlösen“, während dieser überlegen bemerkt: „Musste nicht Christus leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen“. Der Bericht von dem Gang der zwei Jünger von Jerusalem nach Emmaus - das sind sechzig Stadien, etwa zehn Kilo- meter - will uns tiefer in das Ostergeschehen einführen und uns im Glauben an den aufer- standenen Christus bestärken.

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Der Tod Jesu hatte die Hoffnungen seiner Jünger zerschlagen. Das Schicksal des Meisters hatte sie aus der Bahn geworfen. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass er wieder zum Le- ben zurückgekehrt sei. Und sie wehrten sich gegenüber dieser Vorstellung.

Die Berichte über die Entstehung des Osterglaubens sind vielfältig. In ihrer Chronologie sind sie nur schwerlich zu rekonstruieren. Aber das bezeugen sie allesamt, dass die Jünger Jesu nur langsam zum Glauben gekommen sind, wie das auch hier der Fall ist, dass sie die Auferstehung Jesu nicht hervorgebracht haben durch ihre Erwartung oder durch ihre Phan- tasie, dass sie nach der Kreuzigung ihres Meisters vielmehr von den Fakten überrollt wur- den. Im Mittelpunkt stehen dabei jene zwölf Jünger, die Jesus in besonderer Weise ausge- wählt hatte, die wir Apostel nennen, und die Erscheinungen des Auferstandenen, die aufs Ganze gesehen nur wenige waren, was wiederum deutlich für ihre Geschichtlichkeit spricht.

Nur langsam kommen die Jünger zum Osterglauben, nicht nur die Emmaus-Jünger. Wider- strebend, mehr oder weniger, machen sie sich ihn zu Eigen. Und - auch das ist bedeutsam - Einzelheiten darüber berichten sie erst später. Zunächst interessiert sie nur das Faktum, zu- erst verkünden sie nur dieses. Das ist anders bei Illusionen, die wir uns machen. Bei ihnen steht am Anfang eine unerschütterliche Gewissheit, die dann im Folgenden oftmals durch Zweifel erschüttert wird, und bei ihnen steht am Anfang in der Regel eine bunte Ausmalung der Ereignisse. Hier, bei der Auferstehung Jesu, ist das ganz anders. Hier beginnt es mit den Zweifeln, und nur langsam wird das Unerwartete, wird das Unvorstellbare zur Gewiss- heit, um dann nie wieder in Zweifel gezogen zu werden. Und - zuerst verkünden die Oster- zeugen nur das pure Faktum: Gott hat ihn erhöht und: Er ist dem Simon erschienen.  

Die Jünger Jesu hätten sich nicht aufs Neue zusammengefunden nach der Hinrichtung ihres Meisters durch die religiösen Autoritäten ihres Volkes und durch die römische Besat- zungsmacht, sie hätten nicht begonnen mit der Mission, wenn sie nicht zu der Überzeu- gung gekommen wären, dass der Gekreuzigte lebe und dass er wiederkommen werde in Herrlichkeit und dass sie einst an seiner Auferstehungsherrlichkeit teilnehmen würden. Faktisch ist aus dem Osterglauben der Jünger Jesu die Kirche hervorgegangen, hat sie in ihm ihr eigentliches Fundament, und viele von ihnen haben in diesem Glauben die Wahr- heit der Auferstehung Christi mit ihrem Blut besiegelt. Das sind bedeutsame Fakten für uns heute, die wir weit weg sind von den österlichen Ereignissen des Anfangs, denen es nicht vergönnt ist, dem Auferstandenen leibhaftig zu begegnen, Fakten, die unseren Osterglau- ben stützen können. Daran erinnern uns schon die Kirchenväter.

Der Erhöhung des Messias geht seine Erniedrigung voraus. Das ist der zweite Gedanke unseres Evangeliums: Christus musste leiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen. Mit diesen und wohl auch mit ähnlichen Worten macht der Fremdling, der die zwei Jünger auf dem Weg nach Emmaus begleitet, ihnen das Geschehen verständlich, das sie so sehr be- kümmert. Dieses Müssen nimmt Bezug auf den göttlichen Heilsplan, wie er im Alten Testa- ment vorgebildet ist. Der Tod Jesu und seine Auferstehung lassen in besonderer Weise die alttestamentliche Weissagung vom leidenden Gottesknecht in Erfüllung gehen: Der Gerech- te wird verworfen von den Menschen, Gott aber setzt ihn ins Recht. Das ist eine Geschichte, die sich allzu oft wiederholt.

Wir erkennen in den österlichen Ereignissen: Der Weg zur Vollendung führt durch das Leid. So wollte es Gott damals, und so will er es auch heute. Das gilt für unsere Auferstehung mit dem gekreuzigten Christus, die uns verheißen ist, nicht weniger als für die alltäglichen Er- eignisse unseres  Lebens. Wir werden hier aufs Neue an das Jesus-Wort erinnert: „Der Jünger ist nicht über dem Meister“ (Mt 10, 24; Lk 6, 40).

Gott führt uns durch Leid zum Heil. Dem Osterfest geht der Karfreitag voraus. Der Karfrei- tag unseres Lebens führt uns zum ewigen Osterfest, wenn wir mit dem auferstandenen Christus durch die Zeit gehen, wenn wir uns bemühen, ihn immer mehr zum Maßstab unse- res Lebens zu machen.

Es kommt noch hinzu, dass sich, wenn wir auf den auferstandenen Christus schauen, für uns die Leiden dieser Zeit auf wunderbare Weise relativieren.

Das Leid ist ein bedeutender Faktor unseres Lebens. Das gilt für uns alle. Jeder von uns muss viel Schweres durchstehen in seinem Leben, der eine mehr, der andere weniger. Ganz kommt niemand daran vorbei. Aber alles wird leicht für uns, wenn der Glaube an die Auferstehung des gekreuzigten Christus und an die Unsrige, die uns darin verheißen ist, unser Leben bestimmt. Es ist der auferstandene Christus, der uns Hoffnung gibt in allen dunklen Stunden, wenn wir nur auf ihn schauen und ihn als den Lebenden verehren.

Immer begegnen wir ihm, dem Auferstandenen, in der Feier des eucharistischen Geheim- nisses. Die heilige Messe ist in ihrem Wesen so etwas ist wie die Feier des Ostermy- steriums. Das erkennen viele nicht mehr. Tatsächlich unterliegt das zentrale Sakrament der Kirche heute einem Erosionsprozess - so kann man es nennen - wie nie zuvor, unterliegt es heute einer extremen Verflachung bei den Priestern wie beim Volk Gottes. Für viele von uns muss hier die Bekehrung ansetzen. Das österliche Sakrament, das Sakrament der Eucharistie, ist ohne Wirkung, ja, es verdunkelt unseren Sinn noch mehr, wenn wir ver- gessen, dass es der auferstandene Christus ist, der uns darin nicht nur begegnet, sondern der sich darin uns zur Speise gibt, deren Empfang den Gnadenstand zur Voraussetzung hat und eine große Aufmerksamkeit und einen tiefen Glauben.

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Nur langsam kommen die ersten Osterzeugen, die Jünger Jesu, zum Glauben an die Auf- erstehung des Gekreuzigten. Ihre Zweifel sind eine Hilfe für unseren Osterglauben. Und sie erkennen, dass der Messias leiden und sterben musste, um so in seine Herrlichkeit einzu- gehen. Gott führt uns durch Leid zum Heil. Das gilt immerfort für uns unter der Vorausset- zung, dass wir auf den auferstandenen Christus schauen und uns gläubig mit ihm vereini- gen. Und immer begegnet uns dieser in der Feier der Eucharistie. In ihr bleibt das Oster- geschehen Gegenwart, denn in ihr feiern wir den Tod und die Auferstehung Christi bis er einst wiederkommt. Suchen wir ihn dort, wo wir ihn finden, dann begleitet er auch uns, wie er die Emmaus-Jünger begleitet hat. Dann macht er auch „unser Herz brennen“, im- mer wieder aufs Neue. Amen.

 

PREDIGT ZUM OSTERFEST AM 23. MÄRZ 2008

„FÜRCHTE DICH NICHT … ICH HABE DIE SCHLÜSSEL DES
TODES UND DER UNTERWELT“

In alter Zeit nannte man Ostern das Fest aller Feste (die „Festa Festorum“), seit den Tagen der Urkirche ist Ostern das höchste Fest des Jahres. An ihm verkündete man die Wahrheit aller Wahrheiten, den Sieg des Lebens über den Tod, die Wahrheit, dass Gott stärker ist als der Tod und die Vergänglichkeit, stärker als die Bosheit der Menschen. Nicht genug damit, dass man dieses Geheimnis an einem Tag im Jahr festlich beging, schon früh kam man all- wöchentlich am ersten Tag der Woche zusammen, um gewissermaßen ein kleines Oster- fest zu feiern, um in der Eucharistiefeier dem auferstandenen Herrn zu begegnen. Von da- her rührt auch das, was in allen Jahrhunderten selbstverständlich war und es wieder wer- den muss, dass sich am Sonntag die ganze Gemeinde im Gotteshaus versammelt. Wer wollte diese gnadenvolle Begegnung verfehlen? Im Ostergeheimnis geht es um den Tod und die Vergänglichkeit, um eine Frage, die uns mehr bedrängt als alle anderen Fragen, wenn wir uns nicht das Nachdenken abgewöhnt haben. Die Auferstehung Jesu gibt uns die Antwort auf diese Frage, wenn wir den Osterzeichen und den Osterzeugen Glauben schen- ken, wenn wir der Kirche Christi mehr Vertrauen entgegenbringen als den selbsternann- ten Propheten unserer Zeit, die alles wissen, auch das, was sie nicht wissen.

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Im 4. Jahrhundert schreibt Cyrill von Jerusalem (+ 386) im Blick auf die Osterbotschaft: „Alle Könige verlieren bei ihrem Tode mit dem Leben zugleich die Macht, einzig Christus wird seit seinem Tode am Kreuz von aller Welt angebetet“. Man ist geneigt zu sagen: Schön wäre es, wenn es so wäre, aber es ist ein Faktum, dass sich die Macht Christi aus- weitete in seinem Tod, dass ihn Millionen angebetet haben in der zweitausendjährigen Geschichte des Christentums und darin Trost haben im Leben und im Sterben. Ein Ausdruck dieser Tatsache ist die alte Inschrift auf einem Obelisk: „Sehet das Kreuz des Herrn, weichet ihr feindlichen Mächte, gesiegt hat der Löwe von Juda“. Der Löwe von Juda, das ist der Sieger von Golgotha, der sich stärker erwiesen hat als der Tod, sofern er im Tod den Tod besiegt hat. So verstand man stets das Kreuz, auch als Zeichen des Sieges, nicht nur als Marterwerkzeug. So müssen wir es auch heute verstehen, wenn wir uns nicht der Oster- botschaft verschließen.

Der Sieg Christi über den Tod ist der Kern der christlichen Verkündigung von Anfang an. Davon sprachen die ersten Glaubensboten in der Urkirche zuerst, und alles andere, was sie zu verkünden hatten, war im Grunde nur Ausgestaltung dieses Grunddatums. Dabei beton- ten sie, dass die Aufer-stehung Christi die Auferstehung aller zur Folge hat - er war ja der Erstling der Entschlafenen -, dass die Auferstehung Christi die Auferstehung aller zur Folge hat, die sich in seine Jüngergemeinde einreihen, die ihm nachfolgen, die für ihn und seine Kirche einstehen und seinen heiligen Willen erfüllen.

Sie waren keine Phantasten, die ersten Christen, sie taten nicht den zweiten Schritt vor dem ersten. Sie wussten, dass mit dem österlichen Geschehen nur die Schatten der Zu- kunft, die Schatten einer glücklicheren Zukunft in die Gegenwart hineinfielen. Sie wussten: Die Voraussetzung für die Auferstehung mit Christus ist das Mitleiden mit ihm. Sie wussten: Noch ist nicht die Vollendung, noch sind wir auf dem Wege, noch bestimmen das Leiden, die Versuchung und die Sünde unser Leben. Darum dispensiert auch das Oster-geheimnis nicht von dem ernsten Streben nach dem Guten, von der Askese und von dem Bemühen um die Freiheit des Geistes.

Die Voraussetzung für den Osterglauben und die Osterfreude ist die, dass wir mit Christus das Kreuz tragen und in der Gemeinschaft mit ihm unseren Tod auf uns nehmen.

Wenn der Auferstandene den Jüngern sagt: „Musste nicht Christus all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit einzugehen“ (Lk 24, 26), so gilt das auch für uns. Der Weg zur Aufer- stehung führt über das Kreuz.

Der Apostel Paulus, der wie kein anderer überwältigt war von dem Geheimnis der Aufer- stehung Jesu - er hatte ihn gesehen, er war ihm begegnet, nicht dem irdischen Jesus, aber dem auferstandenen -, er erklärt: „Immerfort tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leibe“ (2 Kor 4, 11).

Was neu ist, das ist das Wissen um den Weg der Überwindung der Vergänglichkeit und des Todes. Damit aber hat angesichts der Auferstehung Jesu die Ewigkeit schon begonnen. Aus dem Glauben an die Auferstehung des Gekreuzigten geht eine feste Hoffnung hervor, eine Hoffnung, die die Gegenwart trägt, auch wenn sie uns zuweilen den Boden unter den Fü- ßen wegzuziehen scheint.

Als am Ende des 1. Jahrhunderts die christlichen Gemeinden in großer Bedrängnis lebten, weil Kaiser Domitian sie grausam verfolgte, vernahm ein urchristlicher Prophet tröstliche Worte aus dem Munde des Auferstandenen, aus dem Munde des Kyrios, Worte, die uns auf- gezeichnet sind im letzten Buch der Heiligen Schrift, in der Geheimen Offenbarung. Sie lauten: „Fürchte dich nicht. Ich bin der Erste und der Letzte, der Lebendige, ich war tot, und nun lebe ich in alle Ewigkeit. Ich habe die Schlüssel des Todes und der Unterwelt“ (Apk 1, 18).

Viele Ängste bedrängen uns heute, obwohl wir sie uns oftmals nicht eingestehen. Beson- ders forsch treten jene auf, die sich von der Kirche entfernt haben, die ein gottloses Leben führen oder auch jene, die sich den Zeitgöttern verschrieben haben. Aber sie täuschen sich und andere. In Wirklichkeit sind die Angst und die Unsicherheit der Menschen heute groß, weil viele die zentrale Glaubenswirklichkeit der Kirche ad acta gelegt oder sich eine Neu- interpretation von ihr zu Eigen gemacht haben, die auf ihre Auflösung hinausläuft.

Wer um die Auferstehung Christi weiß, wer auf der Seite des auferstandenen Christus steht, wer ihm nachfolgt, dem können die irdischen Sorgen im Grunde nichts mehr anhaben. Und die innerweltlichen Potentaten können ihm keine Angst mehr einjagen. Im Glauben an den Auferstandenen sind sie unverwundbar. Denn er, der auferstandene Christus hat die Schlü- ssel des Todes und der Unterwelt, das heißt: Er führt uns aus der Dunkelheit ins Licht, aus der Vergänglichkeit in die Unvergänglichkeit.

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Einst hat die Jüngerschaft Jesu, die junge Kirche, mit der Osterbotschaft die Welt erobert. Die Botschaft von der Auferstehung des Gekreuzigten von Golgotha hat vor zwei Jahrtau- senden eine Revolution der Herzen eingeleitet und einer geistig und moralisch verkomme- nen Welt neue Perspektiven geschenkt.

Die Urgemeinde und die Kirche der ersten Jahrhunderte war ganz und gar österlich ge- prägt. Als die Kirche der Märtyrer lebte sie ganz und gar aus dem Glauben an den, der „die Schlüssel des Todes und der Unterwelt“ hat. Dieses Faktum ist ein bedrängender Appell an eine verbürgerlichte Kirche unserer Tage, von der weithin nur noch die Strukturen existie- ren. Und wir sehen auch: Wenn die Kirche in der Geschichte große Zeiten durchschritt, so tat sie das in einem lebendigen Osterglauben. Umgekehrt, wenn sie unfruchtbar war, so deshalb, weil das Feuer des Osterglaubens in ihr erloschen war. Dabei waren die Gläubi- gen nicht naiv in ihrem Osterglauben, sie wussten, dass wir auf dem Weg sind, solange wir leben, dass der Karfreitag weitergeht, dass wir im Pilgerstand nicht anders als durch die Tränen des Leides hindurch den Glanz der österlichen Freude sehen können. Aber der Glaube prägte ihr Leben, und darum konnten sie überzeugen und mitreißen und viele für die Kirche des Auferstandenen gewinnen.

Beten wir heute, dass die Osterbotschaft uns so erfülle, dass sie uns stark macht, dass sie uns den Frieden schenkt und uns zu Zeugen des Auferstandenen macht, dessen, der die Schlüssel des Todes und der Unterwelt in seiner Hand hält. Amen.

 

PREDIGT ZUM PALMSONNTAG, GEHALTEN AM 16. MÄRZ 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DURCH SEINE WUNDEN SIND WIR GEHEILT WORDEN“

Nur zwei Gedanken sollen die ergreifende Leidensgeschichte vertiefen, die wir vernom- men haben. Der da gelitten hat, war der Sohn des ewigen Gottes, der Mensch geworden war, um die kranke Menschheit zu heilen, um ihr das aufs Neue zu bringen, was sie einst, am Anfang ihrer Geschichte, verloren hatte. Er wurde jedoch verworfen. Die Führenden des Volkes, die Wortführer, sie wussten es besser, was den Menschen zum Heile dient. Der Evangelist Johannes erinnert an dieses Geschehen, wenn er am Anfang seines Evangelium schreibt: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 11).

Da begegnet uns das „Geheimnis der Bosheit“ (2 Thess 2, 7), ein Mysterium, das nicht weni- ger geheimnisvoll ist als das Geheimnis der Menschwerdung Gottes. Heute eskaliert es, das Geheimnis der Bosheit, wo immer man sich von Christus und von seiner Erlösungstat ab- wendet. Und das geschieht heute in dem Maße, in dem man die Gottlosigkeit propagiert, sei es durch Worte, sei es durch Taten. Davon ist selbst das Innere der Kirche - Gott sei es geklagt - nicht ausgenommen. Das Fundament dieses Geheimnisses bilden der Egoismus, der Stolz und die Unwahrhaftigkeit, die Unehrlichkeit, die bewusste Täuschung.

Auch heute wird der Sohn Gottes nicht aufgenommen in seinem Eigentum, er wird aufge- nommen, ja, aber nur partiell. Und die Zahl jener, die ihn aufnehmen, scheint zu schrump- fen. Von daher geht seine Leidensgeschichte weiter, wenngleich in manierlicheren For- men, aber auch das gilt nicht immer.

Gott wurde ein Mensch, um die Menschen zu vergöttlichen, um sie zu veredeln, um sie auf eine höhere Ebene des Seins zu erheben, um die Dunkelheit dieser Welt zu bannen, um den Fluch von ihr zu nehmen und um den Menschen den Reichtum Gottes zu bringen und sie für die ewige Gemeinschaft mit Gott zu rüsten. Das ist das Wesen der Erlösung.

Der Apostel Paulus schreibt: „Er, der reich war, wurde um euretwillen arm, damit ihr durch seine Armut reich werdet“ (2 Kor 8, 9). Er erniedrigte sich, um uns zu erhöhen. Er hat nicht nur unsere menschliche Natur angenommen, er hat sich auch dem Geheimnis der Bosheit unterworfen, indem er für alle Menschen gelitten hat und sich dem schmählichen Tod am Kreuz ausgeliefert hat. Er hat den Tod „verkostet“ für uns alle, wie es im Hebräerbrief heißt (Hebr 2, 9). Aus Liebe trug er den Hass der Menschen, um ihn zu überwinden. Gerade sein Leiden und sein Sterben sind ein Zeugnis dieser Liebe.

Zwei Übeltäter starben zusammen mit Christus, der eine verhöhnte seinen Leidensgeno- ssen zusammen mit den Leuten, die unter dem Kreuz standen oder am Kreuz vorübergin- gen, sie wollten nicht wahr haben, was da geschehen war, der andere beugte sich seiner tieferen Einsicht. Er verdemütigte sich im Angesicht des Todes und leugnete nicht, was eigentlich nicht zu leugnen war. Und er starb als ein Erlöster.

„Durch seine Wunden sind wir geheilt worden“. heißt es bei dem Propheten Jesaja (Jes 53, 5). Der erste Petrusbrief greift diesen Gedanken auf (1 Petr 2, 24). Diese Heilung geht wei- ter, denn die Leidensgeschichte des Erlösers ist noch nicht zu Ende, sie geht weiter, wie auch das Geheimnis der Bosheit weitergeht in der Geschichte der Menschheit.

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Christus ist für alle gestorben, „damit die Lebenden nicht mehr für sich leben“, heißt es im 2. Korintherbrief, „sondern für den, der für sie starb und auferweckt wurde“ (2 Kor 5, 15). Das ist der zweite Gedanke, mit dem wir das heutige Evangelium vertiefen möchten.

Wenn wir für Christus leben, dann leiden wir mit ihm für die, für die er gelitten hat. Der hei- lige Paulus erklärt einmal: „Ich freue mich, wenn ich für euch leiden darf, denn ich er- gänze durch meine Leiden das, was noch aussteht von den Leiden Christi“ (Kol 1, 24). Vie- le Leiden bestimmen unser Leben, Leiden, denen wir nicht entfliehen können, körperliche, aber auch seelische Leiden. Sie erhalten einen tiefen Sinn, wenn wir sie in der Gemein- schaft mit dem leidenden Christus tragen. Mit der Gnade Gottes können wir uns dann gar freuen über sie, wenn wir im Gebet mit Christus eng verbunden sind, im Gebet und im re- gelmäßigen Empfang der Sakramente. Das gilt vor allem dann, wenn wir nicht nur mit Christus leiden, sondern auch für ihn, wenn wir für die Wahrheit leiden, für das Wort Got- tes und für das Gute. In der Bergpredigt spricht Christus ausdrücklich davon, dass wir uns freuen sollen, wenn wir Verfolgung erleiden um der Gerechtigkeit willen. Da fügt er dann noch ein weiteres Motiv für diese Freude hinzu, wenn er erklärt „euer Lohn wird groß sein im Himmel“.

Sich freuen über das Leiden, das wir mit Christus tragen und über das Leiden, das wir für ihn tragen, das ist nicht leicht, aber es schenkt uns die innere Freiheit, und es macht unser Leben reich. Wenn wir mit Christus leiden und für ihn, machen wir nicht nur unser Leben reich, sondern auch das Leben vieler, können wir doch durch unsere Leiden das ergänzen, was noch aussteht an den Leiden Christi und so zusammen mit Christus die Menschheit er- lösen, teilhaben an seinem Erlösungswerk. Das ist ein Gedanke, der uns aufrichtet in schweren Stunden, wenn wir ihn bedenken. Da können wir uns mit Paulus verbünden, der viele reich gemacht hat durch die zahllosen Leiden, die er in der Erfüllung seines aposto- lischen Auftrags auf sich genommen hat, nicht zuletzt auch, wie er eigens betont, in durch- wachten Nächten und in Fasten und Beten (2 Kor 6, 4 ff). Amen.

 

PREDIGT ZUM 5. FASTENSONNTAG, GEHALTEN AM 9. MÄRZ 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WER AN MICH GLAUBT, WIRD LEBEN, AUCH
WENN ER GESTORBEN IST“

Sieben Wunder Jesu werden uns im Johannes-Evangelium berichtet. Am vergangenen Sonntag ging es im Evangelium der heiligen Messe um das sechste Wunder, um die Hei- lung des Blindgeborenen, heute ist es das siebente, die Auferweckung des Lazarus. Die tie- fere Aussage des Berichtes von der Heilung des Blindgeborenen lautet: Schlimmer, ver- hängnisvoller als die Blindheit der Augen ist die Blindheit des Herzens, und die eigentlich Blinden sind die, die sich der Wirklichkeit verschließen und nicht an die göttliche Macht und Sendung Jesu glauben, weil sie ihre Ruhe haben wollen. Oder anders gesagt: Der, der uns die Augen öffnet für die eigentliche Wirklichkeit, für Gott und für seine Pläne mit uns Menschen, ist Jesus, das Licht der Welt. Ohne ihn ist Dunkelheit in uns und um uns. Wer dieses Licht nicht schaut und im Glanz dieses Lichtes nicht die Welt und sein Leben be- trachtet, der ist in Wahrheit blind, und er ist ärmer als jeder Blindgeborene.

Heute will uns das Evangelium daran erinnern, dass Christus nicht nur das Licht unserer Welt ist, sondern auch ihr Leben. Wer nicht an ihn glaubt, obwohl er von ihm gehört hat, ist eigentlich tot, und wer sich ihm anschließt mit allen Konsequenzen, nicht nur in einem Augenblick der Begeisterung, wer sich ihm anschließt mit allen Konsequenzen, der braucht den zeitlichen Tod nicht mehr zu fürchten, weil er das ewige Leben gefunden hat. Christus - das Leben, das ist das Thema dieses Evangeliums.

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Wieder sind es die Autoritäten des Volkes, die Hohenpriester, die Pharisäer und die Schrift- gelehrten, die das Wunder, dieses Mal das Wunder von der Auferweckung des Lazarus, nicht wahr haben wollen. Das erfahren wir im Fortgang der Perikope: Was nicht in ihr Kon- zept passt, das darf nicht sein. Was nicht wahr sein darf, das kann nicht wahr sein. Sie fassen daher den Beschluss, Jesus und auch den Lazarus zu töten. Die Sache muss aus der Welt geschafft und alle Spuren müssen verwischt werden.

Handeln wir nicht zuweilen ähnlich wie die Autoritäten des jüdischen Volkes zur Zeit Jesu? Oftmals wollen mit dem Kopf durch die Wand, wie sie es wollten. Auch unser Stolz ist oft- mals grenzenlos: Wir wollen uns nicht beugen, auch nicht vor der Wahrheit, und wenn wir uns schon getäuscht haben, so geben wir es wenigstens nicht zu. Wir können uns der Wahrheit widersetzen, wir können ihr widerstehen. Das ist möglich, weil es nicht nur die Kraft des Verstandes in uns gibt, weil wir nicht nur denken, sondern auch wollen können. Und das Wollen ist oft mächtiger in uns als das Denken. An diesem Punkt aber beginnt das Geheimnis der Sünde: Der Sünder begehrt auf gegen die Wahrheit, er handelt nicht gemäß der Wahrheit, er leugnet sie, oder er biegt sie zurecht.

Die Autoritäten des jüdischen Volkes wollen recht gehabt haben, und sie wollen recht ha- ben, sie wollen die bleiben, die sie sind, sie wollen ihre Autorität nicht in Frage gestellt sehen, darum widerstehen sie der Wahrheit. Dieses ihr Verhalten ist eine bleibende Ver- suchung der Menschen, in allen Jahrhunderten. Auch uns geht sie an. Wir erkennen daran, wie grundlegend das Bemühen um die Ehrlichkeit ist für uns und wie kritisch wir sein müssen gegen uns selbst.

Diejenigen, die sich Jesus verschließen, die nicht an ihn glauben, um seiner Weisung ent- gehen zu können, sie sind tot in einem umfassenden Sinn. Sie suchen das Leben, aber sie suchen es da, wo sie es nicht finden können. Sie klammern sich an das irdische Leben, das aber ein Leben zum Tode ist. Wer wollte nicht sehen, dass das heute die Mehrzahl - so kann man wohl sagen - die Mehrzahl der Menschen tut? Man klammert sich an das irdische Leben und verschmäht das ewige. Ja, wir alle, ein jeder von uns, wir alle stehen im Sog dieses Unglaubens, der seine Lebenskraft immer neu aus dem Stolz bezieht, aus dem Hochmut und aus der Selbstverliebtheit. Wir möchten das Leben, aber wählen den Tod. Das aber ist ein Verhängnis.

Der Abfall von Christus und seiner Kirche, wie er heute in großem Stil sich ereignet, ist eine furchtbare Tragödie, weil er unabsehbare Konsequenzen hat, nicht nur für die Ewig- keit, auch für die Zeit. Was die zeitlichen Konsequenzen angeht, erkennen wir diese schon heute in dem wachsenden Chaos im gesellschaftlichen und im politischen, ja, auch im kirchlichen Leben. Vorgestern noch sprach der Heiligen Vater von der Verweltlichung in- nerhalb der Kirche. Die Propagandisten des Unglaubens haben in ihr heute ein leichtes Spiel. Gebannt durch das Wohlleben, verbünden sich viele mit ihnen, die noch drinnen sind und ihnen eigentlich entgegentreten müssten, sie verbünden sich mit ihnen, weil sie das Heil von der Anpassung an die Welt erwarten, weil sie nicht mehr wissen, worum es geht in der Botschaft Christi und der Kirche. Wer das irdische Leben vergötzt, das ohnehin vergänglich ist, wird nicht nur das ewige Leben verlieren, er zerstört dazu noch - das gilt heute mehr denn je - die Bedingungen seines irdischen Lebens.

Das Vordergründige ist leer, es ist letztlich eine Täuschung. Wer daran sein Herz hängt, der betrügt sich selbst. Diesen Zustand kann man auch nur ertragen, indem man das Denken aufgibt oder indem man es sich nur bis zu einem bestimmten Punkt gestattet.

Die frohe Botschaft des heutigen Evangeliums lautet: Wir brauchen keine Angst vor dem ir- dischen Tod zu haben, wenn wir das Leben wählen, das heißt, wenn wir dem Glauben schenken und folgen, der sich selber immer wieder als das Leben bezeichnet und der es uns wiederholt gezeigt hat, dass er mächtiger ist als der Tod. Wer aber den Tod nicht mehr zu fürchten braucht, der braucht auch keine Angst mehr zu haben vor dem Leben. Christus schenkt uns das ewige Leben, wenn wir uns nicht der Wahrheit verschließen, wenn wir uns seine Botschaft, wie sie uns in der Kirche der Jahrhunderte verkündet wird, zu Eigen machen.

*

Wenn wir am vergangenen Sonntag sagen konnten: Die wahrhaft Blinden sind die, die von vielen für sehend gehalten werden, so können wir heute sagen: Tot im eigentlichen Sinne sind die, die nur das irdische Leben kennen und dafür das ewige aufs Spiel setzen. Wer sich Christus und seiner Kirche widersetzt, ob er das drinnen tut oder draußen, wer seine Ruhe haben will und darum der Wahrheit widersteht, der wählt den Tod, den zeitlichen, dem er ohnehin nicht entrinnen kann, und mit ihm - heute mehr denn je - das Chaos und den ewigen Tod, weil er die Zeit der Gnade verstreichen lässt. Bedenken wir das, erkennen wir, dass jeder Augenblick unseres Lebens von unabsehbarer Bedeutung ist für Zeit und Ewigkeit, nicht nur für uns persönlich, sondern letztlich auch global, für eine ganze Welt, für die Schicksalsgemeinschaft aller Menschen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 4. FASTENSONNTAG, GEHALTEN AM 2. MÄRZ 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„GIB GOTT DIE EHRE“

Wenn man das Evangelium des heutigen Sonntags hört, hat man zunächst den Eindruck: Lang und langweilig, die Streiterei um den Blindgeborenen, der von seiner Blindheit ge- heilt worden ist. Denken wir aber etwas tiefer nach, erkennen wir, dass das durchaus nicht uninteressant ist, dass solche Debatten auch bei uns vorkommen, dass die Pharisäer mitten unter uns leben, ja, dass wir uns selbst - zumindest zuweilen - in ihnen wiedererkennen können.

 *

Jesus hat einen Blinden geheilt, die Pharisäer wollen das jedoch nicht wahr haben. Wäre das wahr, dann müssten auch sie den Anspruch Jesu anerkennen und sich in seine Nach- folge begeben. Das aber wollen sie nicht. Sie widerstehen der Wahrheit, und zwar hart- näckig. Sie handeln nach der Devise: Was nicht sein darf, das ist auch nicht. Es darf nicht wahr sein, dass Jesus den Blinden geheilt hat, es darf nicht wahr sein, deshalb kann es auch nicht wahr sein. Als Meister des Wortes suchen sie das Faktum aus der Welt zu schaf- fen, sie suchen sich selbst, dem Geheilten und den Augenzeugen des Wunders einzureden, dass sich nichts Besonderes zugetragen hat, dass alles nur eine Täuschung gewesen ist. Sie argumentieren so: Ein Sünder kann keine Wunder wirken: Dieser aber ist ein Sünder, also ist das Wunder nicht geschehen. Sie argumentieren jedoch mit einer falschen Prämi- sse und dazu noch gegen die Erfahrung. Mit ihrer Vorentscheidung biegen sie die anders geartete Erfahrung zurecht.

Dass dieser ein Sünder ist, das wissen sie, die Pharisäer, denn er hat sie angeklagt, allzu oft. Das ist für sie der Beweis dafür, dass er ein Sünder ist. Diesen Grund lassen sie freilich nach außen hin nicht gelten. Da geben sie einen anderen Grund an, da erklären sie, er ha- be den Sabbat missachtet. Das klingt besser und überzeugender.

Der Geheilte spricht dagegen, er durchkreuzt ihre Argumentation, wenn er feststellt: Dieser kann kein Sünder sein, und darüber hinaus ist der Tatbestand der Heilung offenkundig. Mit Recht sagt ihr, dass Sünder solche Wunder nicht tun können. Die Antwort der Pharisäer darauf: Wenn du meinst, dieser sei kein Sünder, dann bist du selber einer. Dieser Jesus darf kein Prophet sein, also ist er keiner. Was du sagst, das darf nicht stimmen. Also stimmt es nicht. Wer wollte sich dieser Logik entziehen? Um sie als Scheinlogik zu entlarven, da- zu bedarf es einer gewissen Aufmerksamkeit, einer kritischen Einstellung gegenüber dem, was man einem vorredet.

Dieses Streitgespräch und Streitgespräche dieser Art haben sich seither hundert- und tau- sendmal wiederholt bis in die Gegenwart hinein, nicht nur auf religiösem Gebiet. Welche geistigen Verrenkungen machen wir, wenn wir etwas nicht wahr haben wollen? Mit wel- chen spitzfindigen Ausreden weichen wir aus, wenn die Wahrheit unangenehm ist für uns? Das Vorurteil oder die Voreingenommenheit, sie hat große Macht in unserem Leben. Aus ihr gehen immer neue Ideologien hervor. Da gibt es private und öffentliche Ideologien. Ge- rade heute sind sie sehr zahlreich. Das hängt mit der Hinwendung zum Subjekt zusammen, mit der Abwendung von der Objekt, die eigentlich schon seit einigen Jahrhunderten das Feld beherrscht. Wie unkritisch sind die Kritischen, wenn eine Position ihren Interessen entspricht!

Die Ideologie verdunkelt den Verstand. Sie macht blind. Von daher erklären sich nicht we- nige Vorgänge in unserem privaten Leben wie auch im öffentlichen Leben unserer Zeit, manche Diskussionen über religiöse und politische Fragen, aber auch über gesellschaftli- che, kulturelle und wissenschaftliche Fragen. Das führt Einsichtigere immer wieder zu der Pilatus-Frage: „Was ist Wahrheit?“ oder gar zur Resignation gegenüber der Wahrheitsfra- ge, wenn sie sagen: Es gibt keine Wahrheit, wir können sie nicht erkennen. 

Was den christlichen Glauben angeht, den uns die Kirche verkündet: Wenn wir etwas nicht glauben wollen, weil es unseren Interessen widerspricht, dann gehen uns, wenn wir her- ausgefordert werden, in der Regel die Worte nicht aus. Am Ende sind wir dann oft selber überzeugt von dem, was wir uns eingeredet haben. Wir können nämlich nicht nur den an- deren etwas vormachen. Wir können uns auch selber etwas vormachen. Je länger und je mehr wir gegen die Wirklichkeit argumentieren, umso mehr verlieren wir den Blick für die Wahrheit. Wenn wir lange genug und auch konsequent genug gelogen haben, so glauben wir es schließlich selber. Die Lüge kann Besitz von uns ergreifen, sie kann uns zur zweiten Natur werden. Ja, sie hat wirklich etwas Dämonisches an sich, die Lüge. Die Versuchung, der Wahrheit Gewalt anzutun, ist deshalb so groß, weil die Wahrheit unbequem ist - das ist sie jedenfalls nicht selten -, und zwar deshalb, weil wir mit ihr oftmals nicht so weiter ma- chen können wie bisher, weil sie vielmals unsere Demut voraussetzt und uns demütig macht, weil sie uns stets dazu auffordert, dass wir Gott die Ehre geben und dass wir uns einordnen in den größeren Zusammenhang der Schöpfung.

Die Offenbarung des Neuen Testamentes spricht wiederholt von der Tragik der Menschen, dass sie die Finsternis mehr liebten als das Licht - die Wahrheit ist das Licht, die Lüge ist die Finsternis. Wenn wir der Wahrheit widerstehen, dann wählen wir die Finsternis.

Unterdrückung der Wahrheit, das gibt es im privaten wie im öffentlichen Leben. Wenn wir die Augen verschließen vor der Wirklichkeit und so der Faszination der Lüge erliegen, wird die Sünde uns in vielfachen Formen immer mehr beherrschen. Zunächst wollen wir nicht sehen, und schließlich können wir nicht mehr sehen.

Man kann sich nur immer wieder wundern über den Einfallsreichtum des Bösen im Kampf gegen die Wahrheit: Verdächtigungen, Benachteiligungen, körperliche und seelische Quä- lereien, Freiheitsentzug und Tod, geistigerweise oder im buchstäblichen Sinne - und im- mer wieder unendlich viele Worte und hochtrabende Reden.

„Gib Gott die Ehre“, heißt es in unserem Evangelium. Das sagen die Pharisäer dem Geheil- ten. Sie müssten es sich selber sagen. Wenn wir Gott die Ehre geben, dann geben wir der Wahrheit die Ehre. Wir nennen den Lügner unehrlich, weil er Gott nicht die Ehre gibt und weil er damit seine eigene Ehre aufs Spiel setzt.

Der Kampf gegen die Lüge und gegen den Irrtum ist der Hauptinhalt des Wirkens Jesu. Sein Tod am Kreuz ist die Frucht dieses Kampfes. Er weiß: Die Lüge gehört zu jeder Sün- de, als Selbstbetrug und als Täuschung der anderen, sie steht am Anfang einer jeden Sün- de, und sie begleitet sie unerbittlich. Wo Christus ist, da muss auch sein Jünger sein. Der Kampf gegen die Finsternis ist die erste Aufgabe der Kinder des Lichtes. Wenn wir uns von Christus erleuchten lassen, dann verwechseln wir nicht mehr die Nacht mit dem Tag, die Finsternis mit dem Licht. Dann erkennen wir die Finsternis in uns und um uns. „Wach auf, der du schläfst, und Christus wird dich erleuchten“, so heißt es in einem alten Tauflied, das heute in der (zweiten) Lesung zitiert wird, die dem Epheserbrief entnommen ist.

Die Unterscheidung der Geister, darauf kommt es an. Für diese Gabe müssen wir uns offen halten. Um sie müssen wir zu Gott beten, sollten wir zu Gott beten, am besten täglich.

Damit werden die Blindheit des Blindgeborenen und seine Heilung zu einem Gleichnis für unsere Blindheit gegenüber der Wahrheit, für die Blindheit des Geistes, die folgenreicher ist als die Blindheit des Leibes.

Die Heilung von der Blindheit des Geistes wird uns geschenkt, wenn wir uns konsequent in die Gefolgschaft Christi begeben, der in den Sakramenten seiner Kirche uns begegnet und darin wirksam ist. In den Sakramenten, damit meinen wir das Bußsakrament und das Sa- krament des Altares. Sehen können, das ist nicht zuletzt auch eine Frage der Reinigung des Herzens, das vor allem durch den Stolz verschmutzt ist, der immer neu die Lüge und den Irrtum gebiert. Wenn wir Christus wirklich suchen und lieben, haben wir den Mut, mit Christus gegen die Lüge und gegen den Irrtum zu kämpfen - in uns und um uns.

*

Wie schwer ist es, der Wahrheit die Ehre zu geben? Die Macht der Lüge ist erschütternd groß. Die Szene unseres Evangeliums ist zeitlos. Der Kampf gegen die Wahrheit ist die Ursache aller Übel. Und es gibt kein Übel, mit dem sich nicht die Unwahrhaftigkeit, die Heuchelei, die Verschleierung der Wirklichkeit, verbindet. Der Kampf gegen die Wahrheit, zunächst erfolgt er für gewöhnlich wider besseres Wissen. Aber bald erliegen wir der Faszination der Lüge. Das Leben vieler Menschen ist eine einzige Lüge. Prüfen wir uns im- mer wieder, ob nicht auch unser Leben an diesem Punkt gefährdet ist! Die Lüge fasziniert, wenn man ihr verfällt. Betrachten wir daher die Dinge nüchtern, unter Absehung von un- serer eigenen Person und von unseren eigenen Erwartungen. Beten wir oft um die Gabe der Unterscheidung der Geister und mühen wir uns um den Geist der Demut. Gehen wir zu Jesus und suchen wir ihn im Gebet, um so der Faszination der Lüge und des Irrtums zu entgehen. Wachsam müssen wir sein: Das Böse schmeichelt unserer Bequemlichkeit und unserem Stolz. Im Evangelium des heutigen Sonntags werden die Sehenden blind und die Blinden sehend. Sorgen wir dafür, dass wir zu der letzteren Kategorie gehören, zu der Ka- tegorie der Blinden, die sehend werden, nicht zu der Kategorie der Sehenden, die blind werden. Amen.

 

PREDIGT ZUM 3. FASTENSONNTAG, GEHALTEN AM 24. FEBRUAR  2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WER IMMER DAS WASSER TRINKEN WIRD, DAS ICH IHM GEBEN WERDE,
DER WIRD NICHT MEHR DÜRSTEN“

Im Evangelium des heutigen Sonntags führt Jesus ein Gespräch mit einer Frau, einer Sa- mariterin. Die Samariter waren ein Mischvolk, sie waren Juden, die sich in den Jahrhun- derten mit Heiden verschmolzen und damit den wahren Glauben verraten hatten. Deshalb wurden sie zur Zeit Jesu von den Juden verachtet. Das hindert Jesus nicht daran, ein Ge- spräch mit einer Frau zu führen, die diesem Volk angehört, ein seelsorgliches Gespräch, ein Gespräch, wie er viele solcher Gespräche geführt hat in seinem Erdenleben. Behutsam führt er die Frau, die rein diesseitig lebt, zu der Erkenntnis, dass sie dem Messias begegnet ist, und er lässt sie erkennen, dass das ewige Leben wichtiger ist als das zeitliche. Ver- strickt in die Sünde und geblendet durch den Glanz des Bösen, lernt die Frau in diesem Gespräch, worauf es ankommt. Und sie kehrt um. Ob ihre Umkehr von Dauer war, das e- rfahren wir nicht, wir können es nur hoffen, wir können nur hoffen, dass sie die Ewigkeit nun endgültig, ein für allemal, ins Auge gefasst hat.

*

Aus der genialen Gesprächsführung Jesu können wir lernen, wie man Menschen zu Gott führen kann. Jesus begegnet dieser Frau mit Respekt, jedoch gleichzeitig überlegen und souverän. Vor allem aber gehen seine Worte aus einem grenzenlos ehrlichen und lieben- den Herzen hervor.

Er beginnt in seinem Gespräch bei dem Nächstliegenden: Die Frau schöpft Wasser am Brunnen, und er bittet sie: Gib mir zu trinken! Er will nicht trinken. Die Bitte ist nur ein Ein- stieg. Er tritt mit dieser Bitte an die Frau heran, um ihr zu sagen, dass eigentlich sie ihn bit- ten müsste. Er will ihr sagen, dass sie und - allgemein - die Menschen nur den Durst des Leibes stillen können, dass er hingegen den Durst der Seele stillen kann.

Als die Frau zu ahnen beginnt, dass hier kein gewöhnlicher Mensch mit ihr spricht, setzt Je- sus neu an, ein wenig unvermittelt. Er fragt sie nach ihrem Ehemann. Damit berührt er die eigentliche Wunde in ihrem Leben, eine Wunde, an der viele Menschen leiden, zu allen Zeiten, auch heute noch. Die Frau muss ihr Leben ordnen. Erst dann kann sie wieder zu Gott finden. Das ist heute nicht anders. Viele Menschen haben Gott verloren, weil ihr Leben nicht in Ordnung ist. Zentral ist dabei das eheliche Leben, das Wie der ehelichen Gemein- schaft oder allgemeiner: die Einstellung zur Geschlechtlichkeit. Durch die Zuchtlosigkeit und durch die Unzucht zerstören viele ihr Leben, heute mehr denn je. Das ist sicher.

In unserem Gespräch lenkt die Frau ab von dem, was ihr unangenehm ist, und legt ihrem Gesprächspartner eine alte Streitfrage vor, eine Streitfrage, die Juden und Samariter in da- maliger Zeit immer wieder entzweite. Auch darin sind sich die Menschen gleich geblieben in den Jahrhunderten: Wenn ihnen etwas unangenehm ist, dann lenken sie ab. Ja, selbst die Art und Weise, wie sie ablenken, ist die gleiche geblieben. Es geht der Samariterin nicht um die Streitfrage, sondern um die Überbrückung einer für sie peinlichen Situation.

Das Gespräch geht damit zu Ende, dass die Frau ins Dorf eilt, um es allen zu erzählen, was sie erlebt hat: Am Jakobsbrunnen, da steht der Messias, ich bin ihm begegnet. Das Wasser- holen interessiert sie nun nicht mehr. Sie lässt ihren Krug zurück. Sie hat den wahren Ja- kobsbrunnen gefunden, Jesus, der das lebendige Wasser schenkt.

Was die Samariterin in diesem wahrscheinlich nur kurzen Gespräch gelernt hat, ist das, dass das Wasser, das dem Leben der Seele dient, bedeutsamer ist als das, das den Leib nährt, dass das ewige Leben bei Gott den Vorrang hat, den Vorrang haben muss, vor dem Wohlergehen in diesem Leben. Das Wasser ist ein Sinnbild, ein Symbol für das Leben. Wie notwendig es ist für unser irdisches Leben, das erfährt man eindrucksvoll in der Wüste oder in Trockenzeiten. Davon konnten die Zeitgenossen Jesu ein Lied singen. Ohne Wasser ver- dorrt alles, stirbt alles ab, ist alles dem Tod geweiht. Ohne Wasser gibt es kein Leben. Die Oase, die Wasserstelle in der Wüste, ist für den Orientalen der Inbegriff des Lebendigen. In der Oase blüht alles, da gedeihen die Pflanzen, die Tiere und die Menschen. Die Oase ist ein Bild für das Paradies.

Wenn das Wasser für Jesus zum Sinnbild des ewigen Lebens wird, dann verstehen ihn sei- ne Zuhörer gut, wenn es zum Sinnbild wird für jene Güter, die uns das ewige Leben bei Gott schenken. Dabei spricht Jesus von dem lebendigen Wasser, von dem fließenden Wa- sser, von dem Quellwasser, das kostbarer ist als das Wasser der Zisternen, in denen sich das Regenwasser sammelt und nicht selten faul wird.

Das lebendige Wasser, das uns das ewige Leben schenkt, fließt im Wort Gottes und in den Sakramenten der Kirche, vor allem im Sakrament der Buße, das wir allzu sehr vernachlä- ssigen, und im Sakrament der Eucharistie, das wir allzu leichtfertig empfangen. Unsere Gleichgültigkeit gegenüber dem Bußsakrament ist zuweilen wie eine Herausforderung Got- tes, unsere Gedankenlosigkeit und unsere mangelhafte Vorbereitung beim Empfang der heiligen Kommunion wird immer wieder zu einer verhängnisvollen Missachtung der Liebe Gottes. Paulus schreibt den Korinthern, die es wohl ähnlich gemacht haben: „Wer unwür- dig diese Speise genießt, der isst und trinkt sich das Gericht“ (1 Kor 11, 29). „Gott ist wie ein verzehrendes Feuer“, heißt es einmal im Alten Testament (Dtn 4, 24). Dafür haben wir - ha- ben viele von uns - das Empfinden verloren. Wenn Gott uns heute wie ein „Kumpel“ ist, dann existiert er morgen nicht mehr für uns.

Jesus gibt uns das lebendige Wasser in der Verkündigung der Kirche und in ihren Sakra- menten, um uns darin das ewige Leben zu schenken, um dadurch das ewige Leben in uns zu nähren. Das ewige Leben bei Gott aber zählt für viele nicht mehr. Es genügt ihnen das irdische, das zeitliche. Über das irdische Leben hinaus, das vergänglich ist, erwarten sie nichts mehr. Es fehlt ihnen gar das Verständnis für das wahre Leben, weil ihr vergängliches Leben in Unordnung ist, weil es von der Sünde bestimmt wird. Wenn sie den Hunger und den Durst nach dem irdischen Leben löschen können, wenn sie zu essen und zu trinken ha- ben und wenn sie ihr Vergnügen haben, dann wollen sie nicht mehr. So sagen sie jeden- falls, und so leben sie auch. Dabei müssen sie freilich die Augen vor der Wirklichkeit ver- schließen, denn sie erfahren es ja täglich, wie uns das zeitliche Leben mit seinen Verspre- chungen immer wieder enttäuscht, wie es uns immer mehr entgleitet, wie es uns gleich- sam zwischen den Fingern zerrinnt. Dennoch bleiben sie vielfach dabei, dass sie nur das zeitliche Leben suchen, weil sie ihr Denken und Wünschen aus der Einheitsküche der öf- fentlichen Meinung beziehen: So machen es alle, so ist es richtig! Sie begnügen sich mit jenem Wasser, das allein das vergängliche Leben nährt, das aber immer wieder neuen Durst hervorruft, das vordergründig ist, eine Fata Morgana. Damit begnügen sie sich, weil sie zu stolz sind, um von Gott und der Ewigkeit etwas zu erwarten, weil sie zu stolz sind, um sich von Gott sagen zu lassen, wie sie leben sollen, und weil sie es ablehnen, sich von Gottes Gesetz bestimmen zu lassen in ihrem Tun. Dabei meinen sie, sie bestimmten ihr Leben selber, sie seien selbständig, in Wirklichkeit unterwerfen sie sich jedoch der Macht der Mode, dem Druck des „man“.

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Das Evangelium des heutigen Sonntags erinnert uns daran, dass das ewige Leben bei Gott wichtiger ist als das vergängliche, dass das ewige Leben den Vorrang hat, dass es den Vor- rang haben muss vor dem zeitlichen. Es wird uns zuteil, wenn wir uns um das lebendige Wasser bemühen, um das Wort Gottes und um die Gnade Gottes, wenn wir uns um das le- bendige Wasser bemühen, wie es uns durch die Kirche vermittelt wird. Dieses Wasser kann jedoch das ewige Leben nur dann in uns nähren, wenn wir es erst einmal empfangen ha- ben in der Gestalt der heiligmachenden Gnade und wenn wir es schätzen und wenn wir es nicht gedankenlos oder gewissenlos preisgeben.

Wenn das ewige Leben bei Gott heute für viele nicht mehr zählt, so liegt das daran, dass sie ein ungeordnetes Leben führen, dass sie sich einem unchristlichen Zeitgeist verschrei- ben und dass sie einfach tun, was ihnen im Augenblick gefällt, was auch die anderen, was sie alle machen. Aber - sie täuschen sich. Wir alle müssen einmal vor dem Richterstuhl Gottes erscheinen, ein jeder von uns, wir alle, ohne Ausnahme. Amen.

 

PREDIGT ZUM 2. FASTENSONNTAG, GEHALTEN IN FREIBURG, ST. MARTIN,
AM 17. FEBRUAR 2008

„STEHT AUF, FÜRCHTET EUCH NICHT“

Glückliche Stunden, Stunden, in denen sich das Dunkel des Alltags lichtet, in denen wir gewissermaßen einen Blick in den Himmel tun dürfen, nennen wir auch Taborstunden. Sie können uns Trost schenken und Kraft im Leiden, wenn Schweres uns abverlangt wird oder wenn die Last unserer Verantwortung uns quält oder wenn schwere Niederlagen und Ent- täuschungen uns heimsuchen.

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Der Ausdruck „Taborstunden“ leitet sich her von der Verklärung Jesu, von der das Evan- gelium heute berichtet. Dieses bedeutsame Ereignis, in dem für einen Augenblick die himmlische Welt in das Leben des irdischen Jesus einbricht, ist für die beteiligten Jünger und damit auch für uns mit dem Schleier des Geheimnisvollen umgeben. Es erscheinen die zwei größten Propheten des Alten Testamentes, Mose und Elia, in denen man von altersher die Wegbereiter des Messias sah (vgl. auch Apk 11, 6). Und Jesus erstrahlt in jenem Glanz, in dem er seit seiner Auferstehung für immer erstrahlen wird, in der Gestalt, die er als der verherrlichte Menschensohn haben wird, und in der auch die Jünger und wir alle einst erstrahlen sollen (1 Kor 15, 43; 2 Kor 5, 4). Zugegen sind die drei vertrautesten Jünger, jene, die später auch bei der Auferweckung der Tochter des Jairus und dann in Gethsemani anwesend sein sollten. Ehe sie sich besinnen, ist das Geschehen schon wieder vorüber. „Als sie ihre Augen erhoben”, heißt es im Evangelium, „sahen sie niemand als Jesus allein“, das heißt: Sie sahen Jesus wieder in seiner Menschengestalt, wie sie es gewohnt waren, ihn zu sehen. Seit dem 4. Jahrhundert erst verbindet man die Verklärung Jesu mit dem 560 Meter hohen Berg Tabor in Galiläa in der Ebene von Jezreel, 10 Kilometer östlich von Nazareth. Die Evangelisten erwähnen diesen Ort nicht, ihnen war er gleichgültig. Auf die Sache kam es ihnen an.

Der Meister hatte den drei Jüngern dieses Erlebnis geschenkt, um sie für die schweren Stunden seiner Passion zu rüsten. Wir wissen, dass es nicht ausreichte. Denn als die Öl- bergnacht kam, versagten sie, so sehr, dass einer von ihnen am Tag darauf den gar ver- leugnete, den er kurz zuvor als den Verklärten gesehen hatte: „Ich kenne diesen Men- schen nicht“ (Mt 26, 72). Anders war das, nachdem sich das Tabor-Erlebnis in den Begeg- nungen mit dem Auferstandenen wiederholt hatte. Da erinnerten sie sich an jene Vorweg- nahme seiner Auferstehung, da erinnerten sie sich aber auch an viele andere Taborstun- den, die sie in dem dreijährigen Zusammensein mit ihrem Meister erlebt hatten, und sie waren gefestigt für den Rest ihres Lebens, so dass sie die schweren Jahre der Nachfolge des Gekreuzigten als Missionare freudig meistern konnten. Tapfer verkündeten sie ihn nun als den gottgesandten Messias, als den Sohn des ewigen Gottes und den Erlöser der Welt, der einst wiederkommen werde in jener Herrlichkeit, in der sie ihn geschaut hatten. Das taten sie ungeachtet der vielen Drangsale, die sie dabei begleiteten. Das Fundament der Kirche ist das Blut der Märtyrer.

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Auch uns schenkt Gott zuweilen die Gnade einer Taborstunde, im Gebet, in einem Gottes- dienst, im Empfang eines Sakramentes, in der Begegnung mit einem guten Menschen, im Erlebnis eines großen Erfolges oder in der Schönheit der Schöpfung. Das ist nicht der Alltag. Aber er  soll dadurch verklärt werden, der Alltag, und wir sollen dadurch gefestigt werden in der Entscheidung für Gott und in der Nachfolge des Gekreuzigten in der Kirche. Der Glanz solcher Taborstunden muss über unserem Leben bleiben, damit wir heute in der vielfach gequälten und geschundenen Kirche - man hat  treffend von dem verwüsteten Weinberg der Kirche gesprochen (Ida Friederike Görres) - , damit wir heute in der vielfach gequälten und geschundenen Kirche das Licht und die Herrlichkeit Christi entdecken kön- nen. Heute, da sich die Kirche weithin als zerstritten und dem Zeitgeist verfallen präsen- tiert, allzu weit entfernt von dem Geist der Kirche der Märtyrer, da sie entstellt ist wie nie zuvor, da sie ihrem Herrn auf dem Kreuzweg gleicht bis zur Unkenntlichkeit, verfolgt von außen und verraten von innen, da ist es bedeutsam, dass wir uns den Blick bewahren für ihren verborgenen Glanz, für ihren verborgenen Glanz, der immer wieder einmal durch- bricht.

Vor einigen Jahrzehnten starb in Frankreich ein junges Mädchen, eine begabte Künstlerin, im Alter von 21 Jahren im Ruf der Heiligkeit, Claire de Castelbajac (+ 1975). Mitten im Le- ben hat sie die Nachfolge Christi gelebt, im Dunkel des Alltags, in den Prüfungen des Glau- bens, in der Krise der Kirche und des Christentums - sie hatte einen wachen Blick dafür und sie litt darunter, mehr noch als unter ihrer tödlichen Krankheit -, war sie geprägt von der Freude, weil die Taborstunden des Glaubens ihr Leben bestimmten.

Die Taborstunden des Glaubens, sie müssen auch unser Leben bestimmen, wir dürfen sie nicht vergessen, damit die Freude immer den Vorrang hat in unserem Leben.

Bei einem Kirchenvater las ich einmal, man solle im Leid immer an die Freude denken, die einem zuteil geworden sei, und in der Freude solle man die Leiden nicht vergessen, die man erlitten habe, damit man in der Freude nicht übermütig werde und im Leid nicht verzweifle.

In der Nachfolge Christi, die nicht möglich ist ohne das Leid, ja, wir müssen es gar suchen, das Leid, im Fasten, das heißt: im Verzicht, in der Entsagung und in der Selbstverleugnung, denn die Nachfolge meint  die Verähnlichung mit Christus, in der Nachfolge Christi müssen wir uns die Freude bewahren im Blick auf die verborgene Herrlichkeit Gottes, an der wir einmal Anteil erhalten sollen. Wenn wir in rechter Weise mit Christus leiden, sind wir im- merfort von der siegesgewissen Überzeugung bestimmt, dass am Ende die Auferstehung steht, für die wir Zeugnis geben durch unser Leben. Im Hebräerbrief heißt es: „Lasst uns außerhalb des Lagers gehen, um seine Schmach mit ihm zu teilen, denn wir haben hier keine bleibende Stätte und suchen die künftige“ (Hebr 13, 13). Da werden die Leiden dieser Zeit relativiert. Die innere Gemeinschaft mit Christus in seinem Leiden sowie mit allen Leidenden, sie ist ein tiefer Ausdruck der Liebe. Wahre Liebe kann nicht nur in Worten bestehen, sie muss auch Taten hervorbringen. Das gilt im Hinblick auf die Menschen wie auch im Hinblick auf Gott. Und stets reift die Liebe im Leiden, bleibt sie unreif ohne das bewusst angenommene Leiden.

Es gilt, dass wir leben aus der Kraft der Taborstunden, die Gott keinem von uns vorenthält, wenn wir uns nicht davor verschließen.

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Der Bericht unseres Evangeliums über das Taborgeschehen endet mit der Aufforderung Je- su an seine drei Jünger, damit aber auch an uns: „Steht auf, fürchtet euch nicht!“ Diese Aufforderung begegnet uns sehr häufig im Alten wie auch im Neuen Testament. Sie er- innert uns daran, dass wir niemals einen Grund haben, uns zu fürchten, wenn Gott mit uns ist. Er aber ist mit uns, wenn wir mit ihm sind. Diese Erkenntnis und die daraus hervorge- hende Haltung haben die Jünger Jesu sich mehr und mehr zu Eigen gemacht in ihrem Zu- sammensein mit dem Meister, in vielen Taborstunden, endgültig nach dessen Auferste- hung. Was ihnen so immer mehr zur Gewissheit geworden war, dazu standen sie, beflü- gelt durch die Erinnerung und durch die Hoffnung, die sie verbürgte. In seiner Verklärung hat der Verklärte uns die Herrlichkeit offenbart, die uns zuteil wird, wenn wir das göttliche Leben der Taufe bis zum Ende bewahren. Zwar werden wir einmal  sterben müssen, wie auch Christus gestorben ist, aber wenn wir ihm treu sind, sterben wir mit ihm in den Oster- morgen der vollendeten Herrlichkeit hinein. Amen.

 

PREDIGT ZUM 4. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 3. FEBRUAR 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN,

„SELIG DIE REINEN HERZENS SIND … SELIG DIE FRIEDENSSTIFTER“

Das Evangelium des heutigen Sonntags bildet den Anfang der Bergpredigt. Diese enthält das Gesetz des neuen Gottesvolkes. Wie einst Israel die zehn Gebote, das alte Gesetz, auf dem Berg Sinai erhalten hatte, so erhält die Kirche, das neue Gottesvolk, ihr Gesetz wie- derum auf einem Berg. Auf welchem, das wird uns allerdings nicht gesagt. Mit dem neuen Gesetz hat das alte nicht seine Gültigkeit verloren, aber es wird vertieft, vervollkommnet und weitergeführt im neuen Gesetz. Die Bergpredigt, die sich im Matthäus-Evangelium über drei Kapitel erstreckt, beginnt mit den acht Seligkeiten. Über zwei von ihnen wollen wir heute morgen ein wenig nachdenken, über die sechste der Seligkeiten und über die siebente.

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In der sechsten Seligkeit werden die selig gepriesen, die reinen Herzens sind. Bei der Her- zensreinheit denken wir zunächst an die geschlechtliche Reinheit. Wir haben uns daran gewöhnt, die Keuschheit als Reinheit zu verstehen, obwohl doch eigentlich jede Sünde uns verunreinigt und eine Befleckung der Seele zur Folge hat. Allein, aus der geschlechtlichen Unbeherrschtheit und der sexuellen Freizügigkeit gehen viele Sünden hervor. Es ist be- zeichnend, wenn die Sünden gegen die Reinheit in diesem Verständnis heute kaum noch vorkommen im Katalog der Sünden, wenn nicht gar kategorisch erklärt wird, sie seien kei- ne Sünden mehr, als ob etwas, was früher Sünde gewesen ist, es heute nicht mehr sein könnte. Faktisch ist die ungezügelte Sinnenlust heute weithin der Kern unserer Gottesfer- ne.

Der Missbrauch des Geschlechtstriebs in seinen zahlreichen Formen, die Unreinheit im Denken, in den Blicken, in Worten und Taten, ist so etwas wie eine Wurzelsünde. Sie fi- xiert den Blick auf diese materielle Welt und blendet unseren Geist. Daran erinnert uns schon der heilige Thomas von Aquin vor mehr als 700 Jahren. Sie zerstört die Sehnsucht nach Höherem, sie macht den Menschen ruhelos,  und oftmals endet sie gar in der Ver- zweiflung. 

Der Sexualtrieb ist die größte Herausforderung für den Menschen und das eigentliche Exer- zierfeld seiner ethischen Verantwortung. In der bösen Begierde, in der Konkupiszenz, ma- nifestiert sich in besonderer Weise die Unordnung, die durch die Ursünde in die Welt ge- kommen ist. Martin Luther (+ 1546) meint, sie sei die Ursünde selbst. Um zu erkennen, dass es hier um die Würde des Menschen geht und dass die sexuelle Zügellosigkeit ganze Völ- ker und Zivilisationen zugrunde richtet, dazu braucht man eigentlich nicht einmal ein Christ zu sein. Unter diesem Aspekt ist die Gewissenlosigkeit oder zuweilen auch die Ahnungslo- sigkeit der Verantwortlichen der Massenmedien ein einziger Skandal.

Wenn Jesus von der Herzensreinheit spricht, denkt er allerdings nicht primär an die ge- schlechtliche Reinheit, sondern - umfassender - an die Wahrhaftigkeit oder an die Ehrlich- keit, die ihrerseits das Fundament einer jeden Tugend ist, auch der Tugend der Keusch- heit. Damit gräbt er gleichsam noch tiefer. Dass dem so ist, das erfahren wir in seinen Aus- einandersetzungen mit den Pharisäern, die programmatisch sind für ihn. Den Pharisäern ging es um die äußere, um die kultische Reinheit, nicht um die innere Reinheit. Aber auch sonst richteten sie den Blick nur auf die äußere Verfehlung. Sie begnügten sich mit dem äußeren Gutsein und missachteten die Gesinnung. Deshalb nennt Jesus sie übertünchte Gräber und Heuchler (Mt 23, 27).

Die Unwahrhaftigkeit, die Lüge, die Unehrlichkeit liegt einer jeden Sünde voraus. Auch der Hass und die Lieblosigkeit, ja selbst der Stolz und der Hochmut haben ihr tiefstes Funda- ment in der Unwahrhaftigkeit, in der wir uns selbst und den Menschen etwas vormachen, ja, in der wir versuchen, selbst Gott noch zu täuschen.

In der Bedeutung von Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, Geradheit und Aufrichtigkeit begeg- net uns die Herzensreinheit schon im Alten Testament. In Psalm 24 sind die reinen Her- zens, die nicht an Falschheit denken und die nicht betrügerisch schwören (Ps 24, 3 f, vgl. auch Ps 73, 1 und Hiob 33, 2 f). Gott ist im Alten Testament für Israel in erster Linie der Wahrhaftige und Treue. Und im Neuen Testament bezeichnet sich Christus nicht nur als den Weg und das Leben, sondern auch als die Wahrheit (Joh 14, 6). Mit der Lüge begann die Ursünde, und damit nahm das Elend der Menschheit seinen Anfang. Der Kernsatz des Johannes-Evangeliums lautet: „Die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8, 32). Frei ma- chen wird sie uns für den Kampf gegen die Sünde und für das Tun des Guten.

In der siebenten Seligpreisung werden die Friedensstifter selig gesprochen. Mit ihnen sind nicht nur die Friedfertigen  und die zum Nachgeben, zum Dulden und zum Verzeihen be- reiten Menschen gemeint, sondern auch und vor allem die, die die zwischen den Men- schen vorhandenen Gegensätze ausgleichen, die den Frieden schaffen, ihn hervorbringen, in einer friedlosen Welt und damit das gigantische Potential der Leiden der Menschheit verringern. Zahllose Kriege bestimmen unsere Welt, im Großen wie im Kleinen. Seit den Urtagen der Menschheit gipfelt die Sehnsucht der Menschen im Frieden. Schon im Alten Testament offenbart sich Gott als ein Gott des Friedens, im alten Israel erwartete man den Messias als den, der einen nie endenden Frieden auf die Erde bringen werde, und man begrüßte sich, wie es auch heute noch geschieht bei den frommen Juden, mit dem Frie- denswunsch „Schalom“. Jerusalem bedeutet soviel wie „Stätte des Friedens“ oder „Stadt des Friedens“, obwohl keine Stadt der Welt eine so blutige Kriegsgeschichte hat wie diese.

Der Friede besteht in der geordneten Eintracht (Augustinus, De civitate Dei, 19, 13). Er hat die Gerechtigkeit und die Liebe zur Voraussetzung (Thomas von Aquin, Summa contra gen- tiles III, 128), letztlich die Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, die Aufrichtigkeit und die Wesens- echtheit. Wer ihn stiften will, darf nicht kleinmütig schweigen zu allem. Er muss aktiv in das Geschehen seiner Umwelt eingreifen. Er darf den Kampf nicht scheuen. Hier geht es natür- lich um einen geistigen Kampf. Und er darf sich nicht schonen. Selbstlos muss er kämpfen gegen die Lüge und die Ungerechtigkeit. Und tapfer muss er sein, sonst wagt er sich nicht in den Kampf hinein. Dabei muss er jedoch geprägt sein von überlegener Güte und von in- nerer Gelassenheit und von dem Vertrauen auf Gott, der letztlich der Herr des Friedens ist. Vom Frieden reden viele, aber nur wenige setzen sich wirklich ein für ihn.

Der Kern der Friedlosigkeit ist im Verständnis Jesu die Entzweiung des Menschen mit Gott. Daher beginnt für ihn der Friede da, wo sich der Mensch Gott zuwendet, wo er sich mit Gott versöhnt. Die alttestamentlichen Propheten sprechen von den versteinerten Herzen (Ez 11, 19) und charakterisieren damit unsere friedlose Welt. Den ersten Schritt zur Seligpreisung der Friedensstifter tun wir daher, wenn wir unser Leben in Gott verankern, wenn wir unser Christentum ganz ernst nehmen und wenn wir uns tapfer einsetzen für das Evangelium und für die heilige Kirche, die Kirche Gottes.

*

Auf die Ehrlichkeit kommt es an, auf die innere Geradheit und die Aufrichtigkeit, auf die Liebe zur Wahrheit. Sie ist die eigentliche Basis für alle Tugenden, für die Ordnung im in- dividuellen Leben wie auch in der Gesellschaft. Alle Verfehlungen und Sünden gehen her- vor aus der Unehrlichkeit, aus der Lüge und aus der Verfälschung der Wirklichkeit. Die Se- ligpreisungen der Bergpredigt, das gilt im Grunde für alle, fordern uns auf, Menschen ohne Trug und Falsch zu sein, in letzter Wahrhaftigkeit zu leben und weder uns selbst noch den Mitmenschen noch Gott etwas vorzumachen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 3. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 27. JANUAR 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„KEHRT UM, DENN DAS HIMMELREICH IST NAHE“

Nach seiner Taufe im Jordan beginnt Jesus seine öffentliche Tätigkeit. Das geschieht nicht in Jerusalem, sondern in der Provinz, und dazu noch im halbheidnischen Galiläa. Das ist überraschend. Aber Gott liebt es, an unbeachteten Orten zu wirken, er liebt es, durch das Unerwartete unsere Pläne zu durchkreuzen, unbedeutende Menschen zu Propheten zu ma- chen und die zu erwählen und groß zu machen, die vor der Welt nichts gelten. Er liebt es, durch das Schwache seine Stärke zu bekunden, die Demütigen zu erhöhen und die Stol- zen zu erniedrigen. Immer wieder geschieht es, dass Gott uns gerade da begegnet, wo wir es nicht vermuten, und dass seine Heimsuchung uns da trifft, wo wir uns sicher wähnen, dass er das Kleine groß und das Große klein macht, um uns demütig zu machen und um uns zu beschämen.

Sogleich am Beginn seiner öffentlichen Tätigkeit gibt Jesus die beiden Themen an, um die es ihm, dem Messias, geht, in erster Linie, die beiden Themen, die gewissermaßen nur ein einziges Thema bilden und den Grundakkord seines messianischen Wirkens darstellen: Kehret um - das ist das eine Thema -, das Himmelreich ist nahe - das ist das andere. Der Kern der Verkündigung Jesu ist die Forderung, dass wir umkehren, und - damit verbunden - die Feststellung dass das Himmelreich nahe, dass es mit seinem Kommen in gewisser Weise schon da ist. Von daher ist auch der Kirche das Thema vorgegeben, das im Mittel- punkt ihrer Verkündigung stehen muss. Sie darf nicht anders sprechen als der, dem sie ihre Existenz verdankt, obwohl sie dies Tendenz als Versuchung - das muss man sehen - in den 2000 Jahren ihrer Geschichte begleitet, mehr oder weniger. Vielleicht heute mehr denn je.

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Die Bekehrung und das Himmelreich oder die Gottesherrschaft, sie bestimmen nicht nur das Reden Jesu, sondern auch sein Wirken. Auch seine Wunder stehen im Dienst dieser Thematik, im Dienste unserer Bekehrung und im Dienste des Kommens der Gottesherr- schaft oder des Himmelreiches.

Die Bekehrung, die Jesus meint, bedeutet die Relativierung dieser vergänglichen Welt im Blick auf die unvergängliche Ewigkeit, die Abkehr, die Abwendung, von der Welt, die Ab- kehr von den Gütern dieser Welt, von den Menschen und von dem eigenen Ich und die Hin- kehr zu Gott und zur Ewigkeit, die entschlossene Hinwendung zu jener anderen Welt, zu der Gott uns gerufen hat. Die Bekehrung, um die es hier geht, sie meint ein Umdenken, eine tiefe Veränderung der Gesinnung, eine Verwandlung des Herzens. Daraus folgt, dass wir neue Maßstäbe bekommen für unser Denken, für unser Reden und für unser Handeln, dass wir nicht mehr nach Menschenart urteilen, sondern nach Gottes Art, dass wir an die Stelle des Menschenmaßes das Gottesmaß setzen, dass wir uns distanzieren von den Wer- ten der Ungläubigen oder Halbgläubigen, dass wir nicht mehr das gut heißen, was alle gut heißen, dass wir nicht mehr so leben, wie sie es alle tun.

Wenn man die Bekehrung so versteht, ist sie eine anspruchsvolle Sache. Aber wenn wir uns darum bemühen, dann ist Gottes Gnade mit uns. Heute ist die Bekehrung in diesem Verständnis sicherlich schwieriger als früher, aber um so notwendiger, da unsere Welt sich immer weniger an Gott und an der Ewigkeit orientiert und in wachsendem Maße von der Nützlichkeit bestimmt ist, von einer Nützlichkeit, die man in einem ganz vordergründigen Sinn versteht, was letztlich darauf hinausläuft, dass jeder das denkt und redet und tut, was ihm gefällt. Das führt dazu, dass man das klein nennt, was groß ist, und das, was groß ist, klein nennt, dass man die Lüge Wahrheit, den Untergang Aufstieg und das Schlechte gut nennt.

Dass wir uns an Gott und an der Ewigkeit orientieren, das ist der Kern der Botschaft Jesu, das ist das Gebot der Stunde. Diese Orientierung an der Ewigkeit aber ist die Bedingung für die Vollendung unserer Erlösung. Darum geht es in erster Linie in der Botschaft der Kirche.

Man sagt heute oft: Die Kirche hat sich zur Welt bekehrt. Das sagt man nicht tadelnd, sondern anerkennend, und fügt dann nicht selten hinzu, sie habe damit bewiesen, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt habe. Das eine ist so fragwürdig wie das andere. Bekehrung zur Welt, das kann nicht der Auftrag der Kirche sein. Der Auftrag der Kirche, unser aller Auftrag besteht immer neu darin, dass wir uns zu Gott bekehren, dass wir uns hinwenden zur Ewigkeit, die uns geschenkt werden soll, dass wir das Bleibende suchen in der Ver- gänglichkeit dieser Welt. Darum sagt Jesus an zentraler Stelle: „Suchet zuerst das Reich Gott Gottes, dann wird euch alles andere hinzugegeben werden“ (Mt 6, 33; vgl. Lk 12, 31).

Dagegen steht unsere Abwendung von Gott. Ein besonderer Ausdruck dieser unserer Ab- wendung von Gott, unserer falschen Bekehrung zur Welt, ist die Verherrlichung des Men- schen, die an die Stelle der Verherrlichung Gottes tritt, nicht nur in der Welt, vielfach auch in der Kirche, die Verherrlichung des Menschen, wie sie sich in einem wachsenden Perso- nenkult und in einem wachsenden Kult des eigenen Ich zeigt. Ein Spiegel dieser unserer Abwendung von Gott ist aber auch unsere Genusssucht, unsere Opferscheu, unsere Rück- sichtslosigkeit, unsere Ehrfurchtslosigkeit und vor allem unsere religiöse Gleichgültigkeit.

Der zweite Gedanke in der Verkündigung und im Wirken Jesu ist jener, dass das Himmel- reich nahe ist. Damit erhält unsere Bekehrung ihre eigentliche Begründung. Wir müssen uns bekehren, weil das Himmelreich nahe ist und weil es uns zuteil werden soll. Weil Gott vor der Tür steht, deshalb müssen wir umdenken und anders reden und handeln. Tun wir das nicht, klopft er vergeblich an. Das aber ist verhängnisvoll für uns. Wie nahe die Ewig- keit ist, das erfahren wir immer wieder, wenn unverhofft der Tod in unser Leben eintritt.

Das Himmelreich ist nahe, das heißt: Bald wird Gott aus der Verborgenheit hervortreten, und es wird das Ende oder besser die Vollendung kommen. „Haltet euch bereit“, sagt Je- sus im Anschluss an das Gleichnis von dem Dieb, der in der Nacht kommt, und im An- schluss an das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen (Mt 24,44; 25,13). Wenn wir uns bereithalten, brauchen wir das Kommen Gottes nicht zu fürchten, dann wer- den wir ihm vielmehr freudig entgegengehen, wenngleich diese Freude im Allgemeinen eine verhaltene Freude ist, weil es zu unserer Natur gehört, dass wir auch an dieser Welt hängen.

Nicht nur um der Ewigkeit willen sollen wir umkehren, anderes denken, reden und han- deln, sondern auch deshalb, weil unsere Welt dann heller wird, wenn wir uns an Gott und an der Ewigkeit orientieren, weil dann die Wahrheit und die Gerechtigkeit in ihr zur Herr- schaft kommen und die Liebe und der Friede in sie einziehen werden, weil dann die Erde und das Leben der Menschen auf ihr ein wenig zum Abbild der kommenden Welt werden.

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Jesus beginnt sein öffentliches Wirken mit dem Ruf „bekehret euch“. Die Bekehrung ist die Voraussetzung für das Himmelreich, in dem unsere Erlösung ihre Vollendung finden soll. Immer wieder muss sie stattfinden, diese Bekehrung, da wir wankelmütig sind und so oft wieder rückfällig werden.

Das Himmelreich ist nahe. Die Zeit ist kurz. Bald wird Gott aus der Verborgenheit hervor- treten. Schon in dieser Welt beginnt das Himmelreich, die Gottesherrschaft, da, wo wir uns ganz auf die Ewigkeit einstellen.

Die Bekehrung ist nicht schwer, und das Himmelreich, wir können es gewinnen, und es wirft schon seine Schatten voraus in dieser Welt, wenn wir uns bemühen, denn immer ist es so, dass Gottes Gnade uns zuvorkommt, vorausgesetzt, dass wir guten Willens sind. Amen.

 

PREDIGT ZUM 2. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 20. JANUAR 2008
 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„SEHT DAS LAMM GOTTES, DAS HINWEGNIMMT
DIE SÜNDE DER WELT“

Johannes der Täufer bezeugt Jesus als den Messias, wenn er ihn als das Lamm Gottes be- zeichnet und ihm seine Jünger zuführt, und der Messias bezeichnet ihn enthusiastisch als den Größten aller Menschen. Das Zeugnis des Täufers bestand nicht nur in Worten. Er be- kräftigte seine Worte durch sein Leben, in eindrucks-voller Weise. Darum konnte man ihm den Glauben nicht verweigern. Bevor er re-dete, handelte er. Sein Leben gehörte in letzter Konsequenz dem „Gott der Väter“, ohne den geringsten Vorbehalt. Schwere Opfer hatte er sich auferlegt, Werke des Verzichtes und der Selbstkasteiung, um ganz frei zu sein für sei- ne Berufung. Das Zeugnis des Johannes erinnert uns an das Zeugnis, das wir alle abzu- le- gen berufen sind. Dieses Zeugnis ist ein bedeutendes Element unserer christlichen Beru- fung.

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Jesus selber hat sich wiederholt als Zeuge bezeichnet, und die Jünger haben nach Ostern von ihm als dem treuen Zeugen Gottes gesprochen. Ihnen, seinen Jüngern, hat er vor sei- ner Himmelfahrt den Auftrag gegeben, seine Zeugen zu sein bis an die Grenzen der Erde. Wie er Zeugnis abgelegt hatte von seinem Vater im Himmel, so sollten die Jünger nun Zeugnis ablegen von ihm. Gott braucht Zeugen in dieser Welt, weil wir ihn nicht sehen kön- nen, weil seine Worte sich auf unsichtbare Dinge beziehen. Das, was wir nicht sehen kön- nen, das, wozu wir keinen unmittelbaren Zugang haben, das muss bezeugt werden. Daher gibt es den christlichen Glauben nur durch das Zeugnis. Und daher muss der, der zu ihm gekommen ist, dem dieser Glaube geschenkt worden ist, ihn auch bezeugen für die ande- ren.

Im Grunde ist es so: Jede Überzeugung bedarf des Zeugnisses, und jede Überzeugung muss bezeugt werden, das gilt dann erst recht für eine Überzeugung, die auf dem Zeugnis Gottes beruht, genau das meint unsere christliche Glaubensüberzeugung.

Das Zeugnis für Gott und für Christus aber kann unangenehme Folgen für uns haben, denn viele wehren sich dagegen. Die Wahrheit Gottes ist nicht sehr beliebt bei den Menschen, tragischer Weise. Das gilt überhaupt für die Wahrheit. Johannes dem Täufer bringt sein Zeugnis Kerker und Tod. Bei Jesus ist es nicht anders. Auch sein Zeugnis führt zu einem schrecklichen Ende. Nicht anders war das bei seinen Jüngern und vor allem bei deren Kerngruppe, bei den Aposteln. Und so ist es oft gewesen, und so wird es sein bis zum Ende der Welt.

Das Zeugnis von Gott und seinen Worten und Taten kann in der Welt unangenehm werden, und es wird umso unangenehmer, je klarer und kompromissloser es sich darstellt. Es kann uns körperliche und seelische Leiden bereiten, Verkennung, Verachtung und großes Leid, bis hin zu Verfolgung und Tod.

Das griechische Wort für „Zeugnis“ lautet „μαρτυρία“, „bezeugen“ heißt „μαρτυρείv“ im Griechischen, und der Zeuge ist in der griechischen Sprache der „μαρτύς“. Davon ist unser deutsches Wort „Märtyrer“ abgeleitet.

Das Zeugnis für Gott und für Christus ist also eine gefahrvolle Sache, unter Um-ständen. Al- lein, gäbe es mehr Zeugen in der Kirche, die Kirche wäre stärker, sie könnte besser über- zeugen als sie es heute kann. Wenn sie heute sichtlich schrumpft, so geschieht das des- halb, weil es in ihr an Zeugen fehlt. Allein in der Diözese Hildesheim - so ging es gestern durch die Presse - sollen in nächster Zukunft an die 400 Kirchen entsorgt werden angesichts des Massenabfalls. Die Kirche schrumpft, weil es ihr an Zeugen fehlt. Sie hat viele - so könnte man sagen - Bürokraten, aber nur wenige Zeugen. Und die Zeugen, die sie hat, wä- ren sie so glaubwürdig wie der Täufer, es würde anders aussehen in Kirche und Welt. Und die Kirche, das kommt noch hinzu, sie hat viele „Zeugen“, die mit den Widersachern Got- tes kooperieren, die sich mit ihnen verbünden und sich somit als falsche Zeugen auswei- sen. Wahrscheinlich geschieht das mehr aus Dummheit denn aus Bosheit. Aber immerhin, es geschieht.

Wir sind Zeugen Gottes und Zeugen Christi und seiner Kirche, wenn wir unsere Überzeu- gung nicht verbergen  und wenn wir ihr entsprechend leben.

Aber was ist nun der Inhalt unseres Zeugnisses? Johannes der Täufer bezeugt Jesus als das Lamm Gottes. Damit spielt er an auf dessen Tod am Kreuz, damit sagt er: Dieser ist der Me- ssias, er ist der Sohn Gottes, der Erlöser, er hat uns ein neues Leben geschenkt, er hat die Ursprungsgerechtigkeit wieder hergestellt, ihm müssen alle folgen, auf ihn müssen alle hö- ren, daher führt er - konsequenter Weise - seine Jünger zu Christus. Darum geht es auch in unserem Zeugnis: Wie Johannes müssen wir die Menschen zu Christus führen, zu seinem Wort und zu seiner Weisung. Nur so gehört uns die Frucht seiner Erlösung, bleibend. Er muss der Herr in unserem Leben und im Leben aller Menschen sein.

Allein, wir können nicht von Christus reden, ohne auch von seiner Kirche zu reden. Zeugnis für Christus ablegen heißt auch Zeugnis ablegen für seine Kirche.

Die Kirche ist nämlich der fortlebende Christus. Sie sagt uns, was Christus meint. Sie ist heute der Mund des unsichtbaren Christus. In ihr lebt die Wahrheit Christi fort, ob wir das wahr haben wollen oder nicht, sie ist der Hort der Botschaft Gottes an die Menschheit. In ihr ist aber nicht nur alle Wahrheit Gottes, in ihr ist auch alle Gnade Gottes. Alle anderen christlichen Gemeinschaften können daran nur partizipieren, sie können nur Anteil daran haben, an der Wahrheit und an der Gnade, mehr oder weniger.  Das sagt ausdrücklich auch das Zweite Vatikanische Konzil (Lumen gentium, Art. 8). Das bezeugt der Glaube der Kirche in allen Jahrhunderten.

Nun ist es so, dass viele, die in der Kirche sind, nicht nur ihrer Verpflichtung zum Zeugnis, zum Zeugnis durch das Wort und durch das Leben, nicht nachkommen, sondern dass sie gar zu Zeugen des Irrtums und der Lüge werden. Und dadurch stürzen sie viele in die Ver- wirrung, in die Unordnung und in die Gottesferne.

Immer ist es so, dass die Lüge attraktiver ist als die Wahrheit. Sie ist nicht so anstrengend wie diese. Stets schmeichelt sie unserer Bequemlichkeit und unserer Trägheit.

Zeugnis ablegen für Christus und seine Kirche, das bedeutet heute vor allem: Zeugnis able- gen für die Vorrangigkeit des Gebetes, für die Überwindung der Lauheit und Gleich- gültigkeit, der Anpassung an den Zeitgeist und der Verantwortungslosigkeit.

Johannes der Täufer bezeugt Christus als das Lamm Gottes. Auch darin müssen wir es ihm gleich tun. Das bedeutet, dass wir ihn nicht nur als den Herrn der Welt bezeugen, sondern auch als den Erlöser, als den am Kreuz Gestorbenen. Das erin-nert uns daran, dass Leid und Schmerzen zu unserem Leben dazugehören, dass sie uns und der Welt zum Heil ge- reichen, wenn wir sie in der rechten Gesinnung tragen. Das erinnert uns daran, dass es für uns nur einen Weg zu Gott gibt, zur Vollendung, zur vollkommenen und vollendeten Freude, das aber ist der Weg des Kreuzes in der Nachfolge des Gekreuzigten.

Das Streben nach vordergründigem Genuss, das für allzu viele von uns be-stimmend ist, führt uns in die Gottesferne und damit ins Verderben. Daran ist besonders in diesen Tagen der allgemeinen Ausgelassenheit zu erinnern.

*

Gott braucht Zeugen, weil wir ihn mit unseren Augen nicht sehen und ihn mit unseren Oh- ren nicht hören können. Eine Wirklichkeit, die wir mit unseres Sin-nesorganen nicht errei- chen können, sie muss bezeugt werden muss. Dabei bedarf das Zeugnis des Wortes und der Bekräftigung durch das Leben. Dem können wir nicht nachkommen ohne eine gewisse Härte gegen uns selbst. Das lehrt uns das Zeugnis des Täufers. Es verlangt aber auch Mut und Konsequenz, das Zeugnis für Gott, für Christus und für seine Kirche. Der Gegenstand unseres Zeugnisses ist Christus, der Sohn des ewigen Gottes, der Herr der Welt und der Er- löser, der seine Wahrheit und seine Gnade der Kirche anvertraut hat. Menschen zu Gott, zu Christus und zu seiner Kirche führen, das ist ein bedeutendes Element unseres Christenle- bens. Damit erweisen wir den Menschen und der Welt den größten Dienst, den wir ihnen erweisen können, damit eifern wir dem nach, den die Heilige Schrift den treuen Zeugen Gottes nennt. Dieser Eifer aber garantiert uns die Vollendung unserer Berufung, die Teil- nahme an der Vollendung, am ewigen Leben Gottes. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER TAUFE JESU, GEHALTEN AM 13. JANUAR 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„DIESER IST MEIN GELIEBTER SOHN, AN DEM ICH MEIN
WOHLGEFALLEN GEFUNDEN HABE“

Jesus beginnt sein segensreiches Wirken, in dem er die Botschaft vom Reich Gottes  ver- kündet, Wohltaten spendet und die bösen Geister austreibt, mit dem Empfang der Johan- nestaufe. Und in dieser seiner Taufe erhält er die Bestätigung durch Gott, dass er der Sohn des ewigen Gottes ist. So hatte man den Messias erwartet. Deshalb hatte der Prophet Jesa- ja ihn schon 700 Jahre zuvor als den „Emmanuel“ bezeichnet, als den „Gott mit uns“. „Gott war mit ihm“, erklärt Petrus in der Lesung des heutigen Festtags. Damit will er sagen, dass er wirklich der Emmanuel war, nicht ein Prophet, nicht einer von vielen Propheten, die in Israel gewirkt hatten, sondern der menschgewordene Sohn Gottes in Person. Darum ist auch seine Geburt der Angelpunkt und der Drehpunkt der Geschichte.

Wenn Jesus sich taufen läßt, will er damit anknüpfen an die Täuferbewegung seiner Zeit und das die messianische Zeit vorbereitende Wirken des Täufers Johannes bestätigen. Die Taufe des Johannes, die Bußtaufe, ist zugleich ein Hinweis auf die Geisttaufe, die die Jün- ger Jesu von der Auferstehung ihres Meisters an spendeten, die das entscheidende Tor zur Erlösung werden sollte. Darum verweist uns die Taufe Jesu auf unsere eigene Taufe, deren Wirklichkeit und Verpflichtung wir gar nicht häufig genug bedenken können.

*

Unser Wort „taufen“ kommt von „tauchen“ im Sinne von benetzen, waschen. So hat man die Taufe ursprünglich verstanden, als Reinigungsbad. Durch die äußere Reinigung wollte man die innere Reinigung andeuten, die Reinigung von den Sünden. Deshalb verlangte Johannes der Täufer die Umkehr, die Reue und den Willen zur Buße als Voraussetzung für seine Taufe. Eine neue Bedeutung erhielt die Taufe bei den Christen, sie wurde ein Sakra- ment, das heißt, ein gnadenwirkendes Zeichen. Und aus dem Reinigungsbad, aus der sym- bolischen Waschung, wurde ein Sterben mit Christus, dargestellt durch das Untertauchen, und ein Auferstehen mit ihm zu einem neuen Leben, dargestellt durch das Wiederauftau- chen. Um dieser Symbolik willen hat man in alter Zeit die Taufe durch dreimaliges Unter- tauchen des ganzen Menschen gespendet. So geschieht es heute noch in der Regel in den Kirchen des Ostens. Im Westen hat sich demgegenüber der Ritus des dreimaligen Über- gießens mit Wasser durchgesetzt, aus praktischen Gründen. Das ging allerdings auf Kosten der eindruckvollen Zeichenhaftigkeit. Sterben und Auferstehen, das ist der eigentliche Sinn der Taufe. Darum nennt Jesus die Taufe, die er stiften wollte, im Johannes-Evangelium eine zweite, eine neue Geburt.

Die natürliche Geburt ist für uns alle das entscheidende Ereignis unseres Lebens. Sie ist nicht nur ein einmaliges, unwiederholbares Geschehen, auf ihr ruht vielmehr das ganze spätere Leben auf. Zusammen mit unserem Tod bildet sie die zwei Pfeiler, über denen sich die kurze (oder auch lange) Spanne unseres Lebens erstreckt. Bedeutsamer als die na- türliche Geburt aber ist die übernatürliche Geburt für uns, sie entscheidet nämlich über un- sere Ewigkeit. Sie erneuert die ursprüngliche Gerechtigkeit in uns, und sie befreit uns aus der Knechtschaft des Teufels, der seit der Ursünde, an der wir alle teilhaben durch die Erbsünde, seine Hand auf uns alle gelegt hat. Über den Getauften aber hat er nur noch so viel Gewalt wie der Hund, der an der Kette liegt, der nur denen Schaden zufügen kann, die sich in seine Nähe begeben. Dieses plastische Bild verwendet der heilige Augustinus (+ 430).

Die Knechtschaft des Teufels wirkt weiter im Heidentum, dort, wo man Christus noch nicht kennt, aber auch im Neuheidentum, in dem man Christus nicht mehr kennt, in dem man ihn verraten hat. Das aber ist weithin die Welt, in der wir leben.

Durch die Taufe werden wir in schicksalhafter Weise mit Gott verbunden. Sie schenkt uns das göttliche Leben, die ursprüngliche Gerechtigkeit und die Lebensgemeinschaft mit Chri- stus und öffnet uns so das Tor zum ewigen Leben. Gleichzeitig führt sie uns in die Kirche Christi, in der das neue Leben durch die Sakramente genährt wird, so dass es wachsen und stark werden kann. In der Kirche haben wir auch das rettende Brett nach dem Schiffbruch, das Sakrament der Buße, das uns das neue Leben noch einmal schenkt, wenn wir es in der schweren Sünde verloren haben. Aber nicht nur diese Funktion kommt dem Bußsakra- ment zu, es soll auch das neue Leben in uns vertiefen und kräftigen, unsere Lebensge- meinschaft mit Christus festigen und uns stärken für einen entschlossenen Kampf gegen das Böse.

Von alters her wurden den Täuflingen in der Taufe das Glaubensbekenntnis und das Vater- unser übergeben, wodurch die Verbindung mit Christus im Alltag erhalten bleiben sollte, im Festhalten des Glaubens und im gläubigen und vertrauensvollen Beten des Vaterunsers, des Gebetes des Herrn.

Angesichts der geheimnisvollen Wirklichkeit der Taufe und der Verpflichtungen, die aus der Taufe hervorgehen, ist es verständlich, wenn man in alter Zeit nur Erwachsene taufte. Aber schon früh hat man auch die Kinder der Getauften getauft, um ihnen von Anfang an den Reichtum der Erlösung zu gönnen. Das verpflichtete allerdings die getauften Eltern, Sorge zu tragen, dass das Kind später die Wirklichkeit der Taufe erfuhr und von Anfang an in das christliche Leben eingeführt wurde. So ist es noch heute. Die Eltern, die ihre Kinder taufen lassen, übernehmen damit für sie ernste Verpflichtungen. Das göttliche Leben, die Befreiung aus der Knechtschaft des Teufels, die Lebensgemeinschaft mit Christus, die Hin- ordnung auf das ewige Leben, die Teilnahme an den Sakramenten der Kirche, das alles ist nicht nur Gabe, sondern auch Aufgabe.

Wie das natürliche Leben der Pflege bedarf, so bedarf auch das übernatürliche Leben der Pflege. Wie uns die Wohltat des natürlichen Lebens ohne unser Zutun geschenkt wurde, so sollte uns auch das übernatürliche Leben geschenkt werden, ohne dass wir gefragt wur- den, aber wie wir das natürliche Leben hegen und pflegen müssen, so müssen wir auch das übernatürliche Leben bewahren, stärken und betätigen.

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Jeder Sonntag ist für den Christen ein Gedächtnis seiner Taufe. Diese Bedeutung kommt ihm zu, weil er immer neu die Auferstehung Christi feiert. Jahrhunderte lang kam das darin zum Ausdruck, dass der Priester am Beginn des Hauptgottesdienstes am Sonntag die Ge- meinde mit dem geweihten Wasser besprengte. Dazu sang man das „Asperges me“: „Be- sprenge mich mit dem Ysop, und ich werde rein“, zwei Verse aus dem 50. Psalm. In der Osterzeit wurde daraus das „Vidi aquam egredientem“, „ich sah das Wasser hervorquel- len“ - ein Wort des Propheten Ezechiel (Ez 47, 2).

Es ist eine Lebensfrage für uns, dass wir das Taufbewusstsein pflegen, da die Taufe der An- fang unseres ewigen Lebens ist, das gefährdet ist und wachsen muss, indem wir aus ihm leben, das heißt, indem wir in der Nachfolge Christi die Botschaft vom Reich Gottes be- zeugen, Wohltaten spenden und das Böse bekämpfen in uns und um uns.

Das Modell des göttlichen Lebens in uns ist das Leben Jesu Christi. Das Böse ist weithin mächtig in unserem Leben, auch wenn wir erlöst sind, aber wenn wir uns in der Gemein- schaft mit dem Erlöser, mit Christus, von ihm fernhalten, dann kann es uns nichts mehr an- haben. Diese aber finden wir im Gebet und in der treuen Erfüllung der Gebote Gottes. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER ERSCHEINUNG DES HERRN, GEHALTEN AM 6. JANUAR 2008 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ES KAMEN WEISE AUS DEM MORGENLAND NACH
BETHLEHEM“

Der heutige Festtag ist so etwas wie ein zweites Weihnachtsfest. Am ersten Weihnachtsfest, das wir vor zwölf Tagen gefeiert haben, haben wir gehört, dass bei der Geburt Christi  Hir- ten anwesend waren, sie waren aus der Nähe gekommen, um das Kind anzubeten, heute hören wir von Weisen, die aus der Ferne gekommen sind, um das Kind anzubeten. Könige hat man sie auch genannt, diese Weisen, weil sie königliche Geschenke bringen und weil sie eine königliche Gesinnung haben. Zudem sind weise Menschen, wenn sie wirklich weise sind, immer auch Könige, weil sie durch ihre Weisheit über den Dingen stehen, weil sie nicht Knechte, sondern Herren sind.

Wenn heute die Weisen aus der Ferne kommen, um das Kind anzubeten, dann wird da- durch unser Blick darauf gerichtet, dass Gott ein Mensch geworden ist, um alle Menschen zu erlösen, dass er für alle gekommen ist, wenn sie nur bereit sind, ihn aufzunehmen. Im Festgeheimnis des heutigen Tages treten die göttliche Natur des Kindes von Bethlehem und der Glanz, der mit diesem Kind in die Welt gekommen ist, stärker hervor als im Fest- geheimnis von Weihnachten. Das Festgeheimnis des heutigen Tages, der menschgewor- dene Gott, der gekommen ist, um alle Menschen zu erlösen, ist weniger gemüthaft, aber theologisch tiefer, darum anspruchsvoller im Blick auf unsere Glaubenserkenntnis und auf unser Handeln aus dem Glauben.

In vielen Ländern und Gegenden des Orbis catholicus, des katholischen Erdkreises, wird es heute dramatisch verkündet von den Sternsingern, wenn sie von Haus zu Haus gehen und in der Gestalt der Weisen aus dem Morgenland ihre Lieder singen und ihre Gedichte vortragen - als Idee eine wunderbare Sache, eine große Ehre für alle, die dabei mitwir- ken, ein Spiel, aber ein ernstes Spiel. Als Künder der Botschaft des heutigen Tages sam- meln die Sternsinger dabei Gaben ein für Kinder - das ist höchst sinnvoll -, für Kinder, die arm sind, weil sie nur wenig zu essen haben, die aber auch arm sind, weil sie nur wenig von Gott wissen, weil sie wie Heiden und in heidnischer Umgebung leben. Solche aber gibt es nicht nur in den fernen Ländern.

Die Sternsinger tragen das Licht von Bethlehem zu den Menschen und tragen damit den Segen des menschgewordenen Gottes in die Häuser. Segen aber bedeutet Glück, Frieden, Gottes Hilfe, die Zuneigung und das Wohlwollen Gottes.

Die Sternsinger, die heute umherziehen, sind von symbolischer Bedeutung für uns. Sie stehen nämlich für uns alle, sofern es ihre Bestimmung ist, in exemplarischer Weise Jünger des Kindes von Bethlehem zu sein. Denn wir alle sollen das Licht von Bethlehem in die Welt hineintragen, in die Familien, in die Schulen, in die Stätten der Arbeit und der For- schung, in die Politik und in die gesellschaftlichen Gruppierungen und in alle Bereiche, zu denen wir Zugang haben, in denen wir leben. Wir alle sind Missionare des göttlichen Kin- des von Bethlehem, das nach seinem gewaltsamen Tod zum Heil der Welt die Kirche be- gründet hat, es sei denn, wir verschmähen die Gnade des Sakramentes der Firmung, das wir empfangen haben. Das ist die entscheidende Aufgabe eines jeden von uns, die Bot- schaft des Kindes von Bethlehem zu verkünden, in Wort und Tat.

Diese Botschaft müssen wir uns indessen zuvor zu Eigen machen, sonst kann sie uns nie- mand abnehmen. Gerade daran scheitert heute nicht selten die Mission der Kirche. Die Missionare reden über Dinge, von denen sie nicht durchdrungen sind, zu denen sie im Grunde kein Verhältnis oder zu denen sie kein Verhältnis mehr haben. Das gilt für die Professionellen, das gilt jedoch nicht weniger für uns alle. Wenn wir das Licht von Bethle- hem in die Welt und zu den Menschen tragen wollen, müssen wir uns von ihm zuvor er- leuchten lassen.

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Wer Gottes Bote sein will, der muss von der Botschaft durchdrungen sein, die er verkün- det, wer Gottes Licht in die Dunkelheit der Welt hineintragen will, der muss  von diesem Licht gleichsam widerstrahlen. Wir müssen zunächst einmal selber von der Botschaft über- zeugt sein, die wir bringen wollen. Wir sind schlechte Boten, wenn wir nicht mit Gott ver- bunden sind im Gebet, wenn wir nicht täglich die Nähe Gottes suchen, wenn wir nicht uns gewissenhaft bemühen, Gottes heiligen Willen zu erfüllen, wenn wir nicht die Kirche lie- ben, die Christus gegründet hat, wenn wir nicht die Sakramente empfangen und dankbar das Lob Gottes singen jeden Tag aufs Neue, wenn wir nicht in Wahrheit Freunde Christi sind. Wir müssen Christus immer wieder fragen, wie einst Paulus ihn gefragt hat: „Herr, was willst du, das ich tun soll“ (Apg 9, 6)?

Gott beschenkt uns nur, wenn wir um unsere Armut vor ihm wissen, wenn wir aus dem Ge- fängnis unseres Stolzes ausbrechen.

Erst wenn das Geheimnis der Menschwerdung Gottes und der uns darin zuteil gewordenen Erlösung in uns Licht geworden ist, wenn es uns zutiefst ergriffen hat, können wir Zeugnis ablegen davon. Niemand kann geben, was er nicht hat.

Wenn wir so Boten des Lichtes sein wollen, müssen wir wissen, dass es heute auch viele Boten der Finsternis gibt. Sie sagen das nicht, die Boten der Finsternis, aber sie sind es. Sie nennen die Finsternis Licht, und das Licht nennen sie Finsternis. Sie nennen die Wahr- heit Irrtum, und den Irrtum nennen sie Wahrheit. Sie führen ein Leben ohne Gott, ein bequemes Leben, sie tun, was ihnen gefällt, sie leben nur für ihr Vergnügen, für das, was sie darunter verstehen, sie suchen ihren Vorteil, in allem, und gehen gleichsam über Lei- chen, wenn sie nur ihre selbstsüchtigen Ziele erreichen, sie kümmern sich nicht um Gott und die Ewigkeit und leben so, als ob es nur diese unsere sichtbare Welt gäbe, als ob es kein Jenseits und keine Ewigkeit gäbe. Manchmal bekleiden sie gar, Gott sei es geklagt, ein Amt in der Kirche.

Unsere Welt, auch die nominell noch christliche Welt, ist voll von Besserwissern, die alles Höhere niedermachen, die alles tun, um, wie es einst ein namhafter Philosoph im 19. Jahr- hundert zum Ausdruck gebracht hat, die Menschen auf die diesseitige Welt zu fixieren. Zu- weilen hat man den Eindruck, dass die Boten der Finsternis zahlreicher sind als die Boten des Lichtes, dass sie mächtiger sind als diese, dass sie den Ton angeben und die Boten des Lichtes gar verfolgen, wenn sie sich ihnen nicht zu Füßen werfen. In allen Fällen sind sie bemüht, die Boten des Lichtes herüberzuziehen, sie von ihrer Botschaft zu überzeugen, weil sie Freude daran haben, ihre eigene Gottlosigkeit auszubreiten, ihren Hass gegen das Kind von Bethlehem und gegen dessen Botschaft in der Welt zu verankern. Deshalb mü- ssen wir schon tapfer sein, wenn wir bestehen wollen im Dienste des göttlichen Kindes von Bethlehem, im Dienste dessen, der für uns am Kreuz gestorben ist, wenn wir unseren Auf- trag richtig erfüllen wollen. Wir müssen eigenständig sein in unserem Denken, und wir dürfen nicht mit den Wölfen heulen.

Der Hass und der Eifer der Boten der Finsternis dürfen uns nicht überraschen, denn Christus hat das vor 2000 Jahren schon vorausgesagt. Hass und Feindschaft hat er schon bei seiner Geburt erfahren.

Wenn wir Boten des Lichtes sein wollen, müssen wir leuchten. Das heißt: Wir müssen uns die Botschaft zu Eigen machen, die uns aufgetragen ist, und wir müssen uns mit den Boten der Finsternis auseinandersetzen. Das heißt, wir müssen tapfer sein und treu, wir dürfen uns nicht umwerfen lassen, wir dürfen uns nicht herüberziehen lassen und den verraten, der uns als Boten ausgesandt hat.

Es ist schön, für die Wahrheit zu leben, für sie zu kämpfen und, wenn es sein muss, für sie zu leiden oder gar zu sterben. Das hat uns das Kind von Bethlehem gesagt, und das hat es uns vorgelebt bis zu seinem grausamen Tod am Kreuz.

Es hat uns aber auch einen königlichen Lohn versprochen. Dieser Lohn ist das ewige Le- ben, so sagen wir für gewöhnlich, das ewige Leben, das ist die glückliche Gemeinschaft mit ihm nach unserem Tod.

Wir alle müssen einmal sterben. Und wer weise ist, der weiß, dass unser Leben kurz ist. Dann aber, wenn wir sterben, dann entscheidet sich unser ewiges Schicksal, denn für alle geht es weiter jenseits des Todes, wenn unser Leib stirbt, weil die Seele ja nicht sterben kann.

Wer für das Kind von Bethlehem kämpft, der mag in dieser Welt unterliegen, aber am Ende wird er Sieger sein.

*

Es ist ehrenhaft für uns, Boten Christi zu sein und damit Boten des Lichtes. Das können wir aber nur sein, wenn wir uns selber von Christus erleuchten lassen, wenn wir seine Hand er- greifen und uns von ihm an die Hand nehmen lassen, wenn wir es als die wichtigste Auf- gabe unseres Lebens betrachten, ihn zu den Menschen zu bringen, seine Botschaft zu den Menschen zu tragen.

Boten des Kindes von Bethlehem sollen wir sein aus der Kraft des Sakramentes der Fir- mung, den Sternsingern gleich, jedoch nicht nur heute, nicht nur für einem Tag und an einem bestimmten Ort, sondern immer und überall, in allen Verhältnissen, in die uns das Leben führt.

Erfüllen wir sie so, diese Lebensaufgabe, dass Gott mit uns zufrieden ist, dass wir in ihr das göttliche Leben bewahren und vertiefen und dass Gott uns einst in seine ewigen Wohnun- gen aufnehmen kann!

Denken wir daran, an das Gebet, an die Gebote, an die Sakramente und an das Zeugnis, auch da wo es unbequem ist, denken wir stets an den tapferen und unbeugsamen Einsatz für den, der uns braucht!

Unser Leben ist eine „peregrinatio“, eine Pilgerfahrt, analog dem Zug der Weisen aus dem Morgenland, hin zu der Begegnung mit dem ewigen Gott in der jenseitigen Welt. Die Wei- sen gelangten zur Begegnung mit Kind von Bethlehem, dem menschgewordenen Gott, das Ziel unserer Pilgerfahrt ist das Schauen des ewigen Gottes und des verklärten Christus von Angesicht zu Angesicht.

Folgen wir der Einladung Gottes in kindlichem Glauben und in tiefer Dankbarkeit. Amen.

          

PREDIGT ZUM NEUJAHRSTAG, GEHALTEN AM 1. JANUAR 2008
IN FREIBURG, ST. MARTIN 

„NÜCHTERN, GERECHT UND FROMM LASST UNS LEBEN IN DIESER WELT IN DER SELIGEN HOFFUNG AUF DIE ANKUNFT UNSERES GROSSEN GOTTES UND
HEILANDES JESUS CHRISTUS“

An diesem Morgen halten wir Rückschau. Vor wenigen Stunden hat das Jahr 2008 begon- nen. Dabei gehen wir davon aus, dass alles in Gott seinen Anfang genommen hat und dass Gott das Ziel aller Dinge ist. Der Lärm, mit dem viele das neue Jahr begonnen haben in der vergangenen Nacht, möchte diese Wahrheit überdecken, die Wahrheit über Gott und über die sich daraus ergebende Verantwortung, die wir vor Gott tragen, für Zeit und Ewigkeit. Wenn Gott der Anfang und das Ziel aller Dinge ist, dann obliegt es uns, in der kurzen Spanne unseres Lebens, in diesen sechs, sieben oder acht Jahrzehnten, bewusst auf dieses Ziel, auf Gott, zuzugehen und unser Leben als Gabe, aber auch als Aufgabe zu verstehen.

Die Welt vergeht und alles, was in ihr ist. Was bleibt, sind zwei Wirklichkeiten, die Wirk- lichkeit Gottes und die Wirklichkeit unserer Seele. Durch unsere unsterbliche Seele haben wir Anteil an der Ewigkeit. Wir haben zwar einen Anfang, aber kein Ende.

Der Glaube der Kirche sagt uns, dass wir einmal jenem begegnen sollen, der in Bethlehem geboren wurde als der Heiland der Welt, dass wir nicht nur ihm begegnen sollen, sondern dass wir bei ihm eine ewige Heimat finden sollen, dass er uns die vollendete Erlösung schenken will.

Das Ziel bestimmt den Weg. Wer das Ziel aus den Augen verliert, der verliert auch den Weg. Der Weg ist nämlich die Nachfolge dessen, der unser Weg und unser Ziel ist.

*

Wenn wir heute Rückschau halten, müssen wir uns fragen, wieweit wir im vergangenen Jahr 2007 unser Unterwegssein gelebt haben, ob wir nicht allzu oft das Vorläufige als end- gültig angesehen, ob wir täglich das Ziel im Auge gehabt haben, durch unser Beten und durch unsere Gewissenhaftigkeit in der Erfüllung des Willens Gottes, oder ob wir zu einem guten Teil gedankenlos in den Tag hinein gelebt haben. Wir müssen uns fragen, ob und wie wir der Welt gleichförmig geworden sind, ob und wie weit wir uns haben einschläfern lassen und uns dem Diesseitskult der Welt angeschlossen haben. Wir müssen uns fragen, ob wir faule Kompromisse gemacht haben. Wir müssen uns fragen, ob wir nüchtern und wachsam gewesen sind, wachsam im Hinblick auf das Gnadenwirken Gottes. Und wir mü- ssen uns endlich fragen, ob wir auch in schweren Stunden mit Gott verbunden waren und seinen Willen angenommen haben.

Wenn wir ehrlich sind, können wir angesichts dieser Fragen nicht zufrieden sein mit uns, müssen wir zugeben, dass unsere Seele oftmals von Sorgen und Wünschen zugedeckt war, die unser vergängliches Leben betrafen, ja, dass diese im Allgemeinen den Vorrang hat- ten. Im 1. Johannesbrief werden wir mit vielen Worten an unsere Schwäche erinnert. Einmal heißt es da prägnant: „Wenn wir sagen, wir hätten keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, so machen wir ihn, nämlich Gott, zum Lügner, der anders gesprochen hat“ (1 Joh 1, 8).

Unser Rückblick muss daher zunächst von dem demütigen Bekenntnis unseres Versagens bestimmt sein und von der Bitte um Vergebung. Dann aber muss er sich aufschwingen zur Dankbarkeit. Danken müssen wir, dass wir diese Stunde überhaupt erleben und dass Gott uns im vergangenen Jahr so viele materielle, aber auch geistige Güter geschenkt hat. Dan- ken müssen wir für das tägliche Brot, für Nahrung und Kleidung und Arbeit. Danken müssen wir dafür, dass uns das Wort Gottes verkündet wurde und wird, danken müssen wir für die Sakramente, die uns gespendet wurden, für die Gottesdienste, an denen wir teilneh- men durften.

Es liegt nahe, dass wir mit dem Rückblick auf das vergangene Jahr einen Ausblick verbin- den auf das soeben begonnene. Der Rückblick muss unseren Ausblick bestimmen. Immer wieder müssen wir es uns sagen: Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute bringt uns dem Ende näher. Was unsere Versäumnisse waren im zurückliegenden Jahr, das müssen unsere Vor- sätze für das vor uns liegende sein: Das Gebet und die Gebote Gottes und der Einsatz für das, was recht ist, was dem Willen Gottes entspricht und dem Wohl, dem wahren Wohl der Menschen dient.

Wir gehen durch eine Welt, die Christus nicht kennt, auch nicht kennen will, weithin, die ihn leugnet und lästert. Deswegen müssen wir es ertragen, wenn wir um unseres Glaubens willen zurückgesetzt oder verspottet werden, manchmal gar von den eigenen Glaubens- genossen, die so tun, als seien sie Glaubensgenossen, es in Wirklichkeit aber nicht sind, nicht mehr sind.

In der Weihnachtliturgie wird uns das christliche Lebensprogramm des Titusbriefes (2, 12 f) vor Augen geführt: „Nüchtern, gerecht und fromm lasst uns leben in dieser Welt in der seli- gen Hoffnung auf die Ankunft unseres großen Gottes und Heilandes Jesus Christus“.

Wenn das unsere Lebensmaxime wird, wenn wir uns bemühen, so zu leben, dann dürfen wir sicher sein, dass Gott uns nicht verläßt, dann führt seine liebende Hand uns durch den Schutzengel, durch Maria, durch den Namenspatron und durch die Heiligen, die uns be- gleiten auf dem Pilgerweg unseres irdischen Lebens. Die Schrift spricht von ihnen als einer Wolke von Zeugen (Hebr 12, 1). Gott führt uns, wenn wir uns führen lassen. Sein Wort ist uns Licht auf dem Weg, und seine Sakramente stärken uns, die Sakramente der Buße und der Eucharistie. Dabei finden wir immer wieder Herberge und Rast in unseren Gotteshäu- sern, da in ihnen der eucharistische Christus auf uns wartet.

Bitten wir den ewigen Gott, dass er uns vor Irrwegen bewahrt. Er ist getreu, er verläßt uns nicht, wenn wir nicht ihn  verlassen. Es ist die Treue Gottes, die uns fortwährend in Pflicht nimmt.

Die vor uns liegende Wegstrecke, das Jahr 2008, dürfen wir mit großem Vertrauen in den Blick nehmen, wenn wir stets bereit sind, das Unsere zu tun.

*

Wir tun gut daran, wenn wir unser Leben im kommenden Jahr unter den Schutz der Got- tesmutter stellen. Sie zeigt uns den sicheren Weg. Sie geht uns voraus und begleitet uns mit ihrer Fürbitte, mit ihren Gebeten. Vorbildlich für uns alle ist sie den Weg mit Christus gegangen. Sie steht ihm näher als irgendein Mensch ihm nahe steht. Es darf kein Tag des neuen Jahres vergehen, an dem wir sie nicht grüßen, an dem wir uns ihr nicht im Gebet zuwenden, an dem wir uns nicht auf sie besinnen, auf ihre Vorbildfunktion für unser Le- ben und auf ihre Fürsprache. Wir sollten uns einige Mariengebete zu Eigen machen, etwa die Gebete „Unter deinen Schutz und Schirm“, „Gegrüßet seist du, Königin“, „Jungfrau, Mutter Gottes mein“, und sie immer wieder beten. Besonders empfiehlt es sich, dass wir unser Abendgebet täglich ausklingen lassen mit einem Gruß an die Mutter Jesu, wie es schon seit vielen Jahrhunderten im Stundengebet der Kirche geschieht. Amen.

 

PREDIGT ZUM FEST DER HEILIGEN FAMILIE, GEHALTEN AM 30. DEZEMBER 2007 IN FREIBURG, ST. MARTIN

„ALLES, WAS IHR TUT, IN WORTEN ODER IN WERKEN, DAS TUT
IM NAMEN DES HERRN“

Wir begehen heute - in Verbindung mit dem Fest der Geburt Christi - das Fest der Heiligen Familie. Es ist ein Fest jüngeren Datums. Es will uns die wichtige Bedeutung der Familie vor Augen führen, jener Institution, von der immer wieder gesagt worden ist, sie sei die Keimzelle der Gesellschaft und des Staates und auch der Kirche. Heute ist die Familie in einem Auflösungsprozess begriffen, der verhängnisvoll ist.

*

Der Verfall der Familie ist ein Faktum, das man einfach nicht leugnen kann, auch wenn es noch intakte Familien gibt. Allgemein muss man feststellen, dass die Familien auseinan- derfallen, angefochten von außen und von innen. Dieser Prozess ist schon so weit fortge- schritten, dass die Familie heute vielfach gar schon als Institution in Frage gestellt wird.

Weithin sind unsere Familien von einer primitiven Konsum-Mentalität bestimmt. Das heißt: Der Wohlstand tyrannisiert die Familien. Es gilt in ihnen nur noch das Vergnügen: Spaß will man haben. Was zählt, ist nur noch der Genuss, weithin. Dabei sind Eltern und Kinder wie auch die Kinder weithin nicht mehr einander zugewandt, sondern jeder sucht sein Ver- gnügen für sich. Vielfach ist das Gespräch verstummt, man unterhält sich nicht mehr, son- dern lässt sich unterhalten. Nicht ganz unzutreffend hat man den Fernsehapparat als den modernen Hausaltar bezeichnet. Ihm wendet man sich gemeinsam zu. Damit hängt es zusammen, dass die Erziehungskraft der Familien weithin gleich Null geworden ist. Viele Kinder wachsen ohne Führung und Leitung auf. Sie machen, was sie wollen und verhalten sich von früher Kindheit an so, als ob sie der Mittelpunkt der Welt seien. Andererseits la- ssen die Eltern sich gehen vor den Kindern und geben ihnen häufig ein Beispiel der Unbe- herrschtheit und der Haltlosigkeit.

Ganz im Argen liegt die religiöse Erziehung. Unterweisung im Glauben und religiöse Pra- xis, Gebet und Gottesdienstbesuch werden hier immer seltener. 70 % der Kinder haben, wenn sie ihren ersten Katechismusunterricht erhalten, noch nichts vom Glauben gehört, kennen kein Kreuzzeichen und kein Gebet. Und bei den übrigen 30 % sieht es nicht viel be- sser aus. Kinder für Gott erziehen, das hat Seltenheitswert bekommen. In sehr vielen Fäl- len gibt es kein Familiengebet mehr, keine Sonntagsheiligung, man lernt nicht mehr ein Leben nach den Geboten Gottes,  ganz zu schweigen von der Übung des Verzichtes, der Entsagung und des Opfers. 

Ein weiterer Punkt ist der, dass immer mehr junge Menschen in die Ehe geradezu hinein- stolpern und dass sie die Ehe oder besser: das, was sie dafür halten, oftmals schon in frivo- ler Weise vorweggenommen haben. Wenn man den Demoskopen Glauben schenken darf, sind 50 % der Bundesbürger über 16 Jahren der Meinung, das das so in Ordnung ist.

Statt dass man sich füreinander bewahrt, beutet man sich gegenseitig aus in Missachtung des Gottesgesetzes. Viele ziehen zusammen, als seien sie verheiratet, ohne es zu sein. Zy- nischerweise nennen sie das dann „Ehe ohne Trauschein“. Zynisch ist das deshalb, weil man so das Problem verschleiert und vor allem herunterspielt in seiner Ungeheuerlichkeit, speziell im Blick auf die Folgen. Das Problem ist hier nämlich nicht der Trauschein, son- dern die Missachtung der Ordnung Gottes und die Missachtung der Würde des Menschen, das Zusammensein, ohne dass man die Verpflichtung zur Einheit und Unauflöslichkeit oder wirkliche Verantwortung füreinander übernommen hat. Das Problem ist hier die Isolierung der Geschlechtlichkeit von der naturrechtlichen und religiösen Verantwortung, die Verfrem- dung der Sexualität, die so den Menschen nicht glücklich machen kann, jedenfalls nicht in der Tiefe und auf die Dauer. In dieser Atmosphäre wird es immer weniger als anstößig empfunden, verständlicherweise, wenn man überhaupt nicht mehr heiratet.

Bei solcher Einstellung ist es nicht verwunderlich, wenn die Abtreibung grassiert. Nach se- riösen Schätzungen kommt bei uns beinahe schon auf jede Geburt eine Abtreibung. Die selbstverständliche Zulassung der Abtreibung im vollen Licht der Öffentlichkeit ist extrem menschenverächterisch. Das ist barbarisch. Unter diesem Aspekt haben wir heute einen Tiefpunkt menschlicher Unkultur erreicht. Hier wirkt natürlich auch das familienfeindliche Klima mit, wie es die Medien in der Öffentlichkeit herrvorbringen und schüren und die Poli- tiker es durch die mangelnde Unterstützung der Familie mitzuverantworten haben. Dass es sich hier, bei der Abtreibung, um Menschen handelt mit einer unsterblichen Seele, davon ist keine Rede.

Zu dieser Einstellung passt die wachsende Häufigkeit der Ehescheidung: Mindestens jede dritte Ehe, die geschlossen wird, wird bei uns wieder geschieden. Dem entspricht die Tat- sache, dass Untreue und Ehebruch in ihrer Sündhaftigkeit gar nicht mehr wahrgenommen werden. Das ist ein ähnlicher Niedergang wie er uns in der sterbenden römischen Kultur der ersten nachchristlichen Jahrhunderte begegnet. Auch damals waren das nichteheliche Zusammenleben, die Ehescheidungen, das Abtreiben und die Vernachlässigung der Kin- dererziehung, das alles auf der Basis der Konsum-Mentalität, an der Tagesordnung. Aller- dings - und das war damals anders -, führten die Christen in damaliger Zeit ein anderes Le- ben, hatten sie  den Mut zum Anderssein, wenn ihr Leben bestimmt wurde von Verantwor- tungsbewusstsein, von Keuschheit, von ehelicher Liebe und Treue, von Ehrfurcht vor dem Leben, von Erziehungseifer und von selbstloser Liebe, bis hin zum Martyrium.

Die Heilung unserer kranken Familien muss von der Heiligen Familie von Nazareth ausge- hen, von ihrem Beispiel und von der Fürsprache der Mutter Jesu und seines Pflegevaters. Daran erinnert das Schlussgebet dieser heiligen Messe.

Die Heilige Familie ruhte auf zwei Säulen, auf denen die christliche und im Grunde jede Familie gemäß dem Willen Gottes ruhen muss, auf der demütigen Verehrung Gottes und auf dem schlichten, selbstlosen Dienst füreinander, auf der Hingabe an Gott und auf der Hingabe an die Menschen.

Eigentlich ist das nur eine einzige Säule, denn wer Gott dient - in rechter Weise - der weiß auch den Menschen zu dienen. Das heißt: Unsere Familien müssen wieder Gemein- schaf- ten des Gebetes und des Opfers und der Liebe werden.

Die Familie muss wieder als göttliche Institution verstanden werden, als Sakrament, das heißt: als gnadenwirkendes Zeichen, und Christus muss wieder die Mitte dieser Institutiton werden. Dann wird das Gebet wieder das geistige Rückgrat der Familie, das gemeinsame Gebet in der Familie. Und man wird wieder die Bedeutung der religiösen Erziehung und im Zusammenhang damit die Bedeutung der Selbstüberwindung, des Opfers, des Verzichtes und der Rücksichtnahme für ein glückliches Familienleben erkennen. Das muss eingeübt werden, erziehen kann man nicht nur mit Worten. Unerlässlich ist hier das Beispiel. Das gilt für die Vorbereitung auf das Leben nicht weniger als für die religiöse Erziehung. Von ganz besonderer Bedeutung ist hier der Verzicht auf das Fernsehen, wenn nicht völlig, so doch wenigstens zeitweilig.

Wir reden von der Schädigung der Umwelt, vergessen dabei aber die Schädigung der In- nenwelt, die schlimmer und folgenreicher ist als die Schädigung der Umwelt.

Gottes Gesetz können wir nicht in einem solch gigantischen Maß ausschalten, wie das heu- te geschieht, ohne unsere Zukunft zu zerstören, nicht nur jene, die Gott uns in der Ewigkeit schenken will.

Von der Gesundung der Familie hängt viel, ja, alles ab, das Glück der kommenden Gene- rationen, der Fortbestand der Gesellschaft und der Kirche in einer menschenwürdigen, in einer humanen  Zukunft und nicht zuletzt unsere Ewigkeit.  *

 

Das Chaos führt die Gewaltherrschaft herauf, der Willkür folgt die Tyrannei. Das vergessen wir oft. Die intakte Familie ist für den Einzelnen ein Hort des Glücks und für die Gesell- schaft ein Hort der Freiheit. Was den Zerfall der Familie heute bedingt, ist letzten Endes unsere fehlende Verbundenheit mit Gott und unsere Missachtung des selbstlosen Dienstes, die Entfremdung des Menschen von Gott und die daraus hervorgehende Unfähigkeit zu echter Gemeinschaft. Wenn wir die Heilige Familie von Nazareth als Modell für unsere Fa- milien verstehen, dann werden wir sie wieder auf den Säulen der Ehrfurcht vor Gott und der Ehrfurcht vor dem Menschen errichten. Dieses Bemühen empfiehlt sich schon deshalb, weil wir ohne die Gesundung unserer Familien nicht nur den Auftrag Gottes verfehlen, son- dern auch deshalb, weil es ohne sie keine menschenwürdige Zukunft geben wird. Amen.

 

PREDIGT ZUM STEPHANUSTAG, GEHALTEN AM 26. DEZEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„VOR STATTHALTER UND KÖNIGE WERDET IHR
GEFÜHRT WERDEN“

Über dem Menschengeschlecht liegt eine tragische Zwiespältigkeit:  Wir sagen vielmals ja und nein zu ein und derselben Wirklichkeit. Nicht selten ist es so, dass wir wollen und doch nicht wollen. Und oftmals sagen wir ja und meinen nein. Diese Zwiespältigkeit ist Ausdruck unserer tiefen Verwundung durch die Ursünde. Wir warten auf den Erlöser, wir schauen aus nach ihm, und wenn er kommt, sind wir nicht bereit, ihn aufzunehmen. Das war nicht nur einmal so, das wiederholt sich immer wieder, individuell und epochal. Draußen, vor der Stadt, wird Christus geboren, weil in der Herberge kein Platz für ihn ist, draußen, vor der Stadt, steht gut dreißig Jahre später sein Kreuz. Wir hören die Botschaft des Erlösers und nehmen sie an, weisen sie aber zurück, wenn sie fordernd vor uns hintritt. Der Evan- gelist Johannes kleidet diese traurige Wirklichkeit in die Worte: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf“. Heute würde man vielleicht sagen: Das ist pauschal - so argumentiert man gern heute, das klingt umsichtig und überlegen -, das ist pauschal, nicht alle weisen ihn zurück. Das weiß Johannes auch, dass es nicht alle sind, die ihn zurückweisen. Aber er will uns eindrucksvoll klar machen, dass viele, ja, viele ihn nicht wollten und nicht wollen. Um es genauer zu sagen: Viele wollen ihn und wollen ihn doch nicht. Daher die Feststellung: „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 11. 

Diese traurige Wirklichkeit veranschaulicht auch der heutige Festtag. Er rückt die Weih- nachtsbotschaft ins rechte Licht, indem er ihren fordernden Charakter unterstreicht. An der Gestalt des Stephanus, des ersten Märtyrers der Kirche, wird exemplarisch deutlich, wie wir zwiespältig sind, wie wir die hassen und verfolgen und töten, die uns die Erlösung bringen wollen. Je genauer wir das wissen und je mehr wir das bedenken, umso eher wer- den wir selber dieser Versuchung, der wir nicht weniger unterliegen, widerstehen können.

*

An der Ablehnung, die der menschgewordene Gottessohn in seinem irdischen Leben er- fahren hat, haben seine Jünger Anteil. So hat er es klar vorhergesagt: Sein Schicksal ist auch das Schicksal seiner Jünger. Wer sich zu ihm bekennt, konsequent, nicht nur mit hal- bem Herzen, der wird verfolgt, wie auch er verfolgt wurde, jedenfalls nicht selten. Er führt die Menschen zusammen, faktisch bringt er sie aber oftmals gegeneinander auf. Er ist ge- kommen, den Frieden zu bringen, bringt damit aber auch, ohne es zu wollen, das Schwert (Mt 10, 34). Er verkündet  die Liebe als die Grundmaxime der Gottesherrschaft, erntet aber zusammen mit seinen Jüngern nicht selten Hass und Feindseligkeit. In vielen Fällen führt die Freundschaft mit ihm zu erbitterten Feindschaften. Es ist so, dass sich an ihm die Gei ster scheiden. Die Verfolgung gehört zum Christentum. Wo immer es sich ausbreitet, da hat es seine Märtyrer, in der Vergangenheit wie auch in der Gegenwart. Aber nicht nur das. Es gibt auch die innerkirchliche Verfolgung, die Verfolgung innerhalb des Christentums. Das erscheint paradox, ist jedoch eine Realität, nicht nur heute. Es gibt nicht nur die Verfolgung von außen, es gibt sie auch von innen.

Die Ablehnung, die man Christus entgegenbringt, schafft Abgründe auch zwischen Men- schen, die sich ursprünglich nahe stehen durch die Bande des Blutes. Das erfahren wir in der Gegenwart mehr denn je. Der Bruch geht mitten durch die Familien, so bezeugt es uns das Evangelium des heutigen Festtags: “Der Bruder liefert den Bruder aus, der Vater den Sohn”. Der Bruch geht heute nicht nur durch die Familien, er geht auch durch die Hausge- meinschaften und durch viele gewachsene Gruppierungen und Institutionen. Dabei werden Christus und seine Kirche zum Streitobjekt erster Ordnung. Im Einzelfall mag das übertrie- ben sein, aber aufs Ganze gesehen nicht. Und so muss es sein. Wäre es anders, müssten wir uns fragen, ob wir noch auf der Seite Christi stünden.

Also: Der Jünger Jesu wird verfolgt, und dieser Jesus bringt gar die Familien auseinander. Wie der Meister, so wird auch der Jünger dem Tod ausgeliefert, im Extremfall dem physi- schen Tod.

Im Grunde geschieht das immer aus Neid. Der Neid aber gebiert den Hass. Wir fragen: War- um haben denn der Neid und der Hass eine solche Macht in unserer Welt? Hintergründig verweist uns die Antwort auf diese Frage auf das unbegreifliche und unergründliche Ge- heimnis des Bösen, vordergründig auf den Stolz des Menschen, der in Gott einen Kon- kurrenten sieht, einen Rivalen. Der Mensch kämpft um den Thron Gottes. Er möchte sein wie Gott. Er will sein eigener Gott sein. „Sie konnten der Weisheit und dem Geist, mit dem er sprach, nicht widerstehen“, heißt es in der Lesung. Der Neid macht sie rasend. Vor Statt- halter und Könige werden die Jünger dieses Jesus geschleppt, heißt es im Evangelium.

Angesichts dieser Situation werden wir ermahnt, keine Angst zu haben, uns keine Sorgen zu machen, uns nicht einschüchtern zu lassen, sondern auf den Geist zu vertrauen, auf den Heiligen Geist. Die Aufforderung, keine Angst zu haben, sich nicht zu fürchten und stattde- ssen auf Gott zu vertrauen, seine Sorgen auf Gott zu werfen, begegnet uns immer wieder im Neuen Testament. Das sorglose Vertrauen im Blick auf Gott ist der innerste Kern, das Herz christlichen Tugenden der Beharrlichkeit und der Geduld. Es ist nicht nur gefragt in der Verfolgung, sondern immer. Es macht Ernst mit dem Glauben an die Verheißungen Got- tes.

Das Schicksal Jesu aber ist das Schicksal derer, die sich zum ihm bekennen, und sein Schicksal muss das Ihre sein.

Die Zwiespältigkeit der Menschen, die die Propheten hassen und die verfolgen, die ihnen die Erlösung bringen, setzt sich in der Geschichte fort. Darin wird die Geburtsgeschichte des Messias gewissermaßen weitergeschrieben und die zentrale Aussage der Weihnachts- geschichte des Johannes immer neu exemplifiziert. Von daher gesehen ist die Anpassung an die Erwartungen der Menschen, verbunden mit der Vernebelung der christlichen Wahr- heit und der Abschwächung der Forderungen Christi, Abfall, von daher gesehen muss man das Christsein als eine sehr ernste Sache verstehen.

Auch in einer Umgebung, in der alle Christen sind, kann man verfolgt werden. Man muss eben unterscheiden zwischen Namenschristen und wirklichen Christen, zwischen solchen, die um der Wahrheit willen die Konfrontation nicht scheuen und solchen, die meinen, sie könnten paktieren mit der Welt, sie könnten auf zwei Hochzeiten tanzen, die meinen, ein zweiter Aufguss des Christentums täte es auch. Indessen ist es besonders schmerzlich, wenn Christen Christen verfolgen.

Das Festgeheimnis des heutigen Tages erinnert uns daran, dass es ein braves, bürgerliches Christentum nicht geben kann, nicht geben darf, dass Kampf und Leiden um des Glaubens willen wichtige Komponenten unserer christlichen Berufung sind und dass es ein konse- quentes Bekenntnis zu Christus nicht gibt ohne das Kreuz.

Wenn die Menschen nun ihren Erlöser und seine Boten verfolgen, ist das dann sündhaft in den Augen Gottes? Das ist nicht gesagt. Die Verblendung des Geistes ist zwar oftmals das Ergebnis eines sündigen Lebens, aber sie kann auch schuldlos sein oder schicksalhaft. Gott weiß jedoch auch auf krummen Zeilen gerade zu schreiben. Er kann auch das Böse zum Guten wenden.

Allein, wir müssen uns fragen, ob wir schon für unseren Glauben gelitten haben, ob wir also um des Glaubens willen verfolgt wurden, und ob wir mit der Mehrheit uns an der Stei- nigung der Propheten beteiligt haben. Das Christsein verlangt in jedem Fall die Tugend der Tapferkeit. 

Es gilt, dass wir die tragische Zwiespältigkeit des Menschen im Auge behalten, damit wir den Mut haben, mit Christus zu leiden, und damit wir nicht auch Prophetenmörder werden, damit wir nicht auch die hassen und verfolgen, die uns die Erlösung bringen wollen.

*

Stephanus sieht den Himmel offen und Christus zur Rechten des Vaters. Auch das ist ein weihnachtliches Szenarium, eine Umschreibung des Geheimnisses der Menschwerdung Gottes. Stephanus sieht den, den er verkündet hat, wohl nur für wenige Wochen, für den und mit dem er nun sterben muss. Er sieht den, der schon in seiner Geburt zum Zeichen des Widerspruchs geworden ist, erst recht am Ende seines Lebens und nach der Erfüllung seiner irdischen Mission.

Die Propheten Gottes werden verfolgt. Daran erkennt man sie als seine Propheten. Der hei- lige Stephanus muss uns ein Vorbild sein. Gebe Gott, dass auch wir verfolgt werden und uns der Verfolgung nicht entziehen, indem wir uns anpassen an die Erwartungen des Men- schen. Das ist die eine Bitte, die wir heute vor Gott hintragen müssen. Bedeutsamer noch ist aber eine zweite Bitte: Gebe Gott, dass wir nicht zu denen gehören, die seine Propheten verfolgen.

Was uns tröstet in der Verfolgung und auch dann, wenn wir uns von der Menge der Prophe- tenmörder distanzieren, das ist der feste Glaube, in dem wir die Macht Gottes durch die Ne- bel seiner Ohnmacht hindurch schauen, das ist das unbedingte Vertrauen auf die Macht der Wahrheit, das ist endlich die siegreiche Hoffnung auf die Wiederkunft des Gekreuzigten, dessen Geburt wir heute feiern, am Ende der Tage auf den Wolken des Himmel in Macht und Herrlichkeit. Amen.

 

PREDIGT ZUM HOCHHEILIGEN WEIHNACHTSFEST, GEHALTEN AM 25. DEZEMBER 2007
IN FREIBURG ST. MARTIN

„ER KAM IN SEIN EIGENTUM, ABER DIE SEINIGEN
NAHMEN IHN NICHT AUF“

Weihnachten ist nicht nur das Geburtsfest des Gottmenschen Jesus Christus, es ist auch das Geburtsfest des neuen Menschen, der erneuerten Menschheit. Dadurch, dass Gott eine menschliche Natur angenommen und als Mensch in unserer Welt gelebt hat, hat er dem Menschengeschlecht und damit jedem einzelnen Menschen eine unvergleichlich hohe Würde verliehen. Das gilt bereits für die Menschwerdung Gottes als solche, unabhängig von der Erlösung der Menschheit, die der eigentliche Grund für das Kommen Gottes in die- se Welt gewesen ist.

Es gibt kein bedeutsameres Ereignis in der Geschichte der Menschheit als die Mensch- werdung Gottes. Deshalb zählen wir seit dem 5. Jahrhundert die Jahre nach diesem Er- eignis. Es ist der Höhepunkt der Geschichte und die Achse der Welt. Um den, dessen Ge- burt wir heute feiern, dreht sich alles. So müsste es sein. Leider ist es heute nicht mehr so, wenn es denn je so gewesen ist.

*

Die Botschaft von der Menschwerdung Gottes trifft heute vielfach auf taube Ohren. Viele geben zu, dass der, dessen Geburt wir heute feiern, ein bedeutender Mensch gewesen ist, dass er tiefe Spuren in der Welt hinterlassen hat - nach seinem Tod mehr noch als vorher -, vielleicht sagen sie auch noch, dass er die Mitmenschlichkeit beispielhaft gelebt hat und dass er in tiefer Gottverbundenheit gelebt hat, aber dass er Gott selber gewesen ist, das wollen sie nicht oder nicht mehr wahr haben. Das ist allerdings nicht ganz neu. Schon in seinem Erdenleben nahmen viele Anstoß an ihm und an seinem Anspruch. Wohl die grö- ßere Zahl derer, die ihm begegnet sind, beachtete ihn schließlich doch nicht oder wandte sich ab von ihm. Einst hatte der greise Simeon bei der Darstellung des Kindes im Tempel prophetisch vorhergesagt: „Dieser wird ein Zeichen des Widerspruchs sein, er ist zum Fall und zur Auferstehung vieler gesetzt“ (Lk 2, 34). Ein Zeichen des Widerspruchs - das war er in seinen Erdentagen, das war er aber auch in späteren Jahrhunderten, immer wieder - bis in die Gegenwart hinein.

Warum stellen sich so viele gegen ihn und seinen Anspruch? Das ist eine bedrängende Frage, die sich seine Jünger immer wieder stellen müssen. Er hat doch geredet wie einer, der Vollmacht hat. Er hat Werke getan, wie sie kein Mensch außer ihm vollbracht hat. Er hat das Ethos der Wahrhaftigkeit und der selbstlosen Liebe in heroischer Weise verkündet und gelebt. Und er war mit Gott verbunden in seinem Erdenleben wie kein anderer Mensch je mit Gott verbunden war. So wird es uns glaubwürdig überliefert. Sollte das nicht über- zeugen?

Allein, die Ablehnung Jesu und seines Anspruchs oder das Desinteresse an ihm kommt nicht aus unserer Vernunft, wenngleich wir es oft so darstellen, sie geht vielmehr aus un- serem Stolz hervor. Wir wollen autonom sein und autonom leben, ganz abgesehen davon, dass wir unser Interesse lieber auf das Vordergründige richten. Wir warten auf Gott, und, wenn er kommt, erkennen wir ihn nicht, wollen wir ihn nicht erkennen. Zudem herrscht in unserer Welt der „Menschenmörder von Anbeginn“, so nennt Christus im Johannes - Evan- gelium (Joh 8, 44) den, der schon am Anfang der Geschichte die Menschheit ins Unglück gestürzt hat. Der ungute Wille, er ist es, der allzu oft unser Erkennen und unser Einsehen trübt. Auf den guten Willen kommt es an. Davon singen die Engel auf den Fluren Bethle- hems, von dem guten Willen.

Bekennen wir in demütigem Glauben, dass in Christus Gott selber in unserer Welt erschie- nen ist und in unserer Welt gelebt hat, dann kommen wir nicht mehr los von ihm. Dann werden wir die Welt in einem völlig anderen Licht sehen, dann wird er unser ganzes Sin- nen und Trachten bestimmen, dann wird unser Leben durch ihn verwandelt, dann aber wird die Welt verwandelt durch uns. Wenn alle glauben würden, dass in Christus Gott selber als Mensch unter uns gelebt hat, und wenn sie aus diesem Glauben leben würden, wenn sie ihn zum Maßstab ihres Lebens machen würden, dann wäre die Welt ein Para- dies.

Es gibt keine größere Bejahung der Welt und des Menschen als jene, die aus der Mensch- werdung Gottes hervorgeht. Positiver kann die Welt und kann der Mensch nicht verstanden werden als im Licht dieses Geheimnisses.

Gott hat den Menschen nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen. Als Person hat er ihn geschaffen, sofern er ihm den Verstand und den freien Willen gegeben hat. Darum be- zeichnet das Alte Testament den Menschen als die Krone der Schöpfung. Wenn Gott nun eine menschliche Natur angenommen hat in der Fülle der Zeit, nicht vorübergehend, son- dern für immer, dann ist das eine Überhöhung des Menschen und seiner Würde, die all un- sere Erwartung und all unser Denken übersteigt. Wunderbar hat Gott den Menschen ge- schaffen, und noch wunderbarer hat er ihn erneuert. Wir müssen darüber nachdenken. Mit dem Kind von Bethlehem beginnt eine neue Menschheit. Gott, der Schöpfer, wird der Vater und der Bruder aller Menschen. Im Geheimnis der Menschwerdung des Sohnes Gottes schlingt Gott sozusagen ein heiliges Band um die ganze Menschheit. In dem göttlichen Kind von Bethlehem wächst die Menschheit zusammen zu einer heiligen Gemeinschaft.

Schon das ist ein staunenswertes Geheimnis, das bedeutende Konsequenzen hat für uns, das jedoch noch einmal überhöht wird dadurch, dass der menschgewordene Gott unser Er- löser geworden ist in seinem Tod und in seiner Auferstehung. Denn in der Erlösung hat er uns Anteil an seiner göttlichen Natur gegeben. Gott nahm eine menschliche Natur an, weil der Mensch der göttlichen Natur teilhaftig werden sollte. Die Kirchenväter sprechen von einem heiligen Tausch. Gott nahm eine menschliche Natur an, weil er wollte, dass wir Söh- ne und Töchter Gottes würden. Das göttliche Leben, das uns in diesem Sinne verwandelt, ist uns in der heiligen Taufe zuteil geworden, und im Sakrament der Umkehr wird es uns zurückgegeben oder vertieft. Wir sprechen von der heiligmachenden Gnade, die das An- geld unserer ewigen Gemeinschaft mit Gott ist. Das ist die christliche Wirklichkeit, die das Geheimnis der Ankunft Gottes in dieser Welt initiiert hat.

Das Weihnachtsgeheimnis ist anspruchsvoll. Bis heute ist es weithin noch nicht angekom- men in unserer Welt. Oder sie hat sich wieder losgesagt von ihm.

Der Friede, von dem in Weihnachtsevangelium die Rede ist, er muss von den Menschen angenommen werden. Das aber ist mühevoll. Der Friede der Heiligen Nacht ist Gabe und Aufgabe für uns.

Weil das Weihnachtsgeheimnis weithin noch nicht angekommen ist in unserer Welt oder weil sich unsere Welt wieder losgesagt hat von ihm, darum wird noch heute und gerade heute die Menschenwürde so oft mit Füßen getreten, darum wird das Bild des Menschen heute hundertfach und tausendfach geschändet, darum wächst die Dunkelheit in unserer Welt, darum wachsen Friedlosigkeit, Hass, Grausamkeit, Ungerechtigkeit, Gemeinheit und Rücksichtslosigkeit in unserer kleinen Welt, aber auch in der großen Welt, im Leben der Völker.

*

„Er kam in sein Eigentum, aber die Seinigen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 11). Das ist das Problem. Es gilt, dass wir das Geheimnis der Menschwerdung Gottes glauben und aus ihm leben und dass wir es bezeugen durch unser Leben: Gott hat durch sein Kommen die Wür- de des Menschen in einer unvorstellbaren Weise erhöht. Dieser Glaube, dieses Leben und dieses Zeugnis erscheinen in einem neuen Licht, wenn wir bedenken, dass wir durch den Tod des Kindes von Bethlehem und seine Auferstehung vergöttlicht wurden im Sakrament der Taufe und dass es unsere erste Aufgabe ist, dass wir uns diese Gabe mehr und mehr zu Eigen machen. Tun wir das, dann bauen wir mit an einer neuen Welt, an einer menschli- cheren, ja, an einer Welt, wie Gott sie uns zugedacht hat. Großes entsteht immer aus klei- nen und unscheinbaren Anfängen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 4. ADVENTSSONNTAG, GEHALTEN  IN FREIBURG, ST. MARTIN,
AM 23. DEZEMBER 2007

„DAMIT ALLE VÖLKER ZUM GEHORSAM DES GLAUBENS GEFÜHRT WERDEN“

Alle Völker müssen zum Gehorsam des Glaubens geführt werden. Das ist der entscheiden- de Gedanke der (zweiten) Lesung des heutigen Sonntags. Was ist mit diesem Glauben ge- meint? Und warum soll er allen Völkern vermittelt werden?

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Der Glaube, zu dem alle Völker geführt werden sollen, ist der Glaube an Jesus, den Sohn Gottes. Zweimal wird er im heutigen Evangelium als der Emmanuel bezeichnet, das heißt als der „Gott-mit-uns“. Seine Anhänger bekannten sich schon sehr bald zu ihm als dem Christus. Christus, das ist das griechische Wort für Messias, im Deutschen würden wir sagen Erlöser. Seine Geschichte beginnt mit seiner wunderbaren Geburt aus der Jungfrau Maria, und sie geht zu Ende mit seinem Tod am Kreuz und mit seiner Auferstehung. Er wird aber einmal wiederkommen, um die Geschichte dieser Welt zum Abschluss zu bringen, um die Zeit zu vollenden. Dann wird er kommen als Richter der Lebenden und der Toten, wie wir im Credo bekennen.

Er ist nicht ein gewöhnlicher Mensch, sondern Gott. Das ist die entscheidende Aussage über ihn. In ihm hat der Himmel auf wunderbare Weise die Erde berührt. Mit dieser Wahr- heit oder besser: Mit dieser Wirklichkeit steht und fällt das Christentum. Heute ist sie inde- ssen nicht mehr so selbstverständlich, wie sie es in Jahrhunderten gewesen ist. Nicht ein- mal mehr in der Christenheit. Unsere säkularisierte Öffentlichkeit hat sie schon lange ad acta gelegt. Und nicht wenige, die sich nominell noch als Christen verstehen, haben sich dem angeschlossen. Die Leugnung der Göttlichkeit Jesu liegt vielen fragwürdigen Zeiter- scheinungen zugrunde, wie sie uns in Kirche und Welt begegnen.

Darum ist die Adventszeit so heillos säkularisiert, verweltlicht, in den Dienst des materiel- len Profits und des Genusses und des Vergnügens gestellt, darum ist das Fest der Geburt Christi weithin sentimental verfremdet, darum ist die Geschichte der Geburt Christi heute für nicht wenige zu einem schönen Wintermärchen geworden. Vieles ist hier Gedankenlo- sigkeit, Gedankenlosigkeit, die aus der Veräußerlichung unseres Christentums hervorgeht. Diese aber ist nicht zu entschuldigen. Sie hat unabsehbare Konsequenzen.

Die Festzeiten und die Feste des Kirchenjahres wollen uns dazu anspornen, dass wir den Glauben mit größerem Eifer leben.

Vor einigen Tagen beklagte der Heilige Vater die materialistische Mentalität unserer Zeit, die aus der praktischen und theoretischen Leugnung der Gottheit Christi hervorgeht und gleichzeitig zu ihr hinführt. Dabei rief er zur Umkehr auf, die zu einem erneuerten Lebens- wandel führen muss. Wörtlich sagte er dann: „Es ist das konkrete Verhalten in diesem Le- ben, mit dem wir über unser ewiges Schicksal entscheiden“ (Ansprache am 9. Dezember).

Wir müssen ernsthafter leben, verantwortungsbewusster. Sonst gefährden wir nicht nur unsere Ewigkeit, sondern zerstören wir auch unser irdisches Leben. Die chaotischen Ver- hältnisse, die unsere Welt heute im Großen wie im Kleinen bestimmen, müssten uns die Augen öffnen. Sie betreffen in gleicher Weise das gesellschaftliche, das politische und zum Teil auch das kirchliche Leben. Die weithin herrschende Gesetzlosigkeit, der gegenüber viele Verantwortliche resignieren, ist extrem destruktiv. Der Heilige Vater erinnert in die- sem Zusammenhang an die Besinnung, an das Gebet und an das Sakrament der Umkehr, an das Sakrament der Buße.

Der Advent und das Fest der Menschwerdung Gottes fordern uns dazu auf, dass wir aufmerken, dass wir aufhören, mit dem Feuer zu spielen und dass wir uns abwenden von einem leichtfertigen Leben.

In diesem Leben entscheiden wir über unser ewiges Schicksal. Gottes Liebe ist alles andere als ein Automatismus. Unsere Erlösung erfolgte ohne uns, das gilt jedoch nicht für unsere Rettung, für die Zuwendung der Erlösung an uns. Christus erklärt im Matthä- us-Evangelium: „Das Himmelreich leidet Gewalt, und nur die, die Gewalt anwenden, reißen es an sich“ (Mt 11, 12).

Der Glaube an die Gottheit Christi wird in unserer Lesung als Glaubensgehorsam be- zeichnet. Stets hat der übernatürliche Glaube die Gestalt des Gehorsams. In ihm setzen wir an die Stelle eigener Einsicht die Einsicht Gottes. Dann reden nicht mehr wir, sondern Gott. Der Glaube kommt vom Hören (Rö 10, 17). Das Hören auf Gott und sein Wort aber setzt die Demut voraus. In ihr erkennen wir unsere geschöpfliche Abhängigkeit und bejahen sie. Der Stolze kommt nicht zum Glauben, oder er verliert ihn über kurz oder lang.

Die Heilige Schrift zeichnet uns Maria als Urbild des Glaubens. Elisabeth preist sie selig, weil sie geglaubt hat. In ihrem demütigen Glauben bewahrt sie all das, was ihr unver- ständlich ist, in ihrem Herzen. Im Glauben erkennt auch Joseph, der Pflegevater Jesu, seine Berufung, der eng mit dem Geheimnis der Menschwerdung Gottes verbunden ist.

Zum Gehorsam des Glaubens müssen alle Völker geführt werden, weil Gott für alle Men- schen in unsere Welt gekommen ist, weil Gottes Liebe universal ist, universal ist sie, aber nicht bedingungslos. Gott respektiert die Freiheit, die er selber dem Menschen geschenkt, die am Morgen der Schöpfung erst den Menschen zum Menschen gemacht hat.

Die Hinführung der Völker zum Glauben aber liegt in der Verantwortung eines jeden, der selber zum Glauben gekommen ist. Das Wort Gottes muss verkündet und als solches ausge- wiesen werden, die Verkündigung macht jedoch keinen Eindruck und sie überzeugt nicht ohne den gelebten Glauben.

Nicht nur deshalb muss der Glaube allen Völkern verkündet werden, weil Gottes Liebe uni- versal ist und weil es in der Natur dr Wahrheit liegt, dass alle sie erfahren, auch deshalb muss dieses Werk geschehen, weil so am ehesten ein geordnetes Miteinander der Men- schen und der Völker möglich ist und weil die differenzierten Probleme unserer moder- nen Welt, die weithin aus dem Niedergang der Religion und des Christentums hervor- gegangen sind, nur so eine Lösung finden können, weil nur so der chaotischen Entwick- lung unserer Zeit Einhalt geboten werden kann.

Der Apostel Paulus ruft einmal aus: „Weh mir, wenn ich das Evangelium nicht verkündete“ (1 Kor 9, 16). Das gilt für uns nicht weniger als für ihn.

*

Der Advent und die Feier der Geburt Christi wollen uns dazu anspornen, dass wir den Glau- ben mit größerem Eifer leben. Es ist der Glaube an den menschgewordenen Gottessohn, der ernsthaft und konsequent gelebt werden muss in einer Welt, die immer mehr ihre Ori- entierung verliert, sowohl im Blick auf das Vorletzte wie auch auf das Letzte. Mit unserem Verhalten, mit unserem Lebenswandel, entscheiden wir heute und morgen über unser ewi- ges Schicksal. Wenn wir uns treiben lassen, gefährden wir nicht nur unsere Ewigkeit, dann zerstören wir auch unser irdisches Leben. Die Hinführung der Völker zum Glauben, die aus der universalen Liebe Gottes folgt und die der Wahrheit des Glaubens als solcher inhärent ist, liegt in der Verantwortung eines jeden, der selber zum Glauben gekommen ist. Der Glaube muss vermittelt und aufgewiesen werden durch das Wort, aber die Verkündigung macht keinen Eindruck ohne den gelebten Glauben. Amen.

 

PREDIGT ZUM 3. ADVENTSSONNTAG, GEHALTEN AM 16. DEZEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN

           „BIST DU ES, DER DA KOMMEN SOLL, ODER SOLLEN WIR
AUF EINEN ANDEREN WARTEN“

Aus der Frage der Johannes-Jünger an Jesus, die den Kern des heutigen Evangeliums bil- det, sprechen Zweifel und Ungeduld. Die Situation entbehrt nicht der Tragik: Im Kerker ver- liert Johannes der Täufer die Orientierung, gerät er für eine Weile ins Schleudern. Das ist allzu menschlich, zumal ein Gefängnis in damaliger Zeit nicht zu vergleichen ist mit unse- ren Gefängnissen heute, zumindest nicht mit denen in unserer westlichen Welt. Jesus hatte den Täufer den Größten der von einer Frau Geborenen genannt, dennoch wird er versucht.

Der Zweifel und die Ungeduld des Täufers erinnern uns an die Versuchbarkeit, der wir alle unterliegen, an die Zweifel, die uns angesichts der Verborgenheit Gottes und angesichts seiner scheinbaren Ohnmacht überfallen können, und an die Ungeduld, die die Geduld Gottes mit dem Menschen gerade in denen hervorrufen kann, die sich ernsthaft um das Ge- bet und um die Gebote Gottes bemühen.

Unsere Zweifel und unsere Ungeduld bedrängen uns um so mehr, je schwieriger die Situa- tion ist, in der wir uns befinden, sei es, dass uns körperliche, sei es, dass uns seelische Übel plagen.

*

Der Zweifel gehört zum Glauben. Das heißt nicht, dass alle Gläubigen mit ihm konfrontiert werden. Es gibt Menschen, denen Gott besonders viele Gnaden schenkt. Wir beten ja auch um die Tugend des Glaubens oder besser: Wir sollten es tun. Die meisten Gläubigen wer- den aber irgendwann einmal von Zweifeln erfasst, im Alter oder in einer schweren Krank- heit oder in äußerster Verlassenheit. Diese Möglichkeit wird immer wieder Wirklichkeit, weil der Glaube das Überzeugtsein von unsichtbaren Wirklichkeiten ist, wie es der Hebrä- erbrief ausdrückt (Hebr 11, 1).

Mit dem Glauben hat es seine besondere Bewandtnis: Man kann ihn leugnen, und man muss ihn bekennen, unter Umständen muss man mit dem Leben für ihn eintreten. Das liegt nicht daran, dass er ein subjektives Meinen ist, eine unsichere Angelegenheit oder eine Zusammenfassung von unvernünftigen Behauptungen, wie man gesagt hat, das liegt viel- mehr daran, dass er sich auf eine Person richtet, auf Gott, und auf weltjenseitige Wirk- lichkeiten, die uns durch das Wort Gottes mitgeteilt werden, dass er sich auf eine Person richtet, die uns im Alltag nicht begegnet, und auf Mysterien, die nicht ein Gegenstand die- ser Welt sind.

Zum Glauben gehört immer ein Vertrauensmoment und ein Moment der Liebe. Das gilt schon, wenn wir einem Menschen Glauben schenken. Ich glaube einem Menschen, wenn ich weiß, dass er über einen Gegenstand oder über einen Vorgang informiert ist und dass er zuverlässig ist oder wahrhaftig. Ich muss ihm dann nicht Glauben schenken - der Glaube ist ein freier Akt -, wenngleich die Verweigerung des Glaubens ein Unrecht wäre gegen- über einem Menschen, der mich wahrheitsgemäß informiert, aber ich muss ihm nicht Glau- ben schenken, weil mir ja hier die eigene Einsicht fehlt. Das ist in diesem Fall anders als bei unmittelbaren Erfahrungsgegebenheiten oder bei unmittelbar einsichtigen Tatbestän- den. Darum kann es hier Zweifel geben. So ist es auch mit dem Glauben an Gottes Offen- barung. Ich muss wissen, dass Gott ist und dass er gesprochen hat. Dann kann ich ihm Glauben schenken. Ich kann ihm dann aber auch den Glauben verweigern, aus Stolz, aus Bequemlichkeit, aus Gleichgültigkeit oder aus Besserwisserei. Und so geschieht es oft. Der Glaube hat es eben mit der Vernunft und dem Willen zu tun. Darum muss er bekannt werden und darum kann er geleugnet werden.

Im Glauben schwingt immer das Moment des Vertrauens und der Liebe mit. Darum auch ist der Unglaube Sünde, darum erregt er den Zorn Gottes und darum zieht er das Unheil nach sich. Für Dummheit kann ich keinen Menschen bestrafen - das tut auch Gott nicht -, wohl aber für Bosheit. So macht es auch Gott. Das muss man heute betonen, weil solche ele- mentaren Wahrheiten heute auch in der Verkündigung vielfach ausgelassen, wenn nicht gar geleugnet werden.

Wenn ich einem glaubwürdigen Menschen den Glauben verweigere, werde ich schuldig an ihm, so ist es auch bei Gott: Ich leugne ihn oder erhebe mich über ihn, ich missachte ihn oder stelle seine Herrschaft und seine Macht in Frage. Der Glaube hat also immer et- was mit der Anerkennung einer Person zu tun, und mit dem, was jemand mir sagt. Deshalb ist es immer möglich, dass er durch Zweifel verdunkelt wird. Das gilt umso mehr, je unge- wöhnlicher die Inhalte sind, die uns da mitgeteilt werden.

Angesichts der Zweifel des Täufers werden wir daran erinnert, dass selbst der Prophet in die Dunkelheit der Anfechtung geraten kann. Davon erfahren wir allerdings auch sonst immer wieder im Alten Testament wie auch im Leben der Heiligen.

In Zweifel geraten können wir angesichts der Ungerechtigkeit der Welt, angesichts der Übermacht des Bösen, angesichts der Leiden, die Gott uns schickt, und angesichts der Er- folglosigkeit unseres Bemühens. Das gilt auch dann, wenn wir treu unserem Glauben leben und uns bemühen, Gott zu dienen in unserem Leben.

Das sind Prüfungen Gottes, die im Gebet und im Opfer, in der Entsagung und in der Selbst- verleugnung überwunden werden können.

Eng verwandt mit dem Zweifel ist die Ungeduld. Sie stellt sich vor allem ein angesichts der Langmut Gottes.

Im 2. Petrusbrief lesen wir: Wenn Gott seine Verheißungen so lange hinauszögert, wenn der Tag Gottes, die Wiederkunft Christi, so lange auf sich warten lässt, wenn die Leiden so lange dauern, so müsst ihr bedenken: „Vor Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag“ (2 Petr 3, 8). Und Gottes Langmut ist eine Gnade für euch, er schenkt sie, damit umso mehr Menschen zur Einsicht und somit zur Umkehr kommen (2 Petr 3, 8 ff). Der Apostel Paulus erklärt, die Langmut Gottes sei der erste Wesenzug seiner Liebe (Rö 2,4). Man kann Gottes Langmut auch seine Geduld nennen.

Die Ungeduld gehört zu unserer menschlichen Gebrochenheit - auch der Täufer blieb von ihr nicht verschont -, aber wir können sie überwinden, wenn wir uns klar machen, wie kurz die Zeit ist, wie schnell unser Leben zu Ende geht und wie bald Gott das endgültige Urteil über unser Leben spricht. Aber auch hier bietet sich vor allem das Gebet an und, in Ver- bindung damit, die Selbstverleugnung, wie bei dem Zweifel.

Die Ungeduld führt heute viele in die Resignation. Sie sagen dann etwa „es hat doch alles keinen Zweck“ und legen die Hände in den Schoß. Oder sie stellen resigniert fest „das Be- ten hilft auch nicht weiter“ oder „mein Kämpfen für die Sache Gottes ist doch vergeblich“ oder „den Lauf der Geschichte kann niemand aufhalten“.

Wenn man genauer hinschaut, sieht man, dass die Geduld die Feuerprobe des Glaubens ist. Deshalb erklärt Jesus gemäß dem Lukas-Evangelium: „In der Geduld werdet ihr das Le- ben finden“ (Lk 21, 19).

*

Das Evangelium von Johannes dem Täufer, der in der Dunkelheit des Kerkers auf seinen Tod wartet, erinnert uns an dessen Zweifel und an dessen Ungeduld. Im Gefängnis verliert er eine Weile den Boden unter seinen Füßen. In solcher Anfechtung reift er jedoch, so dass er schließlich gelassen sterben kann für den, der da kommen soll.

Die Versuchbarkeit gehört zu unserem Menschsein. Versuchbar waren schon die Menschen in der Urstandsgnade. Sonst gäbe es nicht die Erbsünde. Die Versuchung ist noch nicht die Sünde. Gott lässt sie über uns kommen, die Versuchung, damit wir durch sie innerlich wachsen, über uns selbst hinauswachsen, gegebenenfalls. Das geschieht, wenn wir demü- tig sind und auf Gott unsere Hoffnung setzen, auf ihn vertrauen.

Der Zweifel und die Ungeduld des Täufers erinnern uns an die Versuchbarkeit, der wir alle unterliegen, an die Zweifel, die uns angesichts der Verborgenheit Gottes und angesichts seiner scheinbaren Ohnmacht überfallen können, sowie an die Ungeduld, die die Geduld Gottes mit dem Menschen gerade in denen hervorrufen kann, die sich ernsthaft um das Ge- bet und  um die Gebote Gottes bemühen. Die Versuchungen des Zweifels und der Unge- duld, überwunden werden sie durch das Gebet und durch das Opfer, durch die Entsagung und durch die Selbstverleugnung. Amen.  

 

PREDIGT ZUM 2. ADVENTSSONTAG, GEHALTEN AM 9. DEZEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„BEKEHRT EUCH, DENN DAS REICH GOTTES IST NAHE“

Das Evangelium des heutigen Sonntags hat die Bußpredigt des Johannes des Täufers zum Inhalt. Sie gilt der Vorbereitung auf die kommende Gottesherrschaft, die schon das zen- trale Thema der alttestamentlichen Propheten ist und die auch der eigentliche Inhalt der Verkündigung des Täufers wie auch der Verkündigung Jesu ist. Statt von der Gottes- herr- schaft können wir auch vom Reich Gottes sprechen. Der Evangelist Matthäus spricht immer vom Reich des Himmels. Im einen Fall geht es um den dynamischen Aspekt dieser Wirk- lichkeit, im anderen um den statischen. Gemeint ist hier zunächst das messianische Reich, die Herrschaft Gottes in der erlösten Welt, dann aber ihre Vollendung, die mit der Wieder- kunft des Erlösers anhebt. Konsequenterweise verkündet der Täufer das Reich Gottes als unmittelbar bevorstehend, während Jesus es als gegenwärtig und als zukünftig zugleich verkündet.

Die Bußpredigt des Täufers ist streng und drohend in ihrem Ernst. Sie erinnert uns an die Weise, wie die Propheten des Alten Testamentes predigten, vor allem an die Propheten Elija und Jesaja, die im neunten und achten vorchristlichen Jahrhunderts wirkten, der eine im Nordreich, der andere im Südreich. Sie verweist dabei auf das Jüngste Gericht, das vorbereitet wird durch das messianische Gericht. Ihr Adressat sind in erster Linie die Phari- säer und die Sadduzäer, die zu Johannes gekommen sind, aber nicht nur sie, auch die Volksmassen.

Johannes hatte mit seinem Auftreten, das wohl nur eine kurze Zeit währte, eine starke reli- giöse Bewegung entfacht. Die Menschen kamen zu ihm, in Scharen, um seine Rede zu hö- ren und um sich taufen zu lassen. Unter ihnen waren auch nicht wenige Pharisäer und Sadduzäer. Auch sie wollten den Täufer hören und sich taufen lassen. Aber nicht nur. Sie waren wohl auch gekommen, um den Volksauflauf kritisch zu beobachten. Darum sind die scharfen Worte des Täufers vor allem gegen sie gerichtet. Sie sollen aus ihrer falschen Heilssicherheit herausgeholt werden. Sie waren selbstgerecht und stolz und rechtfertigten ihre veräußerlichte Frömmigkeit, so die Pharisäer, und ihre Lauheit, so die Sadduzäer, mit der Tatsache, dass sie Kinder Abrahams waren.

Auch unter uns sind viele Pharisäer und Sadduzäer in diesem Sinne. Und vielleicht gehö- ren wir selber zu einer dieser beiden Kategorien, zuweilen.

Rechtfertigten die Pharisäer und die Sadduzäer damals ihre Selbstgerechtigkeit, ihren Stolz, ihre seelenlosen Frömmigkeitsübungen und ihre  Lauheit mit der Tatsache, dass sie Kinder Abrahams waren, geschieht das heute mit dem Hinweis darauf, dass Gott uns liebt, dass er uns nicht straft, dass es Gott auf unsere Werke nicht ankommt.

Diejenigen, die die Bußpredigt des Täufers hörten, wussten noch, dass Gott uns zürnt und dass er uns straft, wenn wir nicht ihm, sondern uns selber dienen, wenn wir nicht seine Ehre suchen, sondern die unsere. Aber sie redeten sich ein, der Zorn Gottes und seine stra- fende Gerechtigkeit werde nur die Heiden treffen. Demgegenüber heißt es heute oft: Gott straft nicht, wir sind erlöst, und Gott liebt uns alle in gleicher Weise, unabhängig davon, wie wir denken, reden und handeln, und niemand kann verloren gehen. Im einen wir im anderen Fall handelt es sich um eine verhängnisvolle Verfälschung des Gotteswortes und der Absichten Gottes.

Der Bußruf des Täufers richtet sich an alle. Das ist nicht anders bei Jesus. Gott braucht uns nicht, aber wir brauchen ihn. Der Täufer hält den Selbstgerechten und Stolzen entgegen: Gott kann auch aus den Steinen dem Abraham Kinder erwecken, er kann ein neues Israel schaffen, wenn das alte versagt. Das gilt auch heute. Auf die Bekehrung kommt es an. Sie ist in die Hand eines jeden Einzelnen gelegt, sie ist aber die Voraussetzung dafür, dass wir gerettet werden. Sie beinhaltet die Umkehr im Denken und Wollen, woraus die entspre- chenden Taten hervorgehen. Darauf verpflichtet die Taufe des Täufers, die nicht leichtfertig und nicht nur äußerlich empfangen werden darf. Gleiches gilt für die Taufe, durch die wir in die messianische Gemeinde des neuen universalen Gottesvolkes aufgenommen wurden. Unter diesem Aspekt spricht Jesus nicht anders als der Täufer: Die Umkehr duldet keinen Aufschub, heute fallen die Würfel für das Morgen, wenngleich wir bedenken müssen, dass vor Gott tausend Jahre wie ein Tag sind (2 Petr 3, 8). Allen droht das Gericht. Aber die, die umkehren, werden in ihm bestehen. Eindrucksvoll ist das Bild vom Weizen und von der Spreu, das Johannes hier verwendet.

Der Täufer fordert nicht nur die Umkehr, er illustriert sie auch durch sein Leben. Sein Blut- zeugnis zeigt die letzte Konsequenz der Haltung, um die es hier geht. Jesus nennt ihn den Größten (Mt 11, 11) und stellt ihn uns damit als Vorbild hin.

Von daher bedeutet die Umkehr für uns, dass wir die Einsamkeit in unser Leben einlassen sowie das Fasten, das Opfer und die Entsagung und das Gebet, wie der Täufer es getan hat, auch wenn wir dabei nicht so heroisch sind wie er. Von daher bedeutet die Umkehr, dass wir Gott mehr fürchten als die Menschen und dass wir in der Welt Gottes mehr und mehr heimisch werden, als Fremdlinge in dieser Welt (1 Petr 2, 11), dass wir unser Verhal- ten, unser Tun und Lassen, nicht von dem bestimmen lassen, was die anderen tun und la- ssen, und dass wir eigenständig denken und reden und handeln.

Der Täufer wusste, was er wollte, und er sprach eine klare Sprache. Er forderte und lebte die Konsequenz der Wahrheit und damit die Absage an alle Halbheit und an alle Feigheit. Das gehört auch zur unserer Umkehr. Damit stellen wir uns indessen gegen eine Welt des Unrechtes, des Stolzes, der Ungerechtigkeit, der Herzlosigkeit, der Genusssucht und der Gottlosigkeit.

In dieser Gestalt ist die Umkehr ein lebenslanger Prozess. Jeden Tag müssen wir sie aufs Neue üben und einüben. Mit größerem Eifer muss das jedoch in den Tagen der Vorberei- tung auf die Geburt Gottes in dieser Welt geschehen. Das religiöse Leben muss wieder mehr in das Zentrum unseres Alltags treten, dazu ruft uns der Täufer auf. Er tut das mit be- schwörenden Worten, mit Worten, die nicht überholt sind, die heute genau so gelten wie vor 2000 Jahren. Es geht um unsere Ewigkeit. Heute und morgen bauen wir an ihr.

Der heilige Johannes, der die Umkehr in heroischer Weise gelebt hat, er möge uns ein Für- sprecher sein in der Ewigkeit, die nun schon seit zwei Jahrtausenden sein Anteil ist. Amen.

 

PREDIGT ZUM 1. ADVENTSSTONNTAG, GEHALTEN AM 2. DEZEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„WACHET ALSO, DENN IHR WISST NICHT, AN WELCHEM TAG
DER HERR KOMMEN WIRD“

Das Thema des 1. Adventssonntags ist die Wachsamkeit, die Bereitschaft. Darum geht es auch in den kommenden Wochen. Die Wachsamkeit oder die Bereitschaft ist das Thema der ganzen Adventszeit, zugleich aber auch das Grundthema des christlichen Lebens schlechthin, wenn wir es ernst nehmen. Wir gehen einer großen Zukunft entgegen seit dem Tag, an dem uns das göttliche Leben in der heiligen Taufe gespendet wurde, wissen aber nicht, wann diese Zukunft anbrechen wird. Daher müssen wir wachsam sein und uns immer bereit halten, da wir das neue Leben - so sagt es die Heilige Schrift - in zerbrechlichen Gefäßen tragen (2 Kor 4, 7). Diese Wirklichkeit muss uns in dem heute beginnenden neuen Kirchenjahr begleiten und in allen Kirchenjahren, die Gott uns noch schenken wird.

*

Ein altes Sprichwort sagt: Wer schläft, der sündigt nicht. In der Tat, wer schläft, der sündigt nicht. Aber der Schlaf kann auch als solcher sündhaft sein. Denn wenn wir zur unrechten Zeit schlafen, versäumen wir unsere Aufgaben. Das Schlafen ist also nicht in jedem Fall gut. Gut ist es nur in der rechten Ordnung. Niemals gut ist der geistige Schlaf. Ihn schlafen wir, wenn wir in den Tag hineinleben, wenn wir uns treiben lassen, träge, gedankenlos, gleichgültig und verantwortungslos. Der Schlaf des Leibes ist notwendig, unser Geist aber muss immerfort wachen, immerfort muss er aufmerksam sein und lebendig. Das verlangt schon unser Menschsein, erst recht unser Christsein. Um dieser Wachheit willen haben die Heiligen nicht selten den Schlaf des Leibes abgekürzt. In Nachtwachen, die sie mit dem Gebet verbanden, suchten sie Gott näher zu kommen. Von fast allen Heiligen wird uns berichtet, wie sie so die natürliche Trägheit, wie sie so Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit zu überwinden trachteten, um stets für den Anruf Gottes bereit zu sein.

Unser Geist muss immerfort wach und lebendig sein, weil all unsere Stunden Gott gehören, weil Gott immer wieder auf uns zukommt, in den Ereignissen wie auch in den Menschen. Unser Geist muss wach und lebendig bleiben, weil wir nur so erkennen, was die Stunde geschlagen hat. Entgeht uns das aber und erkennen wir Gott nicht, wenn er heute und morgen auf uns zukommt, dann verfehlen wir ihn, wenn er einmal endgültig kommt. So sagt es uns in eherner Konsistenz die Heilige Schrift.

Die fünf törichten Jungfrauen, die die Stunde Gottes verschlafen hatten, mussten draußen vor der Tür bleiben, sie wurden ausgesperrt. Sie erhielten die enttäuschende Antwort: Ich kenne euch nicht (Mt 25, 12). Und schneller als wir denken, ist die Zeit der Bewährung vor- über. Auch das zeigt uns das Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen.

Die heute beginnende Adventszeit will uns aufrufen, der Nacht, der geistigen Nacht, end- gültig zu entrinnen, und wie am Tage zu wandeln, jede Stunde des Lebens ernst zu neh- men, und aufzuhören, in den Tag hineinzuleben, gleichgültig zu sein, gedankenlos, verant- wortungslos und träge.

Wenn wir in geistiger Wachheit leben, leben wir enthaltsam oder zuchtvoll, das heißt, nicht in der Maßlosigkeit, nicht in Völlerei und Trinkgelagen, nicht im Missbrauch der Triebe oder der Gaben, die Gott uns geschenkt hat, und nicht in Streit und Eifersucht. Und wenn wir zuchtvoll und diszipliniert leben, dann bewahren wir uns die Wachheit des Geistes. Die körperliche Trägheit geht aus der geistigen hervor und steigert sie noch. Sind wir maßvoll im Essen und Trinken, leben wir auf diese Weise zuchtvoll, bleiben wir geistig wach und bedürfen nicht einmal mehr der Flucht in den Genuss und in den Rausch, um zu vergessen.

Wachheit des Geistes, dem Tag angehören, das bedeutet nicht nur maßvoll sein im Essen und Trinken, das bedeutet auch, sich der Unzucht und der Ausschweifungen enthalten. Die- se Laster grassieren heute noch mehr als die Laster der Völlerei und der Trunksucht. Sie sind das Produkt einer schlafenden Christenheit und führen uns immer tiefer in die Nacht hinein. Sie verdunkeln den Geist und führen uns in immer neues und tieferes Leid.

Die Tugend der Reinheit dient der Menschenwürde und bewahrt uns ein fröhliches Herz. Sie öffnet uns für Gott, mehr als andere Tugenden, und hilft uns, selbstlos zu leben. Ohne diese Tugend ist die Menschenwürde nichts anderes als eine pathetische Deklamation, geht sie weiter verloren in unserer Welt, schmilzt sie dahin wie der Schnee in der Sonne. Unzucht und Ausschweifung sind heute der eigentliche Grund vieler Verirrungen der Gei- ster und darüber hinaus eine gigantische Irreführung der Menschen unserer Tage. Aus ihnen geht eine Fülle von Problemen hervor. Es ist schicksalhaft, dass nur wenige diese Zu- sammenhänge erkennen.

Wachheit des Geistes, das bedeutet endlich die Überwindung von Streit und Eifersucht, die stets ein Ausdruck der Überschätzung der eigenen Person sind. Wenn wir nach Gott Aus- schau halten, wenden wir den Blick von uns selber ab, überwinden wir unsere fatale Ich- verliebtheit. Wir werden dann demütig und vergebungsbereit, selbstlos und friedfertig.

Wach und bereit sein, das bedeutet ein ehrbares Leben führen, in der Zucht des Geistes, in der Reinheit des Herzens und in demütiger Dienstbereitschaft.

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Mit dem Gegensatzpaar von Licht und Finsternis beschreibt das Neue Testament das Le- ben des Jüngers Christi, das bestimmt ist von der Freundschaft Gottes und von der Be- rufung zur ewigen Gemeinschaft mit Gott. Das Leben des Jüngers Christi gehört dem Licht und dem Tag, nicht der Dunkelheit und der Nacht. Mit wachem Geist geht er der Ewigkeit entgegen, dem Tag der Wiederkunft Christi. Damit tritt er aber in Gegensatz zu der ihn umgebenden Welt. Diese wird nämlich weithin von der Dunkelheit bestimmt. Wir gehen einer großen Zukunft entgegen, wissen aber nicht, wann sie anbrechen wird, weshalb wir wachsam sein und uns immer bereit halten müssen, da wir unsere Berufung verlieren können. Ein bedeutender Ausdruck unserer wachsamen Bereitschaft ist ein Leben in der Zucht des Geistes, in der Reinheit des Herzens und in demütiger Dienstbereitschaft. Amen.

 

PREDIGT ZUM CHRISTKÖNIGSFEST, GEHALTEN AM 25. NOVEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„MEIN REICH IST NICHT VON DIESER WELT“

Wir begehen heute, am letzten Sonntag des Kirchenjahres, das Christkönigsfest, ein Fest, das noch nicht einmal hundert Jahre alt ist. Alt ist das Geheimnis dieses Festes, neu ist sei- ne Aktualisierung in dieser Gestalt. Das Bekenntnis zu Christus, dem König, darum geht es am heutigen Festtag. Dieses Bekenntnis ist so etwas wie eine Kurzform des christlichen Glaubens. Der zentrale Inhalt der Verkündigung Jesu war die Königsherrschaft Gottes oder das Königreich Gottes. Mit dieser Königsherrschaft Gottes aber hat er sich mehr und mehr identifiziert. Mehr und mehr mussten die Hörer seiner Botschaft erkennen, dass er selber die Königsherrschaft Gottes war, er in seiner Person. Vor Pilatus erklärt er dezidiert: „Ja, ich bin ein König“. Über seinem Kreuz war eine Tafel angebracht mit der Inschrift: „Jesus von Nazareth, der König der Juden“. Aber er war mehr als das. Das wussten jene, die ihm gefolgt waren.

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Könige begegnen uns heute nicht mehr, und doch weiß jeder, was er darunter zu verste- hen hat. Gewiss, es gibt noch Könige, die sind jedoch bedeutungslos. Sie haben nur noch einen symbolischen Sinn. Aber die Idee, die dahinter steckt, erahnen wir, ohne dass man uns das genau erklärt. Selbst ein Kind weiß darum. Das Königtum bezeichnet eine Urwirk- lichkeit, wie Vaterschaft und Mutterschaft. Ein König ist etwas anderes als ein Präsident oder ein Regierungschef. Sie sind abhängig von ihren Wählern, die sie vertreten, die Präsidenten und die Regierungschefs, sie tragen ein Mandat. Für den idealen König aber gibt es nur die Abhängigkeit von Gott, den er vertritt, an dessen Stelle er steht. Und ihm kommt sein Amt zu von seiner Geburt her, es hängt am Adel seiner Person. Er ist heraus- genommen aus der Schar der übrigen Menschen. In vielen Kulturen wurde das sichtbar durch eine Art von Weihe oder durch eine Salbung, die man an ihm vollzog. Damit wollte man zum Ausdruck bringen, dass er in die Region des Heiligen gehört. Oft wurde er gar als Sohn Gottes angeredet. So geschah es auch in Israel, obwohl man das hier in einem über- tragenen Sinn verstand, denn es gab ja nur den einen Gott, ein wenig anders verhielt es sich damit in der Zeit des Neuen Testamentes, in dem uns das trinitarische Geheimnis na- hegebracht wird.

Aufgabe des Königs, des idealen Königs, ist es, den Menschen Frieden, Freiheit, Sicherheit und Wohlstand zu bringen. Das erwartete man in Israel, in der Zeit des Alten Testamentes, von Anfang an in vollendeter Weise von der Königsherrschaft Gottes, die kommen sollte. Gott selbst wird König sein, das war der entscheidende Ausdruck der Hoffnung des auser- wählten Volkes. Die Königsherrschaft Gottes ist von alters her der Inbegriff der Hoffnung in Israel. Sie sollte mit dem Kommen des Messias anbrechen. Der Messias sollte Gottes Königsherrschaft auf die Erde bringen. Ja, ihn selbst dachte man sich als König, als König und Priester, denn „Messias“ heißt nichts anderes als “der Gesalbte”. Gesalbt aber wurden Könige und Priester.

Zum König gehört ein Reich, das heißt ein Raum, in dem seine Herrschaft gilt, in dem er sein Königtum ausübt. Während der irdische König die Unterwerfung seiner Untertanen er- zwingt, appelliert die Herrschaft Gottes an die Freiheit des Menschen. Darum sagt Jesus zu Pilatus: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt“ (Joh 18, 36).

Im Anschluss an solche Gedanken entwickelt der heilige Augustinus vor 1500 Jahren das gi- gantische Bild von den zwei Reichen, die miteinander in Widerstreit stehen in dieser Weltzeit, von dem Reich Christi und dem Reich Satans. Darin sieht er den eigentlichen Sinn der Geschichte. Eine genialere Deutung der Wirklichkeit im Geist der Botschaft des Christentums gibt es nicht.

Dieser gigantische Kampf zwischen den beiden Reichen ist der Raum, in dem wir uns als Christi Jünger bewähren müssen.

Im Blick auf den Kampf der beiden Reiche, in den wir hineingestellt sind, der natürlich ein geistiger Kampf ist, müssen wir heute nüchtern feststellen: Die Feinde des Gottesreiches werden immer dreister und auf ihre Weise immer konsequenter, während die Trägheit, die Bequemlichkeit und die Feigheit und gar die Untreue der Soldaten Christi immer größer wird. Dadurch werden der Gegenspieler Gottes und seine Helfershelfer mehr und mehr an- geeifert und beflügelt. Sie sind heute allgegenwärtig, und ihre Zahl wächst zusehends.

Ihre Kanzeln sind glaubens- und sittenlose Zeitschriften und glaubens- und sittenlose Fern- seh- und Hörfunksendungen. Neuerdings kommt noch das Internet hinzu. Und wir alle, die wir dazu schweigen oder gar uns selbst daran ergötzen, wir verraten unsere Berufung.

Der Kampf der beiden Reiche, in den wir hineingestellt sind, ist ein geistiger Kampf, aber auch der macht Mühe, auch dabei kann, ja muss man Wunden einstecken, Wunden, die im Grunde mehr schmerzen als jene des Leibes.

Die Herrschaft Christi ist unsere Aufgabe. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass die Men- schen sie anerkennen. Das unsichtbare Reich Christi muss in dieser Welt sichtbar werden durch uns. Viele Chancen versäumen wir. Gerade heute warten die Menschen auf die Zeu- gen Christi und seiner Kirche, die allzu rar geworden sind. Viele hungern, aber es ist nie- mand da, der ihnen die Schönheit des Reiches Christi aufzeigt und die Dringlichkeit der Entscheidung für dieses Reich. Wir alle sind gefragt. Es geht um die Rettung der Menschen und um die Rettung der Welt. So will es Gott. Ja, so will es auch die Vernunft, wenn wir sie nur gebrauchen.

Wenn Christus einst kommen wird auf den Wolken des Himmels, so heißt es im letzten Buch des Neuen Testamentes, werden seine Feinde wehklagen (Apk 1, 7). Allein, wir brau- chen einen langen Atem. Der Glaube und der Auftrag, der mit ihm verbunden ist, sind ein wunderbares Geschenk. Nur müssen wir diesen Glauben und den mit ihm verbundenen Auftrag in der rechten Perspektive sehen.

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Auf dem Petersplatz in Rom erhebt sich ein Obelisk - das ist eine frei stehende Säule - aus der Zeit des Kaisers Nero. Sie ist beinahe 2000 Jahre alt. Einst ein heidnisches Symbol, ist sie heute ein Zeichen der Unvergänglichkeit des Reiches Christi, wenn sie gekrönt ist mit dem Kreuz und die Inschrift trägt: Christus ist Sieger, Christus ist König, Christus ist Herr- scher. Das ist er, für immer, auch wenn wir uns ihm nicht unterwerfen und nicht für ihn kämpfen. Aber weh uns, wenn wir es nicht tun und uns in den Dienst des Fürsten dieser Welt stellen, es sei denn, wir  sind ohne unsere Schuld blind geworden. Wenn wir uns in den Dienst des Fürsten dieser Welt stellen, gefährden wir nicht nur unsere Ewigkeit, wir werden dann auch schuldig an der Zerstörung unserer Welt, denn es gibt keinen Frieden, keine Freiheit und keine Sicherheit und auch keinen dauernden Wohlstand für alle ohne Christus. Wo er nicht anerkannt wird und wo man ihn verachtet, wo man keine Notiz nimmt von seinem Reich der Wahrheit und des Lebens, von seinem Reich der Heiligkeit und der Gnade, von seinem Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens, da entsteht das Chaos, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinne. Das gilt immer, mehr als sonst aber in unserer kompliziert gewordenen Welt, die mehr Möglichkeiten in sich birgt als je zuvor, im Positiven wie im Negativen. Amen.

 

PREDIGT ZUM 33. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 18. NOVEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN
          
„DASS DU ES DOCH ERKANNT HÄTTEST
AN DIESEM DEINEM TAGE, WAS DIR ZUM HEILE DIENT“

Im Evangelium des heutigen Sonntags spricht Jesus in einer Prophetie von der Zerstörung Jerusalems durch die Römer, die einige Jahrzehnte nach seinem Tod erfolgt ist. Ausgra- bungen und alte Quellen bestätigen uns, dass die Prophezeiung Jesu sich erfüllt hat, dass kein Stein auf dem anderen geblieben ist, als die Römer im Jahre 70 unter dem Feldherr Titus anrückten und die heilige Stadt und den herrlichen Tempel, an dem man 84 Jahre gebaut hatte, in Schutt und Asche legten. Seitdem Salomon beinahe 1000 Jahre zuvor den ersten Tempel gebaut hatte, war dies der dritte. Zweimal war der Tempel in kriegerischen Auseinandersetzungen wieder zerstört worden. Und dieses Mal war die Zerstörung schlim- mer als zuvor. Was blieb, war die Klagemauer, bis zum heutigen Tag. Historiker schätzen, dass in diesem Krieg, der sieben Jahre währte - man nennt ihn den Jüdischen Krieg -, mög- licherweise gar eine Million Menschen umgekommen sind, und zwar durchweg auf grau- samste Weise. Das hatte Jesus vorausgesehen. Darum hatte er geweint, wie es im 19. Ka- pitel des Lukas-Evangeliums heißt, beim Anblick der heiligen Stadt, und darum hatte er ge- klagt: „Wenn du es doch erkannt hättest an diesem deinem Tage, was dir zum Heile dient“ (Lk 19, 42).

Die Zerstörung Jerusalems ist in der Sicht Jesu ein Gleichnis für das Unheil, das immer wie- der über die Menschen gekommen ist als Folge ihrer Abwendung von Gott, ein Gleichnis vor allem auch für die letzte Drangsal, die über die Menschheit kommen wird. Darum verbindet er mit seinen Voraussagen über die Zerstörung Jerusalems Voraussagen über das Ende der Welt und über seine Wiederkunft am Ende aller Tage.

Er spricht von den Vorzeichen, die dem Ende vorausgehen, hält diese jedoch so allge- mein, dass sie immer gültig sind - mehr oder weniger - in allen Jahrhunderten, von seiner Auferstehung und von seiner Himmelfahrt an. Es sind die Schrecken, die immer wieder vorkommen in der Geschichte der Menschheit, wie Kriege, Aufstände, Erdbeben, Seuchen, Hungersnöte, falsche Propheten und Verfolgungen, Drangsale, die die Menschen fortwäh- rend begleiten auf ihrem Weg durch die Zeit. Für Jesus sind sie die Folge ihrer steten Ab- wendung von Gott und ihrer Verstocktheit und ihrer Hartnäckigkeit im Sündigen. Die Bos- heit der Menschen wächst, und mit ihrer Bosheit wächst das Ausmaß der Strafe Gottes. Das ist wie ein Teufelskreis. Also: Leid und Tod, Katastrophen und viele Nöte bestimmen unser Leben bis Christus einst wiederkommt. Das ist nicht deshalb so, weil Gott es so will, son- dern weil wir es so wollen.

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Der zentrale Begriff unseres Evangeliums ist der des Endes. Die durch ihn bezeichnete Wirklichkeit ruft gegensätzliche Empfindungen in uns hervor: Freude und Trauer, Schmerz und Seligkeit, Sehnsucht und Sorge, hier, in unserem Zusammenhang, aber auch sonst: Wir freuen uns auf das Ende, wenn eine schwere Zeit zu Ende geht, wir trauern, wenn eine glückliche Zeit sich neigt. Immer hat unser Leben zwei Aspekte. Es ist schön und schwer zugleich. Freude und Trauer, Hoffnung und Angst bestimmen es. Mit diesen Worten beginnt die Pastoralkonstitution des II. Vatikanischen Konzils „Über die Kirche in der Welt von heute“. Mal überwiegt das eine, das Schöne, in unserem Leben, mal das andere, das Schwere.

Auch das endgültige Ende hat zwei Aspekte für uns. Deshalb ruft die Botschaft von ihm, wenn wir sie recht hören, Freude und Hoffnung, aber auch Trauer und Angst oder Angst und Sorge in uns hervor, muss sie diese Empfindungen in uns hervorufen. Freude und Hoff- nung, weil das Ende uns die Vollendung unserer Erlösung bringen wird. Trauer und Angst oder Angst und Sorge deshalb, weil es das Urteil über unser Leben sprechen wird und weil wir an ihm Rechenschaft ablegen müssen über unser Leben.

Seitdem Jesus vom Ende der Welt und von den Vorzeichen dieses Endes gesprochen hat, hat es in allen Jahrhunderten Menschen gegeben, die meinten, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Schon der Apostel Paulus musste sich mit ihnen auseinandersetzen. Immer gab es solche Schwärmer. Und sie verwiesen auf die von Jesus genannten Vorzei- chen: Kriege, Aufstände, Erdbeben, Seuchen, Hungersnöte, falsche Propheten und Verfol- gungen der Gerechten.

Heute ist die Zahl derer, die das Ende als unmittelbar bevorstehend betrachten, besonders groß. Gleichzeitig gibt es aber unendlich viele, die das Ende völlig aus dem Auge verloren haben, ja, die es nicht mehr wahrhaben wollen. Dieser Tage konnte man in den Zeitungen lesen, dass in der Schweiz nicht einmal mehr jeder Sechste an die christliche Botschaft vom Ende der Welt und der Wiederkunft Christi glaubt.

Auch bei uns ist die Zahl jener groß, die so denken. Für sie hat das Leben keinen Sinn und kein Ziel, sie leben nur ihren vitalen Bedürfnissen. Sie sind unglücklich und zerstören  ihr Leben. Das ahnen sie, auch wenn sie es nicht zugeben. Es gibt in unserem Leben so manche Wirklichkeit, die wir kennen, vor der wir aber die Augen verschließen und um die wir uns selber betrügen.

Die einen meinen, das Ende stehe unmittelbar bevor, vielleicht schon im nächsten Monat oder im nächsten Jahr, die anderen sagen, es gibt dieses Ende gar nicht, oder sie leben so, als ob es das nicht gäbe. Beide Haltungen sind jedoch falsch. Die einen ermahnt das Evangelium des heutigen Sonntags zur Nüchternheit, die anderen zur Gewissenhaftigkeit. Es gilt, dass wir das Ende bedenken und dass wir es immer vor Augen haben, dass wir aber gleichzeitig in Gelassenheit die täglichen Aufgaben erfüllen.

Im Alten Testament lesen wir: „Bei all deinem Tun bedenke das Ende, dann wirst du nie und nimmer Böses tun“ (Sir 7,36). Und „Denk an das Ende und lass ab von der Feindschaft“ (Sir 28, 6). Wenn wir immer an das Ende denken, werden wir in der Freude nicht ausge- lassen sein und im Leid nicht verzweifeln. Haben wir die rechte Sicht von der Gegenwart und von der Zukunft, dann ist unser Leben im Lot.

Wir müssen Gottes Wort so stehen lassen, wie es geschrieben ist, und uns von ihm sagen lassen, was ist und was sein wird. Es gibt keinen Frieden ohne ein Leben mit Gott und ohne die treue Erfüllung seines heiligen Willens. Das gute Beispiel eifert uns an, aber leider gilt für das schlechte Beispiel, dass es uns ansteckt.     

Wenn wir fortwährend das Ende bedenken und es immer vor Augen haben, werden wir nicht den falschen Propheten nachlaufen, die heute zahlreicher sind als je zuvor, und dann werden wir uns durch Verfolgungen nicht davon abschrecken lassen, der Wahrheit die Ehre zu geben.

Was die falschen Propheten angeht, sie haben verschiedene Gesichter. Sie vertreten zum einen den Unglauben und zu anderen den Aberglauben. Das heißt: Sie verführen uns, dass wir zu wenig oder gar nichts mehr glauben - das ist der Unglaube - oder dass wir zu viel glauben - das ist der Aberglaube. Vor allem verdunkeln sie unseren Verstand, damit wir die Verdunkelung unserer Herzen nicht mehr erkennen. Sie machen uns ein gutes Gewissen, wo wir dem Zeitgeist dienen, und sie machen uns unruhig und unsicher, wo wir Christus und seiner Kirche die Treue halten. Die falschen Propheten empfehlen uns stets den leichteren Weg, und stets schmeicheln sie unseren Wünschen und Leidenschaften. Daran kann man sie noch am besten erkennen. Wenn wir auf sie hören und uns mit ihnen verbün- den, entgehen wir der Verfolgung. Aber wie wollen wir dann am Ende vor Gott bestehen?

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Die Voraussagen unseres Evangeliums werden sich erfüllen, und sie haben sich schon zum Teil erfüllt. Der Jüngste Tag wird kommen. Für die meisten Menschen kommt er allerdings in der Gestalt des individuellen Todes. Wir können die Augen verschließen vor den letzten Dingen, halten sie damit aber nicht auf. Nichts ist so unerbittlich wie die Zeit. Wir können nichts Besseres tun, als dass wir uns mit dem Gedanken an das Ende anfreunden, den falschen Propheten nicht nachlaufen und uns nicht fürchten vor den Feinden Gottes. Amen.

 

PREDIGT ZUM 32. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 11. NOVEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN             

„WENN GOTT FÜR UNS IST, WER KÖNNTE DANN
GEGEN UNS SEIN“

In der (zweiten) Lesung dieses Sonntags werden den Thessalonichern drei Grundhaltungen nahe gelegt, drei Grundhaltungen, die auch für uns maßgebend sind, die der Weg zum in- neren Frieden und gleichzeitig die Bedingung dafür sind, dass wir das Ziel erreichen, den Himmel, die ewige Gemeinschaft mit Gott, wovon im Evangelium die Rede ist. Dabei ist zu bedenken, dass erst durch dieses Ziel unser Leben einen Sinn erhält. Denn gibt es nur dies- seitige Ziele für uns, ist letztlich alles sinnlos. In unserer Lesung geht es um die Grundhal- tungen des Gottvertrauens, der Gottesliebe und der Geduld. Das Gottvertrauen geht aus der Gottesliebe hervor, und die Geduld hat ihre Wurzeln im Gottvertrauen.

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Gott lieben, das bedeutet: ihn bejahen, seine Nähe suchen, seinen Willen achten, sein Va- tersein nicht nur glauben, sondern daraus leben. Dass Gott unser Vater ist, das ist die ent- scheidende Aussage des Neuen Testamentes über Gott. Was das bedeutet, das ist uns im Allgemeinen nicht sehr bewusst. Das liegt einmal an unserer Gedankenlosigkeit, die sich besonders verhängnisvoll in unserem religiösen Leben auswirkt, dann liegt das aber auch an den Schwierigkeiten, die uns das Vaterbild und somit die Väterlichkeit in einer weithin orientierungslos gewordenen Zeit bereiten.

Väterlichkeit im idealen Sinne bedeutet Würde und Güte, Größe und Selbstentäußerung, Ferne und Nähe. Sie ist etwas anderes als Brüderlichkeit. Zu ihr gehört das Aufschauen, die staunende Verehrung, aber ebenso die herablassende Liebe, die alle Scheu immer wieder verschlingt.

Wie Kinder, wie gute Kinder, sollen wir vor Gott und mit ihm leben wie vor einem idealen irdischen Vater und mit ihm. Das meint die Gottesliebe. Nicht Gott von Zeit zu Zeit eine Auf- wartung machen, sondern um ihn kreisen in unserem Denken und Handeln.

Wie die Vaterliebe der Kindesliebe vorausgeht, so ist es auch bei der Liebe Gottes zu uns. Gottes Liebe zu uns geht unserer Liebe zu ihm voraus. Sie ist der Grund unseres Heiles, unseres natürlichen und unseres übernatürlichen Heiles. Wir müssen unsere Augen aufma- chen, die Augen unseres Geistes, um das Wirken der Liebe Gottes in unserem Leben zu er- kennen. Unsere Liebe zu Gott ist die Antwort auf seine Liebe uns, aber immer ist sie unend- lich unvollkommen, immer ist sie eine kümmerliche Antwort nur, die bei weitem zurück- bleibt hinter der Liebe, die Gott uns geschenkt hat.

Aus unserer kindlichen Liebe zu Gott, aus dem Umgang mit ihm, aus dem Leben in seiner Gegenwart geht das Vertrauen hervor. Wer einen liebenden Vater hat, der braucht sich nicht zu fürchten. Das Kind vertraut seinem Vater, und das Vertrauen des Kindes ist dem Vater ein Ansporn, dieses Vertrauen nicht zu enttäuschen. Dennoch kann der irdische Vater sein Kind nicht vor allen Gefahren bewahren, er ist begrenzt. Anders ist das aber bei Gott: Seine Macht erstreckt sich über das Diesseits und über das Jenseits, über Zeit und Ewigkeit.

„Wenn Gott für uns ist“, erklärt der heilige Paulus im Römerbrief, „wer könnte dann gegen uns sein“ (Röm 8, 31). Wir können es auch so sagen: Wenn Gott für uns ist, dann können al- le gegen uns sein, dann kann uns niemand und nichts mehr etwas anhaben. Das müssen wir uns immer wieder sagen, wenn wir leiden unter den Anfeindungen der Menschen.

Der Apostel Paulus vertraut in den Schwierigkeiten seines apostolischen Berufes, die er be- drängend erfahren hat, ganz und gar auf Gott. Immer wieder hat er erfahren, wie ihm und den anderen Glaubensboten böse Menschen in den Weg getreten sind. Auch er, der so er- folgreiche Missionar, der sich ganz eingesetzt hat, hat manchen Misserfolg erlebt. Aber er hat nicht resigniert, er hat vertraut, auf Gott, und um Gottes willen hat er auf die Menschen vertraut. Von Gott hat er alles erwartet, der Völkerapostel. So sollen auch wir es machen. Wenn ich einem Menschen vertraue, voll und ganz, heißt das, dass ich alles Gute von ihr erwarte. Um wie viel mehr gilt das für Gott, der nicht begrenzt ist, wie die Menschen es sind. In seiner Absolutheit führt Gott uns nicht nur auf den Wegen dieser Welt, sondern auch über die Schwelle des Todes hinweg.

Aus der liebenden Verbundenheit mit Gott geht immer neu das Vertrauen hervor. Und Gott selber schenkt es uns, das Vertrauen zu ihm, wenn wir uns bemühen und uns dieser Gabe würdig erweisen.

Es ist das Maß der Liebe zu Gott, das unser Vertrauen zu ihm bestimmt und damit das Ver- trauen zu den Menschen und zum Leben. Da besteht ein tiefer innerer Zusammenhang. Im Alten Testament sagt der Dulder Hiob: „Und wenn er mich tötet, ich werde nicht von ihm lassen“ (Hiob 13, 15). In diesem Wort begegnet uns ein aus einer ganz großen Liebe her- vorgehendes Vertrauen.

Aus dem Vertrauen zu Gott - und zu den Menschen und zum Leben - aber erwächst die Ge- duld. Geduldig ist der, der einen festen Stand, der tiefe Wurzeln hat. Anders der unstete flüchtige Mensch, der keinen festen Boden unter den Füßen hat. Er ist ruhelos und ohne inneren Frieden. In der (zweiten) Lesung des heutigen Sonntags meint die Geduld die Aus- dauer in den äußeren Bedrängnissen, speziell im Zusammenhang mit der Erwartung der Wiederkunft Christi. Sehen wir es grundsätzlicher, müssen wir sagen: Geduld haben, das heißt Augenblick für Augenblick den Willen Gottes hier und jetzt zu erfüllen. Das Vorbild der Geduld ist für uns Christus. Denn den Willen seines Vaters zu erfüllen, das war für ihn so etwas wie eine Speise und mehr noch als das.

In den Evangelien wird uns ein schönes Jesus-Wort überliefert. Es lautet: „In der Geduld werdet ihr das Leben finden“ (Mt 21, 19). Wir dürfen ergänzen: das zeitliche und das ewige Leben. Mit unserer Ungeduld bereiten wir uns viel Ungemach, mit ihr zerstören wir letztlich unser Leben. Das gilt zunächst für das natürliche, dann aber auch für das ewige Leben.

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Die Geduld erwächst aus dem Gottvertrauen, das Gottvertrauen aber geht aus der Gottes- liebe hervor. Hier gilt: Das Maß der Liebe ist das Maß des Vertrauens, und das Maß des Ver- trauens  ist das Maß der Geduld. Erst wenn wir Gott vertrauen, können wir in Wahrheit den Menschen und dem Leben Vertrauen schenken. Das Gottvertrauen aber ist die Quelle der Geduld. In ihr, in der Geduld, ruhen wir in Gott, im Wort und in der Tat. Geduld haben, das heißt Augenblick für Augenblick den Willen Gottes hier und jetzt zu erfüllen, getragen vom Vertrauen auf Gott und von der Liebe zu ihm. Amen.

 

PREDIGT ZUM 31. SONNTAG IM KIRCHENJAHR, GEHALTEN AM 4. NOVEMBER 2007
IN FREIBURG, ST. MARTIN

„SELIG SIND DIE TOTEN, DIE IM HERRN STERBEN“

Heute ist der vierte Tag des Novembermonats, der im Ablauf des Kirchenjahres im Zeichen des Gedenkens der Toten und des Todes steht. Eingeleitet wird dieser Monat durch das Allerheiligen- und das Allerseelenfest, zwei Festtage, die eine über 1000 Jahre alte Ge- schichte haben und die uns das christliche Verständnis des Todes und das Schicksal der Toten gemäß dem Glauben der Kirche vor Augen stellen. Die Toten erinnern uns, wenn wir ihrer gedenken, an unseren eigenen Tod. Machen wir uns vertraut mit ihm, wird unser Le- ben reicher und tiefer und wahrhaftiger.

Das Totengedenken ist so etwas wie eine Brücke zur Ewigkeit für uns, eine Brücke, die heute bei vielen von uns zerstört ist. Das hat eine Reihe von Gründen. Viele sind heute be- stimmt vom Geist des Egoismus. Dieser umgibt uns wie eine Atmosphäre und prägt unser Leben. Und die Tugend der Dankbarkeit, sie ist uns weithin abhanden gekommen. Un- dankbar sind wir nicht nur gegenüber Gott, sondern auch gegenüber den Menschen. Zu- dem wird uns das Jenseits immer mehr zur Frage, da allzu viele heute den Menschen auf seine biologische Existenz verkürzen. Und jene, die am Jenseits festhalten, ihnen wird viel- fach das Purgatorium, das Fegfeuer, zur Frage sowie die Strafe, die der Sünde zugeordnet ist, und die Sühne, die uns im Zeichen des Kreuzes zuteil wird. Und endlich hapert es am Vertrauen zu Gott, der unsere Gebete erhört, wenn wir ihn in Demut bitten.

Vergessen wir sie nicht, die Toten, werden sie uns ihrerseits ein Ansporn sein, dass wir in unserem Leben entschieden auf der Seite Gottes stehen, dass wir in dieser Welt gewissen- haft unser Heil wirken und dass wir uns gut vorbereiten auf unsere Begegnung mit Gott jen- seits der Schwelle des Todes.

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Wir sprechen von den Armen Seelen. Arm sind sie in der Tat, denn sie werden gepeinigt von ihrer bitteren Reue und ihrer brennenden Sehnsucht nach Gott. Sie leiden dadurch, wie wenn sie im Feuer brennen und doch nicht verbrennen würden. Das Feuer ist ein Bild, natürlich, denn den reinen Geistern kann das irdische Feuer nichts anhaben, und die rei- nen Geister können auch keine sinnenhaften Schmerzen empfinden.

Die Armen Seelen leiden wie wenn sie von Feuer gequält würden, und sie können ihre Leiden selber nicht abkürzen. Darum sind sie arm. Zugleich aber sind sie reich. Denn sie wissen, dass sie die Prüfung des Lebens bestanden haben, was für uns, die noch Leben- den, noch nicht der Fall ist. Sie haben die Sicherheit des Heiles, wohin wir noch auf dem Weg sind. Darum sind die Leiden der Armen Seelen von unbeschreiblichen Tröstungen begleitet, darum sind die Armen Seelen in ihrer Armut reicher als wir alle. Das darf uns aber nicht dazu verleiten, ihre Leiden zu unterschätzen und uns nicht um sie zu kümmern. Durch unser Gebet können wir ihnen helfen, müssen wir ihnen zu Hilfe kommen. Das ist zugleich eine Pflicht der Liebe und der Dankbarkeit und ein Ausdruck unserer inneren Ver- bundenheit mit ihnen.

Objektiv betrachtet bestehen nämlich enge Bande zwischen den Leidenden im Fegfeuer und uns. Es gilt, dass wir diese in unserem Leben realisieren. Zusammen mit den Vollende- ten im Himmel sind wir mit den Armen Seelen verbunden in der Gemeinschaft der Heili- gen. Diese umfasst die streitende, die leidende und die triumphierende Kirche. Einmal, am Ende der irdischen Geschichte, wird es nur noch die triumphierende Kirche geben, am Ende werden die leidende und die streitende Kirche in die triumphierende aufgenommen. Dann wird es nur noch die Geretteten und die Verlorenen geben - eine herbe Wahrheit.     

Dank der Gemeinschaft der Heiligen, in der wir mit den im Fegfeuer weilenden Seelen ver- bunden sind, können wir ihnen zu Hilfe kommen, können aber auch sie uns zu Hilfe kom- men, ja, können die Vollendeten im Himmel, die selbst keiner Hilfe mehr bedürftig sind, für uns und für die Armen Seelen eintreten.

Die Seligen des Himmels, die triumphierende Kirche, und wir, die streitende Kirche, wir können den Armen Seelen, der leidenden Kirche, ihr Schicksal erleichtern durch unser Ge- bet, genauer: durch unser Gebet und durch unser Opfer, denn das Gebet wird durch das Opfer, durch den freiwilligen Verzicht, verstärkt. Durch unser Gebet und durch unser Opfer oder: durch unser Fasten und Beten können wir den Verstorbenen unsere Liebe und unsere Dankarkeit und unsere Verbundenheit über das Grab hinaus schenken.

Heute gerät das Gebet für die Verstorbenen mehr und mehr in Vergessenheit. Das ist letzt- lich bedingt durch unsere Selbstgenügsamkeit, durch unsere wachsende Isolierung, durch unsere Vereinzelung, und, mehr noch, durch unseren schwach gewordenen Glauben.

Der heilige Augustinus (+ 430) schildert uns in seinen „Bekenntnissen“ mit ergreifenden Worten den Tod seiner Mutter Monika. Das war um das Jahr 400. Sie starb auf der Reise von Mailand zurück in die nordafrikanische Heimat vor den Toren der Stadt Rom, in Ostia am Meer. Die letzten Worte der sterbenden Mutter lauten, so schreibt der heilige Sohn: Begrabt mich, wo ihr wollt, aber gedenket meiner am Altar! Die Sorge für die Seele ist wichtiger als die Sorge für den Leib, auch über den Tod hinaus.

Die Pflege der Gemeinschaft mit den Abgeschiedenen und das Gebet für sie, das sollen wir neu einüben in diesem Monat.

Vergessen haben es viele von uns, dass wir in diesen Tagen, in der Oktav des Allerheili- genfestes, jeden Tag einmal einen vollkommenen Ablass für die Verstorbenen gewinnen können. Im Ablass betet die ganze Kirche mit uns. Die Bedingungen für die Gewinnung dieses Ablasses für die Verstorbenen sind folgende: Der Besuch eines Friedhofs oder einer Kirche und das Gebet für die Verstorbenen. Hinzukommen die allgemeinen Bedingungen für die Gewinnung eines vollkommenen Ablasses, nämlich das Vaterunser und das Glau- bensbekenntnis und ein Gebet nach der Meinung des Heiligen Vaters sowie die heilige Beichte und der andächtige Empfang der heiligen Kommunion. Der Empfang der Sakra- mente kann auch eine oder zwei Wochen vorher oder nachher erfolgen. Werden die Be- dingungen nur schlecht oder nur teilweise erfüllt, gewinnen wir immerhin einen Teilablass.

Kardinal Newman (+ 1890), eine der bedeutendsten Persönlichkeiten der Kirche im 19. Jahrhundert, der ein großer Beter gewesen ist, stellte das Fürbittgebet in die Mitte seines täglichen Betens, vor allem das Gebet für die Verstorbenen. Über viele Jahrzehnte hin blieb er den Toten in Dankbarkeit verbunden. So konnte er nicht zuletzt leichter Herr seiner Zerstreuungen sein in seinen Gebeten, weil sein Beten konkret blieb.

Es darf kein Tag vergehen, an dem wir nicht der Verstorbenen im Gebet gedenken. Beten wir täglich immer wieder: Herr, gib ihnen die ewige Ruhe, und das ewige Licht leuchte ihnen, lass sie ruhen in Frieden. Und denken wir dabei an bestimmte Tote, die wir gekannt oder von denen wir gehört haben. Denken wir dabei aber auch an die, an die niemand mehr denkt. Im Stundengebet der Kirche nimmt das Gebet für die Verstorbenen einen bedeutenden Platz ein. Im früheren Stundengebet wurde gar jede einzelne Hore mit dem Gebet für die Verstorbenen abgeschlossen.

Das Gebet für die Verstorbenen ist für uns indessen immer wieder ein Ansporn, dass wir uns gewissenhaft vorbereiten auf unsere Begegnung mit Gott jenseits der Schwelle des To- des, dass wir für Gott und für die Ewigkeit leben und uns dafür immer wieder stärken durch den Empfang der Sakramente. In letzten Buch der Heiligen Schrift heißt es: „Selig sind die Toten, die im Herrn sterben“ (Apk 14, 13). Darauf kommt es an, dass wir im Herrn sterben. Das aber setzt voraus, dass wir im Herrn leben.

Der heilige Joseph ist der Patron der Sterbenden. Zugleich ist er der Patron der Kirche. Wenn wir ihn verehren, er lehrt uns, recht zu leben und recht zu sterben. An seinem Ster- belager standen Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, und die Gottesmutter Maria.

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Reich sind die Armen Seelen, weil sie die Gewissheit des Heiles haben. Reicher noch sind sie, wenn wir ihrer gedenken in unseren Gebeten. Die liebende Verbundenheit mit den Verstorbenen aber erinnert uns daran, dass wir im Herrn leben und uns so ein Leben lang auf einen guten Tod vorbereiten. Wenn wir für die Verstorbenen beten, dann beten sie auch für uns, dann helfen sie uns, unser Leben recht zu leben und unseren Tod einmal recht zu sterben. Amen.

Der geistige Kampf, den die Christen heute führen, wenn man überhaupt noch davon reden kann, ist lahm, und die vielen Kompromisse der Christen belasten die Glaubwürdigkeit des Christentums. Wir alle müssen uns heute den Vorwurf gefallen lassen, dass Glaubensmü- digkeit und Lauheit uns befallen haben - davon spricht die Lesung -, dass die Unentschie- denheit auch in der Kirche vielfach das Szepter führt, dass von dem Feuer, das Christus gebracht hat, heute nicht viel zu spüren ist. Wir haben vergessen, dass der Weg des Glaubens einem Wettkampf vergleichbar ist, dass er alles andere ist als ein behaglicher und gemütlicher Spaziergang.

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Also: Die Entscheidung für Gott und für die Kirche führt die Menschen zur Scheidung. Wer sich für Gott entscheidet, der entscheidet sich gegen den Widersacher Gottes. Von ihm aber sagt die Schrift, dass er der Fürst dieser Welt ist. Darum kann der entschiedene Zeuge Christi in schmerzliche Einsamkeit geraten, ja, er kann Feindseligkeit, Hass und Verfolgung auf sich nehmen müssen. Ja, irgendwann muss das einmal geschehen, wenn wir unsere Berufung als Christen ernst nehmen. Mangelnde Entschiedenheit ist aber gerade heute charakteristisch für viele Christen. Sie wollen Gott dienen und dem Mammon. Das geht je- doch nicht. Aber auch das erleben wir heute immer wieder, dass Christus und seine Kirche ganze Familien entzweien. Da kommt es darauf an, dass nicht die Christen den Widerstreit verursachen und verantworten müssen. Unsere konsequente Entscheidung für Christus ist von unabsehbarer Tragweite, von ihr hängt unsere ganze Ewigkeit ab.

Der Friede Christi ist von anderer Art als der Friede dieser Welt. Er ruht in der Wahrheit und in der Liebe. Deshalb kann er da, wo die Wahrheit und die Liebe verachtet werden, nicht gedeihen. Von Gott her muss er erbetet werden, vom Menschen her muss er erlitten wer- den. Dante Alighieri, der bedeutendste Dichter des europäischen Mittelalters (+ 1321) spricht von dem „erweinten Frieden“. Genau das ist der Friede Christi. Amen.